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Politik

Rumänien: Rechtsextreme randalieren

Cristian Stefanescu | Keno Verseck
17. Januar 2022

Rumänische Rechtsextreme stürmen gewaltsam in das Rathaus der Metropole Temeswar. Die Partei AUR, Organisatorin der Aktion, wird immer populärer - und zu einem immer größeren politischen Problem im Land.

Dominic Fritz, Bürgermeister der westrumänischen Stadt Temeswar
Dominic Fritz, Bürgermeister der westrumänischen Stadt TemeswarBild: Stadt Temeswar

Die Randalierer kommen durch den Hintereingang. Grölend ziehen sie durch das Rathaus. "Schande, Schande!", rufen sie und fordern eine Audienz beim Bürgermeister. Obwohl Maskenpflicht gilt, trägt niemand einen Mund- und Nasenschutz. Weit und breit lässt sich kein Polizist blicken, um die Menge aufzuhalten. Nur ein Mitarbeiter des Rathauses stellt sich ihr in den Weg. "Komm raus, du Drecksköter!", brüllen die Eindringlinge - gemeint ist der Bürgermeister. Nach einer Viertelstunde verbaler Aggressionen verlassen sie das Gebäude schließlich.

Die westrumänische Metropole Temeswar/Timisoara am vergangenen Freitag: Im Stadtzentrum haben sich Dutzende Mitglieder und Anhänger der nationalistisch-rechtsextremen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) versammelt, die im Parlament mit knapp zehn Prozent vertreten und viertstärkste Fraktion ist. Außerdem anwesend: Mitglieder der berüchtigten rumänischen Neonazi-Gruppierung Neue Rechte (ND).

Der Platz des Sieges im Zentrum von Temeswar. Hier begann am 14.01.2022 der Aufmarsch der RechtsextremenBild: robertharding/imago images

Anwesend ist auch der AUR-Vorsitzende George Simion. Er hetzt gegen den deutschen Bürgermeister von Temeswar, Dominic Fritz, der im September 2020 als erster Kommunalpolitiker mit ausländischer Staatsbürgerschaft zum Oberhaupt einer rumänischen Stadt gewählt wurde. Das Land brauche solche "dahergelaufenen Ausländer" nicht, ruft Simion und kündigt die Gründung einer "Anti-Fritz-Liga" an. Die Versammelten skandieren: "Fritz, vergiss nicht, dies ist nicht deine Stadt!" Dann führt Simion die grölende Menge zum Rathaus. Weil der Vordereingang verschlossen ist, dringen er und seine Anhänger durch einen Hintereingang ins Gebäude. Anschauen kann man das Ganze auf Facebook-Videos.

Signal gegen Toleranz und Offenheit

Die Aktion von Simion und seiner Partei AUR sorgt in Rumänien derzeit für große Empörung. Der prominente Journalist und Kommentator Cristian Tudor Popescu verglich sie im TV-Sender Digi24 mit SA-Aufmärschen im Deutschland der 1920er und 1930er Jahre. Die Bürgermeister von 23 rumänischen Städten unterzeichneten eine Solidaritätserklärung für ihren Kollegen Dominic Fritz und forderten vom Staat, härter gegen derartige Randalierer vorzugehen. Der Vorsitzende der liberal-grünen Anti-Korruptionspartei Union Rettet Rumänien (USR Plus), Dacian Ciolos, schrieb auf Facebook gar, AUR-Aktionen fänden im Grunde genommen mit "Erlaubnis und Unterstützung" staatlicher Behörden statt.

Bürgermeister in der Fremde

05:12

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Der Bürgermeister Dominic Fritz sagt der DW, die Aktion sei "ein Signal gegen die Stadt Temeswar mit ihrem multikulturellen, proeuropäischen Charakter". "Es geht auch um ein Signal gegen meinen Wahlsieg, denn er war ein Symbol für Toleranz und Offenheit in dieser Stadt. Die Nationalisten wollen den Eindruck erwecken, dass es dafür keine Mehrheit gibt. Aber zumindest in den großen Städten Rumäniens gibt es diese Mehrheit. Sie soll nun eingeschüchtert werden."

Nicht die erste derartige Aktion

Das gewaltsame Eindringen von Rechtsextremen und Nationalisten ins Temeswarer Rathaus ist von besonders trauriger Symbolik. In Temeswar begann 1989 der Aufstand gegen die Ceausescu-Diktatur, hier gab es besonders viele Tote. Seit damals begreift sich die Stadt als Vorkämpferin für ein freies und europäisches Rumänien. Immer wieder setzte sie auch in den düstersten Zeiten des postkommunistischen Nationalismus Signale für Freiheitlichkeit und Liberalität.

