Wahl in Rumänien: Historischer Erfolg für Rechtsextremisten
5. Mai 2025
Dass er gut abschneiden würde, war klar. Aber keine Umfrage in Rumänien hatte einen Sieg in diesem Ausmaß prognostiziert, kein Politologe im Land ein solches Ergebnis vorausgesehen: In der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl vom Sonntag erhielt der Rechtsextremist George Simion knapp 41 Prozent der Stimmen - fast doppelt soviel wie der Zweitplatzierte, der liberal-progressive Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan, der nur auf knapp 21 Prozent kam.
Damit rückt in Rumänien eine Machtergreifung von Rechtsextremisten in greifbare Nähe - erstmals seit der Zeit des Diktators Ion Antonescu im Zweiten Weltkrieg und der mit ihm verbündeten christlich-orthodox-faschistischen Eisernen Garde. Für Rumänien und für Europa wäre eine Wahl Simions im zweiten Wahlgang am 18.05.2025 ein tiefer Einschnitt und eine politische Katastrophe: Erstmals hätte ein Land der Europäischen Union damit einen selbst ernannten "Systemsprenger" als Staatschef, der verspricht, die Elite Rumäniens "hinwegzufegen" und der für einen harten Anti-EU- und Anti-NATO-Kurs steht - im wichtigsten EU- und NATO-Land Südosteuropas. Neben den prorussischen und antiukrainischen Regierungen der Slowakei und Ungarns käme mit ihm ein weiterer Staatsführer in einem EU-Land hinzu, der Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump sowie prorussisch und gegen die Ukraine-Hilfe eingestellt ist.
Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung von rund 53 Prozent lag Simion in nahezu allen Landkreisen Rumäniens weit vor allen anderen Kandidaten. Noch deutlicher war das Ergebnis unter den Auslandsrumänen, von denen die meisten in Italien, Spanien und Deutschland leben. Dort stimmten mehr als 60 Prozent für Simion.
Verhaltene Reaktionen
Die Reaktionen von rumänischen Regierungspolitikern auf dieses Ergebnis fallen vorerst verhalten aus. Der Interimspräsident Ilie Bolojan beispielsweise sprach am Wahltag von einer "schwierigen Periode" für Rumänien und davon, dass die "ruhigen Zeiten vorüber" seien. Andere sprachen davon, dass Rumäniens prowestlicher Kurs nicht verhandelbar sei. Insgesamt scheint die politische Elite derzeit noch in einem Schockzustand zu verharren. Lediglich der Zweitplatzierte, Nicusor Dan, der mit Simion in die Stichwahl gehen wird, warnte vor dessen "isolationistischem und antiwestlichem Kurs".
Beobachter in Rumänien werteten das Ergebnis fast durchgängig als Ausdruck der Wut der Wählerinnen und Wähler darüber, wie das Land in den vergangenen Jahrzehnten regiert worden sei. "Es ist Votum gegen jahrelange schlechte Regierungsführung, gegen Korruption und Intransparenz, gegen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, es ist die Quittung für eine schlechte COVID- und Pandemie-Politik, für einen Staatspräsidenten Klaus Iohannis, der abwesend war, und eine Quittung für den schlechten Umgang mit dem Krieg in der Ukraine", sagte beispielsweise der Politikberater und Journalist Valeriu Turcan im TV-Sender Digi24.
Ein Kandidat vom rechten Rand
George Simion selbst meldete sich kurz nach der Bekanntgabe der ersten Nachwahlbefragungen (Exit Polls) am Sonntag Abend mit einer offenbar vorab aufgezeichneten Video-Botschaft von einem unbekannten Ort aus. Er sprach darin von einem "Sieg des rumänischen Volkes". Bevor die ersten aussagekräftigen Ergebnisse bekannt gegeben wurden, sagte Simion, dass "wir uns einem außerordentlichen Ergebnis nähern, viel höher, als die TV-Sender des Systems es präsentieren".
Kurz vorher hatte er zahlreiche Kurzinterviews für ausländische Medien gegeben, darunter auch für die DW. Er versuchte dabei, den Eindruck eines eher gemäßigten EU-Kritikers zu erwecken, dem es nicht darum gehe, dass sein Land aus der Union austrete. Die drei Säulen der rumänischen Sicherheitsstrategie seien die EU- und die NATO-Mitgliedschaft sowie die strategische Partnerschaft mit den USA. "Wir wollen die EU stärken, und wir wollen Wohlstand schaffen, nicht Armut, wie es die gegenwärtige EU-Kommission tut", so Simion. Das künftige Regierungsmodell für Rumänien werde dem der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni gleichen, so Simion.
Vom Fußball-Hooligan zum Staatsoberhaupt?
