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PolitikEuropa

Rumänien: Odyssee um Tate-Brüder und Missbrauch von Frauen

Sabina Fati (aus Bukarest) | Keno Verseck
31. Oktober 2024

Seit Jahren wird gegen die Influencer-Brüder Andrew und Tristan Tate wegen Vergewaltigung und Missbrauchs von Frauen ermittelt. Doch vor allem in Rumänien schaffen sie es immer wieder, sich der Justiz zu entziehen.

Zwei Männer in Anzug, einer mit Sonnenbrille, kommen die Treppe eines Palastes herunter
Die Gebrüder Andrew und Tristan Tate verlassen den Justizpalast in BukarestBild: Vadim Ghirdap/AP/picture alliance

Es ist ein sonniger und warmer Herbsttag in Bukarest, vor dem prächtigen Justizpalast im Zentrum der rumänischen Hauptstadt, einem Gebäude im Neorenaissance-Stil, ist nicht viel los. Zwar soll es an diesem Tag um die Anklage und den Prozess gegen zwei weltweit bekannte und umstrittene Männer gehen, trotzdem wartet nur ein einziges Fernsehteam vor dem Gebäude.

Vor Gericht stehen die Gebrüder Andrew und Tristan Tate, zwei weltweit bekannte frauenfeindliche Social-Media-Influencer mit Millionen von Followern. Ihr Prozess läuft seit April 2024, sie sind unter anderem angeklagt wegen Menschenhandels und Missbrauch von Frauen. An diesem Tag ist ein weiterer Termin angesetzt. Doch - wie schon mehrfach - könnte er auch diesmal wieder einmal nur verschoben werden. Denn die Anwälte der beiden Brüder halten den Fortgang des Prozesses mit verschiedenen Anträgen auf. Unter anderem bestreiten sie, dass Beweise gerichtsfest seien. Die Öffentlichkeit ist an diesem Tag nicht zugelassen.

Andrew Tate (l.) und Tristan TateBild: Vadim Ghirdap/AP/picture alliance

Und tatsächlich: Anderthalb Stunden nach Beginn der Verhandlung erklären die Anwälte der Tates, dass der Prozess auf einen Termin Anfang Dezember vertagt sei. Eine weitere Etappe in der Odyssee der Justizverschleppung.

Nicht zufällig in Rumänien

Die Gebrüder Tate (vor allem Andrew Tate, zunächst als Kickboxer bekannt) erreichten mit ihrer Präsenz in sozialen Medien schon vor mehr als einem Jahrzehnt weltweit Berühmtheit. Sie haben auf verschiedenen Kanälen, unter anderem TikTok, Millionen von Followern und machen immer wieder Schlagzeilen mit extrem frauenfeindlichen Äußerungen und mit Aufrufen zu Gewalt gegen Frauen, außerdem mit rassistischen, homophoben und rechtsextremen Äußerungen in ihren Postings und Videos.

Nachdem Andrew Tate (37) in Großbritannien 2015 wegen Körperverletzung und Vergewaltigungsvorwürfen kurzzeitig verhaftet worden war, zogen er und sein Bruder Tristan (36) 2016 nach Rumänien. Wohl nicht zufällig. Rumänien ist seit Jahren mit auf den vordersten Plätzen in der Europäischen Union, was Missbrauch von Frauen und Opfer von Frauen- und Menschenhandel angeht.

Nach Angaben der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2023 stammen von rund 7000 Frauen, die jährlich in der EU Opfer von Frauenhandel und -missbrauch werden, etwa 3000 aus Rumänien. Die rumänische Justiz arbeitet in solchen Fällen oft sehr schleppend, Täter haben gute Chancen, ihre Anklagen zu verschleppen und nicht verurteilt zu werden.

Screenshots von TikTok-Videos von Andrew Tate

Prozess wegen Formalitäten verschleppt

In Rumänien wurden Andrew und Tristan Tate erstmals Ende 2022 verhaftet. Sie wurden des Menschenhandels und der Vergewaltigung verdächtigt. Ermittelt gegen sie hatte die Sondereinheit für den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus (DIICOT). Konkret sollen die Gebrüder Tate Frauen mit der sogenannten Loverboy-Methode in ihr Netzwerk gelockt und dann zur Prostitution und zu Auftritten in Online-Sex-Kanälen und Pornofilmen gezwungen haben. Auch beschlagnahmte die Polizei Luxusautos, andere Wertsachen sowie Bargeld der Gebrüder Tate auf ihrem Anwesen in Voluntari im Nordosten Bukarests.

