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GesellschaftRumänien

Rumänien: Nur weil ich ein "Mädchen" bin

Delia Dascalu in Konstanza
14. August 2023

Wegen eines Artikels ergoss sich eine Welle des Hasses und der Belästigung über die rumänische Studentin und Journalistin Delia Dascalu. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Frauenfeindlichkeit konfrontiert wurde.

Delia Dascalu
Die rumänische Studentin und Journalistin Delia DascaluBild: privat

"Dein Platz ist am Herd!", "Selber Schuld, bei Deinen Klamotten!", "Solltest du nicht bei OnlyFans sein?" - das sind die Klischees, denen ich seit gut fünf Jahren am häufigsten begegne. Es begann, als ich 14 Jahre alt war, da wurde es mir richtig bewusst. Aber eigentlich hatte alles schon viel früher angefangen, als ich noch ein Kind war. Mit der Zeit wurden die Sprüche immer heftiger, sie verwandelten sich in Hassbotschaften. Sie wurden bedrohlich, ich wurde zu einem Sexobjekt, als ich vor zwei Monaten in der rumänischen Presse mit einem Bericht darüber debütierte, wie "friendly" Konstanza am Schwarzen Meer ausländischen Touristen gegenüber ist.

Wäre ich ein Junge gewesen, hätte es die Welle des Hasses und der Aufstachelung zu Gewalt und Vergewaltigung nach meinem Artikel nicht gegeben. Vielleicht ein paar negative Reaktionen und Kommentare, aber mit Sicherheit nicht das, was auf mich niederprasselte. Der Bericht war ein einfaches Experiment, bei dem ich meine Reise als vermeintlich ausländische Touristin vom Bahnhof Konstanza zum Neversea-Musikfestival am Meeresstrand im Stadtzentrum genau schilderte.

"Mit der Zeit wurden die Sprüche immer heftiger, sie verwandelten sich in Hassbotschaften"Bild: Christian Ohde/picture alliance

Hunderte Menschen reagierten aggressiv, beleidigten mich, beschimpften mich, griffen mich wegen meiner körperlichen Merkmale und meiner Kleidung an, aber niemand bezog sich darauf, was oder wie ich geschrieben hatte. Der Artikel - das war ich, nicht mein Thema.

In gut 80 Prozent der über 1000 Kommentare auf Facebook, fast alle von Männern geschrieben, wurde ich förmlich an die Wand geknallt. Darüber habe ich nun geschrieben, damit deutlich wird, wie ein Teil der Gesellschaft hinter dem Bildschirm auf ein 19-jähriges Mädchen reagiert, das mit einem sozialen Experiment in den Journalismus einsteigt.

In ihren Kommentaren war ich mal Teil von Pornofilm-Drehbüchern, mal ein Mädchen, das von Glück sprechen sollte, "ohne Vergewaltigung davongekommen" zu sein, ich wurde zu Zuhältern geschickt, zum Oral- und Gruppensex eingeladen, ich wurde entmenschlicht und in ein sexuelles Objekt verwandelt, ohne Identität, Vergangenheit und vor allem ohne Zukunft.

Aber ich hatte das Glück, dass meine Freunde, Kommilitoninnen und Kommilitonen, meine Familie für mich da waren. Das bedeutet mir sehr viel, denn ohne ihre Unterstützung, ihre Zusprüche und ihr Lachen wäre ich wahrscheinlich emotional zerknittert aus der ganzen Sache herausgekommen.

Das Glück der internetaffinen jungen Frau 

Ein weiterer Grund, warum mich all die Hass-Kommentare nicht aus dem Gleichgewicht gebracht haben: Ich war sie bereits gewohnt. Ich habe seit meinem achten Lebensjahr Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken. Ich hatte völlige Freiheit darin. Mit der Freiheit gingen auch sexistische Sprüche einher, aber damals wusste ich nicht, dass sie so genannt wurden und dass sie eine Belästigung darstellten. Ich dachte, das sei alles normal.

Mit 13 Jahren begann ich, online Multiplayer-Spiele mit fremden Konkurrenten zu spielen. Wenn du als Mädchen online unterwegs bist, weißt du von Anfang an: es wird immer jemanden geben, der dich daran erinnert, egal was du dort tust, dass du ein Mädchen bist.

