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PolitikRumänien

Rumänien: Korruption und tödliche Improvisation

Cristian Stefanescu aus Bukarest
29. August 2023

In Rumänien werden Menschen immer wieder Opfer von Pfusch und Korruption. Bei einer Explosion in einer illegalen LPG-Tankstelle nahe Bukarest kamen zwei Menschen ums Leben, mehr als 50 wurden schwer verletzt.

Rumänien l Explosionen an Tankstelle l Löscharbeiten
Feuerwehrleute bei Löscharbeiten nach einer Explosion an einer Tankstelle für Flüssiggas (LPG) bei Bukarest (26.08.2023)Bild: -/IGSU Romanian Emergency Services/AP/dpa/picture alliance

Zwei Jahre lang beschwerte sich ein Mann in Crevedia, einem Dorf 25 Kilometer nördlich der rumänischen Hauptstadt Bukarest, bei allen örtlichen Behörden über einen heftigen Gasgeruch in seinem Hof. Niemand nahm ihn ernst. Bis dann am Samstag, dem 26. August 2023, die Feuerwehrleute in seine Straße kamen. Und die Polizei. Und die Krankenwagen. Endlich. Doch für diesen Mann kamen sie zu spät: Er hatte gerade einen tödlichen Herzinfarkt erlitten, nachdem er mit ansehen musste, wie seine Frau infolge einer Explosion im Nachbarhof in Flammen aufging. Sie erlitt schwerste Verletzungen, 95 Prozent ihrer Haut verbrannten. Einen Tag später starb auch sie.

Im Hof ​​neben dem Haus, in dem die beiden Eheleute lebten und starben, war seit Jahren eine LPG-Tankstelle in Betrieb. Hier wurden Autos mit Flüssiggas betankt oder Gasflaschen für private Heizanlagen befüllt - unter fragwürdigen Sicherheitsbedingungen. Bei einer Überprüfung im Jahr 2020 hatten die zuständigen Behörden festgestellt, dass die Station nicht den Sicherheitsvorschriften entsprach und ihr die Betriebsgenehmigung entzogen. Die Eigentümer schlossen die Tore und machten hinter den Zäunen weiter: Mit improvisierten Pumpen wurde das Flüssiggas für die Kunden abgefüllt wie eh und je.

An jenem Samstagabend geriet das aus einer solchen improvisierten Pumpe austretende Gas in Brand. Vielleicht war es eine Zigarette, vielleicht die große Hitze, man weiß es nicht. Zuerst explodierte ein Tankwagen, später flogen auch andere Druckgastanks auf dem Gelände in die Luft. Über 50 Menschen wurden verletzt. Die meisten von ihnen sind Retter, die gekommen waren, um den Brand einzudämmen - Feuerwehrleute, Sanitäter und Gendarmen. Viele der Verletzten sind in einem ernsten Zustand, einige Brandopfer wurden mit Militärmaschinen ins Ausland geflogen, wo sie in Spezialkliniken behandelt werden.

Rettungskräfte mit einem Krankentransport am Militärflughafen Otopeni bei Bukarest - ein Brandopfer wird in eine Spezialklinik ins Ausland geflogenBild: Alexandru Dobre/AP Photo/picture alliance

Erinnerungen an den katastrophalen Brand im Bukarester Nachtclub Colectiv im Jahr 2015 wurden wach. Damals starben 65 meist junge Menschen, rund 150 wurden verletzt. Die Regierung unter dem sozialdemokratischen Premierminister Victor Ponta musste nach massiven Straßenprotesten zurücktreten.

Die Katastrophe in Crevedia hätte vermieden werden können. Wie andere auch - denn in Rumänien passieren Monat für Monat Katastrophen, weil der Staat seiner Pflicht zum Schutz seiner Bürger nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig nachkommt. Was in Crevedia bei Bukarest geschah, ist eine weitere der vielen symptomatischen Situationen für Rumänien, in denen staatlichen Institutionen professionelles Handeln verwehrt wird - durch Korruption, Politisierung und Parteiintrigen, Vetternwirtschaft, Inkompetenz und Gleichgültigkeit.

Ohne Hilfe im Krankenhaus: "Ich habe keine Luft mehr!"

In Rumänien brennen Häuser bis auf die Grundmauern nieder, weil die Straßen, die zu ihnen führen, oft schlecht geplant wurden und zu eng sind für die Zufahrt der Feuerwehrautos. Krankenwagen treffen dreimal später als im Protokoll vorgesehen an einem Einsatzort ein, da viele der als asphaltierte Straßen deklarierten Wege zu abgelegenen Ortschaften tatsächlich schwer passierbare Land- oder Forststraßen sind. Stattdessen wurden mit dem gelieferten Asphalt Innenhöfe oder Alleen zu den prunkvollen Häusern der gut vernetzten Dorfelite gepflastert.