Simions Biografie und sein politischer Werdegang zeigen, dass von solchen Aussagen wie auch generell von der Berechenbarkeit des Mannes eher wenig zu halten ist. Der heute 38-Jährige begann seine politische Karriere vor knapp zwei Jahrzehnten als Fußball-Hooligan und kurz darauf als Ultranationalist, der eine Vereinigung aller Rumänen in einem "Großrumänien" forderte. Dazu zählt er die Republik Moldau und Teile der heutigen Ukraine, konkret den Norden der historischen Region Bukowina. Seit 2014 hat er wegen dieser Forderungen Einreiseverbot in der Republik Moldau, seit 2020 in der Ukraine.
Simion soll auch Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB haben - entsprechende Aussagen machte unter anderem der ehemalige moldauische Verteidigungsminister Anatol Salaru, der sich wiederum auf moldauische und ukrainische Geheimdienstquellen berief. Demnach soll sich Simion bei mindestens einer Gelegenheit im Jahr 2011 in der ukrainischen Stadt Czernowitz/Tscherniwtsi mit einem FSB-Mitarbeiter getroffen haben. Eindeutige Belege für Simions FSB-Verbindungen gibt es nicht. Allerdings bekundet Alexander Dugin, einer der bekanntesten Vertreter der russisch-eurasischen faschistischen Ideologie, immer wieder seine Unterstützung für Simion wie auch generell für Rumäniens Rechtsextremisten.
Ein schillernder Politiker
Im Jahr 2019 gründete Simion seine Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), deren Abkürzung zugleich das rumänische Wort für "Gold" ist. Er machte seitdem zumeist Schlagzeilen mit extrem aggressiven, teils gewalttätigen,Auftritten in der Öffentlichkeit und sogar im Parlament, wo er beispielsweise im Februar 2022 den damaligen Energieminister bei einer Rede am Pult tätlich angriff. Solche Auftritte filmt er gern live für Facebook, generell spricht er in seinen Videos oft im Stil rumänischer Straßengangs.
Seine Hochzeit im August 2022 inszenierte Simion als nationalistisches Spektakel und riesige Volksversammlung, so wie es der Führer der faschistischen Eisernen Garde, Corneliu Zelea Codreanu, im Jahr 1925 getan hatte. Fragen zu seiner Haltung zur Eisernen Garde, Codreanu und der Antonescu-Diktatur weicht Simion meistens aus, sagt aber, Codreanu und Antonescu hätten "auch gute Seiten" gehabt.
In den vergangenen Monaten versuchte Simion, vom Image des gewalttätigen Hooligan-Politikers wegzukommen und relativiert frühere Aussagen, denen zufolge Rumäniens Platz nicht in der EU und der NATO sei. Er positioniert sich als Anhänger und Verbündeter des US-Präsidenten Donald Trump und als "Souveränist". Nennt man ihn einen Rechtsextremisten, bricht Simion Interviews ab.
Tiefgreifende Änderungen angekündigt
Für den Fall seiner Wahl hat er angekündigt, dass er die Geheimdienst-Chefs sowie Verfassungsrichter austauschen werde und eine neue Parlamentsmehrheit anstrebe. Premierminister könnte dann Calin Georgescu werden, der Gewinner der annullierten ersten Präsidentschaftswahlrunde vom November 2024. Georgescu durfte zur jetzigen Wahl nicht mehr antreten. Gegen ihn läuft aktuell ein Verfahren wegen Verherrlichung von Kriegsverbrechern wie Antonescu und Antisemiten wie Codreanu.
Ganz so einfach könnte Simion seine Pläne im Falle eines Wahlsiegs nicht umsetzen, zumindest nicht, wenn es eine breite und entschlossene Parlamentsmehrheit gegen ihn gibt. Doch ob die in der traditionell zersplitterten Parlamentslandschaft Rumäniens mit ihren ungezählten Partikularinteressen und ständigen Parteiwechseln von Abgeordneten zustande kommt, ist unklar.
Immerhin deutet sich für die Stichwahl eine breite Koalition gegen Simion an. So etwa erklärten der Chef der Partei der ungarischen Minderheit UDMR, Hunor Kelemen, und mehrere andere prominente Politiker der regierenden Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und UDMR, dass sie zur Wahl des Zweitplatzierten, des Bukarester Bürgermeisters Nicusor Dan, aufriefen. Doch selbst mit allen Stimmen des Regierungslagers hätte Dan noch keine Mehrheit. Man solle nicht auf ein plötzliches Erwachen der Wählerinnen und Wähler hoffen, schreibt der Publizist und Investigativjournalist Catalin Tolontan im Portal Hotnews.ro: "Das Empfinden der Ungerechtigkeit, das sich in Jahrzehnten angehäuft hat, verschwindet nicht so einfach."