Mir wurde oft gesagt, ich sollte "lieber ein Sandwich zubereiten, in der Küche, wo du hingehörst, nicht bei Videospielen mitmachen". Es gab auch schlimmere Sprüche. Dadurch wurde ich taub und blind gegenüber frauenfeindlichen und sexistischen Kommentaren. Aber war das in Ordnung?

"Als ich klein war, erhielt ich auch obszöne Bilder von unbekannten Männern"Bild: Sean Gallup/Getty Images

Als ich klein war, erhielt ich auch obszöne Bilder von unbekannten Männern, die mich privat anschrieben und versuchten, "Freunde zu finden". Ich habe ihnen nicht geantwortet, aber ich hatte auch nicht den Mut, jemanden zu fragen, ob ich das Richtige getan hatte oder was ich tun oder antworten sollte. Wenn ich jetzt zurückblicke, wird mir klar, dass diese Menschen wahrscheinlich eine psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen oder strafrechtlich verfolgt werden sollten.

Beschimpfungen und körperliche Belästigung

Catcalling (sexuelle Belästigung auf der Straße): Ich habe das erlebt, seit ich in der Grundschule war. Egal, ob ich Shorts oder weite Jacken und Trainingsanzüge trug, es war immer dasselbe: "Was versteckst du unter diesen Klamotten, Kätzchen?"

Als Kind hatte ich Angst. Dann fing ich an, auf Autohupen und verschiedene Arten der Anmache zu reagieren. Mir wurde klar, dass es nicht meine Schuld oder meine Kleidung war, sondern ihre Schuld und das, was in ihren Gedanken vorging.

Als ich konterte, wurde mir eine Tracht Prügel angedroht: "Hey, willst du Haue? Du willst Haue und weißt nicht, wie du darum bitten sollst! Du suchst selbst danach!". Irgendwie war es wieder meine Schuld.

Mit 12 Jahren hatte ich ein schlimmes Erlebnis. Ich wartete um zehn Uhr morgens an der Straßenecke auf meine Klassenkameraden, um zur Schule zu gehen, als ein Auto neben mir anhielt, der Fahrer das Fenster herunterkurbelte und mich fragte: "Wo ist der Arzt?"

Ich antwortete: "Welcher Arzt?" Und er zog seine Hose und seine Unterhose runter, zeigte mir seinen Intimbereich. Ich schrie, rannte weinend weg und rief meine Mutter an. Sie ging mit mir in die Nachbarschaft, um das Auto zu identifizieren. Meine Mutter dachte, es sei irgendein junger Mann aus unserer Gegend gewesen.

"Oft wurde ich betatscht, gekniffen oder mir wurde auf den Hintern geklopft"Bild: Ulrich Zillmann/FotoMedienService/picture alliance

Wir konnten weder das Auto noch den Mann finden, und als sie mir sagte, wir sollten zur Polizei gehen, machte ich einen Rückzieher. Ich hatte mich zu sehr geschämt - und es war doch meine Schuld, oder? Ich habe eine ganze Woche ununterbrochen geweint. Ich wollte in jenem Alter nicht wissen, wie der Intimbereich von Männern aussah - und schon gar nicht auf die Art.

Oft wurde ich betatscht, gekniffen oder mir wurde auf den Hintern geklopft, meist am helllichten Tag, an überfüllten Orten. Ich war schon groß, also habe ich mich gewehrt, habe angefangen, den Jungen und Männern hinterherzugehen und zu fragen, warum sie das getan haben. Fast alle sind weggelaufen.

Wie mich gibt es wahrscheinlich hunderte und tausende Mädchen und Frauen in Rumänien, die das jeden Tag durchmachen. Die weniger "Glücklichen" werden vergewaltigt, geschlagen - und sogar getötet. Entweder sind sie Gefangene von Gewalttätern oder sie kennen ihre Rechte nicht - oder sie haben Angst.

Auf jeden Fall ist es immer noch "beschämend" in unserer Gesellschaft, darüber zu reden. 

Ich wünsche mir, dass alle Frauen über die Übergriffe und Belästigungen, die sie erleben, offen sprechen. Und dass sie alles frei ansprechen können, was sie dazu bringt, sich unwohl zu fühlen - ohne Schuldgefühle. Wir leben im 21. Jahrhundert, es ist keine "Schande" mehr, über jene Sachen zu sprechen, die uns angeblich nur passieren würden, weil wir "selbst darum bitten". 

Adaption aus dem Rumänischen: Robert Schwartz