Bukarest, 3. November 2015: Massenproteste gegen die Regierung nach der verheerenden Brandkatastrophe im Nachtclub ColectivBild: Reuters/Inquam Photos/O. Ganea

In Rumänien sterben Patienten in Krankenhäusern, weil ihre Wunden durch Keime infiziert werden, die sich in den Wänden der Zimmer eingenistet haben. Oder weil die Kranken von jenen ignoriert werden, die sich um sie kümmern sollten. Mitte August 2023 starb in Botosani, einer Stadt etwa 450 Kilometer nördlich von Bukarest, nahe der Grenze zur Ukraine, eine junge Frau im Krankenhaus. Die 25-jährige Mutter von drei Kindern, im dritten Monat schwanger, war am Abend mit Schmerzen und starken Blutungen eingeliefert worden und sieben Stunden später verstorben, weil während der Nacht niemand eingegriffen hatte, um ihr zu helfen. "Ich habe keine Luft mehr!", lautete die letzte Nachricht der Frau an ihre Familie. Ärzte und Krankenhauspersonal weisen sich gegenseitig die Schuld zu, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Nur wenige Wochen zuvor, im Juli 2023, war einer jungen hochschwangeren Frau die Aufnahme in ein Krankenhaus in Urziceni, 60 Kilometer östlich von Bukarest, verweigert worden. Sie brachte ihr Kind auf dem Gehweg vor der Klinik zur Welt - ein Fall, bei dem neben dem Verdacht auf Fahrlässigkeit auch der einer Diskriminierung steht: Die Frau gehört der Roma-Minderheit an.

Abserviert beim Polizeinotruf

Immer wieder sorgen solche und ähnliche Vorfälle für Entsetzen. Eine 15-jährige Jugendliche, die von einem Sexualstraftäter entführt worden war, konnte noch einen Notruf an die 112 absetzen, wurde aber mit einem lapidaren "Halten Sie die Leitung nicht unnötig besetzt!" abserviert. Kurz darauf wurde sie von ihrem Entführer getötet.

In Rumänien werden von Investigativjournalisten regelmäßig Fälle aufgedeckt, in denen ältere Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Menschen mit Behinderungen unter katastrophalen Bedingungen in Lager-ähnlichen Einrichtungen eingesperrt werden. Diese "Heime" werden oft mit politischer Unterstützung finanziell üppig ausgestattet, das Geld verschwindet aber in den dunklen Kanälen der Korruption und Vetternwirtschaft. Die Kontrollen dieser Einrichtungen werden rechtzeitig angekündigt oder nur "auf dem Papier" durchgeführt, alle Beteiligten kennen die unmenschlichen Zustände, alle wissen, wie die "Sache läuft", keiner unternimmt etwas dagegen. Bis die Presse die Zustände aufdeckt. Dann gibt es einige Rücktritte, die Lage beruhigt sich - bis zum nächsten Vorfall. Und der kommt bestimmt.

Katastrophale Bedingungen in einem improvisierten Pflegeheim bei BukarestBild: Centrul de Investigații Media

Bis vor Kurzem beschäftigte sich die rumänische Presse mit dem Fall eines unter Drogen stehenden jungen Autofahrers, der in einer Ortschaft am Schwarzen Meer in eine Gruppe junger Touristen gefahren war. Zwei Menschen wurden getötet, mehrere kamen verletzt ins Krankenhaus. Der Fahrer war davor zweimal von Polizisten angehalten worden, die seine offensichtlichen Verhaltensstörungen ignorierten. Er wurde keinem Drogentest unterzogen und durfte weiterfahren. Jetzt versuchen Journalisten, mögliche mafiöse politische Verstrickungen zu durchleuchten und zu entschlüsseln, wie es möglich war, dass ihn die Polizei trotz sichtbarer Fahruntauglichkeit weiterfahren ließ.

Betrieb ohne Genehmigung - mit Wissen der Verantwortlichen 

Zurück zur jüngsten Katastrophe: Die Explosionen und das Feuer ereigneten sich an einem Standort, für den es seit drei Jahren keine Betriebsgenehmigung mehr gab. Sieben staatliche Institutionen waren über die Unregelmäßigkeiten an der LPG-Tankstelle informiert, alle wussten Bescheid.

Doch das Geschäft mit dem Flüssiggas in Crevedia florierte weiter. Vor drei Jahren wurde der Vater des Hauptaktionärs des Betriebs für die regierende Sozialdemokratische Partei (PSD) Bürgermeister einer Stadt im Süden Rumäniens. Seitdem vervielfachte sich der Umsatz des Unternehmens seines Sohns. Die Quelle dieses kommerziellen Booms: großzügige Vertragsabschlüsse mit öffentlichen Institutionen. Es ist ein altbewährtes Erfolgsrezept in der stark politisierten rumänischen Geschäftswelt: Verträge mit dem Staat für Angehörige von Politikern, die Wahlen gewinnen oder in Führungspositionen berufen werden.

In den meisten Fällen stehen Katastrophen am Ende einer langen Reihe korrupter AktionenBild: Burkhard SchubertGeisler-Fotopress/picture alliance

Staatliche Institutionen vermeiden die Kontrolle solcher Unternehmen, um die Geschäfte nicht zu stören. Oft sind die Kontrolleure ehemalige enge Mitarbeiter einflussreicher Politiker. Es entstehen Abhängigkeiten und Netzwerke gegenseitigen Schutzes und gegenseitiger Wohltäter. Rechtswidrigkeiten werden nicht geahndet, Verantwortliche werden nicht bestraft, wenn sie Fehler machen. 

In den meisten Fällen stehen die Tragödien in Rumänien am Ende einer langen und verzweigten Reihe von Korruptionshandlungen, von denen die Beteiligten überzeugt sind, dass sie niemals aufgedeckt würden. Sie fühlen sich in ihrem Einflussgebiet unangreifbar angesichts eines Staates, der abwesend und gescheitert scheint oder zumindest die Augen verschließt vor Korruption und Inkompetenz. Beobachter sprechen sogar von einer Komplizenschaft des Staates und Mafia-Strukturen in den staatlichen Institutionen.

Und was bleibt nach einer solchen Katastrophe? In den Augen vieler Menschen in Rumänien bislang nur die Gewissheit, dass die nächste bald kommt.

Adaption aus dem Rumänischen: Robert Schwartz