Seitdem ist der Fall Tate in Rumänien zu einer Justiz-Odyssee geworden: Im März 2023 wurden die Brüder Tate aus der Haft entlassen und unter Hausarrest gestellt, der wiederum wurde im August 2023 aufgehoben. Nach langem Hin und Her entschied ein Gericht in Bukarest im April 2024, dass ein Strafprozess gegen die Gebrüder Tate beginnen könne. Die Anklage lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Menschenhandel im Fall von 34 Frauen, Körperverletzung und Vergewaltigung. Seitdem wurde der Prozess jedoch immer wieder wegen Formalitäten verschleppt.

Nicht auf der Seite der Opfer

Zuletzt wurden die Tates kurzzeitig Ende August 2024 verhaftet. Anschließend wurde Andrew Tate jedoch lediglich erneut unter Hausarrest gestellt, sein Bruder Tristan unter Gerichtsaufsicht. Anfang Oktober 2024 konnten sie allerdings einen weiteren Etappensieg feiern: Per Gerichtsentscheid erhielten sie ihre zeitweise beschlagnahmten Luxusautos zurück, da diese offiziell nicht auf ihre Namen angemeldet sind, sondern auf die von Angehörigen und Freunden.

Luxusautos, die den Gebrüdern Tate gehören, werden im Januar 2023 auf deren Anwesen im Bukarester Vorort Voluntari beschlagnahmtBild: Alexandru Dobre/AP/picture alliance

So wie im Fall der Gebrüder Tate drücken Polizei und Gerichte in Rumänien offenbar häufig die Augen zu. Zwar hat sich die Rechtslage in den vergangenen Jahren verbessert, aber der Frauenhandel und die Gewalt gegen Frauen gehen weiter. Nach Angaben des Journalisten-Investigativnetzwerks Rise Project schätzen Anti-Mafia-Staatsanwälte die Zahl der aktiven Menschenhändler auf 3000 bis 4000.

Der jüngste Bericht des US-Außenministeriums über Menschenhandel in Rumänien für das Jahr 2023 konstatiert, dass die Justiz, die Polizei, die Ermittler und die Kinder- und Jugendschutzbehörden oft nicht nur auf der Seite der Menschenhändler stehen, sondern auch extrem hart mit den Opfern umgehen, egal ob es sich um Minderjährige oder erwachsene junge Frauen handelt.

"Meine Hosentasche spricht"

Auch der öffentliche Umgang in Rumänien mit den Aktivitäten der Gebrüder Tate spricht für sich: Die beiden lehren Männer, wie man Frauen anlockt, wie man sie von sich abhängig macht, wie man sie vergewaltigt, wie man ihnen klarmacht, dass der Mann das Sagen hat und die Entscheidungen trifft, weil Frauen faul und unfähig seien. Trotz solcher Auftritte der Tates gab es in Rumänien kaum Debatten über sie, auch kaum Anzeigen. Ihre Frauenfeindlichkeit wurde als lokaler Modus vivendi akzeptiert, manchmal sogar von Frauen.

Andrew Tate mit einem Fan vor dem Gebäude des Bukarester BerufungsgerichtesBild: Andreea Alexandru/AP/picture alliance

Eine für den öffentlichen Umgang mit den Gebrüdern Tate bezeichnende Szene spielte sich im Juli 2024 ab - als alle Anklagen wegen Menschenhandels und Vergewaltigung gegen die beiden bereits auf dem Tisch lagen. Am 14. Juli betrat Andrew Tate die Bühne des Festivals "Beach, Please!" in Costinesti am Schwarzen Meer und wurde von tausenden Zuschauern bejubelt. Der amerikanische Rapper French Montana hatte ihn auf die Bühne geholt und rief: "Rumänien liebt dich, mein Bruder!" Dann ertönte ein bekanntes Lied eines bekannten Balkan-Pop-Stars. Der Titel: "Meine Hosentasche spricht". Die Konnotation: Mit dicken Geldbündeln in der Hosentasche lassen sich alle Probleme lösen. Andrew Tate klatschte dazu mit siegesgewissem Lächeln.