Panzer in Temeswar. In der Stadt begann im Dezember 1989 der Aufstand gegen die Ceausescu-DiktaturBild: Vranic/AP Photo/AP Images/picture alliance

Es ist die bisher wohl bestürzendste, aber längst nicht erste derartige Aktion von AUR. Erst vor wenigen Wochen hatten AUR-Anhänger zusammen mit Corona-Leugnern und Impfgegnern in der Hauptstadt Bukarest den Innenhof des Parlaments gestürmt und konnten von Polizisten nur knapp an einem Eindringen in das Gebäude gehindert werden. Bereits seit längerem initiiert AUR immer wieder gewalttätige Anti-Corona-Proteste in Rumänien maßgeblich mit.

Umfragewerte von AUR steigen

Außerdem war AUR vor wenigen Tagen in die Schlagzeilen geraten, weil die Partei fordert, die Geschichte des europäischen Holocaust und der Ermordung der rumänischen Juden an Schulen nicht zu unterrichten. Auch in Temeswar ist AUR nicht zum ersten Mal aktiv: Im März 2021 waren deren Anhänger vor der Privatwohnung von Dominic Fritz aufmarschiert, um gegen Corona-Einschränkungen zu protestieren. Schon damals war der Temeswarer Bürgermeister mit rassistischen und xenophoben Parolen beschimpft worden.

AUR-Anhänger protestieren am 30.01.2021 gegen das GesundheitsministeriumBild: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Zwar kann die Partei zu solchen Aktionen meistens nur einige Dutzend Personen mobilisieren. Auch zu Anti-Corona-Protesten kamen bislang maximal um die zweitausend Menschen. Dennoch sehen viele Beobachter AUR derzeit als eines der größten politischen Probleme Rumäniens. Die Partei, deren Akronym auf Rumänisch 'Gold' bedeutet, wurde erst im September 2019 gegründet, schaffte aber ein gutes Jahr später mit neun Prozent den Sprung ins Parlament - entgegen aller Prognosen. Seitdem steigen die Umfragewerte der Partei unaufhörlich. Derzeit liegt sie bei knapp zwanzig Prozent und ist in einigen Umfragen zweitstärkste Partei nach den Sozialdemokraten (PSD).

Gegen die ungarische Minderheit, aber für Orban

In Rumänien gab es jahrelang keine nennenswerten Rechtsnationalisten wie in Ungarn, Polen und den meisten anderen mittel- und südosteuropäischen Ländern. Auch weil Parteien wie die Sozialdemokraten diese scheinbare Leerstelle mit eigenen rechtsnationalistischen und xenophoben Positionen besetzt hatten. Doch AUR vertritt nicht nur einfach herkömmliche rechtsnationalistische Ansichten, sondern explizit antiwestliche, euroskeptische, antisemitische, minderheitenfeindliche, homophobe und Pro-Putin-Positionen. Außerdem will sie die Vereinigung mit der Republik Moldau herbeiführen, die historisch ein Teil Rumäniens war.

Der AUR-Vorsitzende George Simion bei einer Protestaktion in Bukarest gegen das Gesundheitsministerium im Januar 2021Bild: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Die aggressiven Anti-Establishment-Aktionen der Partei, die meistens auch live in sozialen Medien übertragen werden und so hunderttausende Menschen erreichen, erfreuen sich immer größerer Sympathie unter Rumänen, die mit der etablierten Politik im Land und der politischen Dauerkrise unzufrieden sind. Interessanterweise sucht AUR auf europapolitischer Ebene einen Schulterschluss mit Viktor Orbans Partei Fidesz und anderen Rechtsnationalisten, während die Partei innerhalb Rumäniens explizit chauvinistische Positionen gegen die ungarische Minderheit in Siebenbürgen mit ihren rund 1,2 Millionen Angehörigen vertritt.

So etwa hatte George Simion im Juni 2019, kurz vor der AUR-Gründung, antiungarische Proteste im Uz-Tal in den Ostkarpaten angeführt. Dabei verwüsteten nationalistische rumänische Hooligans einen Friedhof mit ungarischen und rumänischen Kriegsgräbern. Zugleich erklärt George Simion offen seine Bewunderung für den ungarischen Premier und nennt sich selbst den "Orban Rumäniens". AUR möchte Mitglied werden in einer neuen europäischen Allianz der Rechtsnationalisten und Rechtsextremen, die Orban mit initiiert hat.

Bisher nur Geldstrafen

Den Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz besorgt der Aufstieg der AUR vor allem, weil er dahinter eine "tiefliegende Vertrauenskrise und einen Verfall der politischen Kultur" sieht, wie man ihn auch in vielen anderen europäischen Ländern beobachten könne. Um sich persönlich macht sich Fritz jedoch keine Sorgen. "Ich fühle mich sicher in der Stadt", sagt er, "weil es in Temeswar selbst kaum Leute gibt, die sich an Aktionen wie der vom Freitag beteiligen. Die Randalierer kommen meistens von außerhalb."

Ob das gewaltsame Eindringen in das Temeswarer Rathaus nun für Simion und die anderen Randalierer weiterreichende Folgen hat, ist unklar. Bisher wurden lediglich kleinere Geldstrafen verhängt - wegen Verstoßes gegen die Maskenpflicht und Störung der öffentlichen Ruhe.