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PolitikRumänien

Rumänien wegen Enthüllungen zu korrupter Justiz in Aufruhr

12. Dezember 2025

Ein Video von Investigativjournalisten über Korruption in der Justiz führt zu Straßenprotesten und erschüttert die Regierungskoalition. Die steht wegen umstrittener Sparpläne und blockierter Reformen ohnehin unter Druck.

Menschen in einer Demonstration, die Schilder in Form einer Hand hochhalten, darauf steht: "Alle für Gerechtigkeit/Justiz"
Demonstration gegen Korruption in der Justiz in Bukarest am 12.12.2025. Auf den Schildern steht: "Alle für Gerechtigkeit/Justiz"Bild: Cristi Ștefănescu/DW

Es ist ein schockierender Film. Hochrangige Staatsanwälte und Richter, einige anonym, andere mit Namen und Gesicht, beschreiben darin detailliert, wie Rumäniens Justiz politisch gelenkt wird - wie große politische Korruptionsverfahren in Schubladen verschwinden, wie gewissenhafte Staatsanwälte und Richter von Vorgesetzten ausgebremst und bestraft werden, wie manche Politiker und Staatsbeamte ungesühnt Millionensummen veruntreuen. In Rumänien, sagt ein hochrangiger Justizbeamter im Film resigniert, vegetiere das Rechtssystem vor sich hin.

Der zweistündige Videofilm "Gekaperte Justiz" der rumänischen Journalistenplattform Recorder, veröffentlicht am Dienstag (9.12.2025), erschüttert derzeit die Politik und Öffentlichkeit in dem südosteuropäischen Land. Binnen zweieinhalb Tagen sammelte er auf Youtube mehr als drei Millionen Views. In allen Medien des Landes ist er derzeit Thema Nummer eins.

Seit Mittwoch demonstrieren wütende Menschen jeweils abends in der Hauptstadt Bukarest und einigen anderen Städten gegen die Zustände in der Justiz und gegen deren politische Beeinflussung. Der rumänische Staatspräsident Nicusor Dan plädierte auf seiner Facebook-Seite in einem Beitrag zu dem Film für eine konsequentere Justizreform. Er erhielt dafür zehntausende Likes, aber auch tausende teils wütende Kommentare, in denen Menschen ihn dazu aufriefen, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Der Regierungschef Ilie Bolojan äußerte gegenüber rumänischen Medien Verständnis für die Frustration der Bürger über das Justizsystem und versprach, dass man "schwerwiegende Probleme im System korrigieren" werde.

Seit Jahrzehnten Thema

Das Thema der gelenkten Justiz und des verschleppten Kampfes gegen Korruption beschäftigt die rumänische Öffentlichkeit seit Jahrzehnten. Es führte in den vergangenen Jahren immer wieder zu massiven Protesten in der Gesellschaft und zu Staatskrisen und Regierungswechseln. Es gab zahlreiche Versuche, die Justiz zu reformieren und von der Politik unabhängig zu machen - ohne nachhaltigen und langfristigen Erfolg.

Insofern ist das Thema des Filmes nicht neu. Auch einzelne Staatsanwälte oder Richter setzten sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch mit dem Justizsystem auseinander. Neu an dem Film ist, wie viele hochrangige Staatsanwälte und Richter sich jetzt äußern - und mit welcher Detailfülle sie über die Beeinflussung der Justiz durch Politiker und durch leitende Beamte im Justizapparat sprechen.

Kaum noch Verurteilungen

Einer derer, die namentlich vor der Kamera auftreten, ist Liviu Lascu, Staatsanwalt und ehemaliger Leiter der Militärabteilung in der Nationalen Anti-Korruptionsdirektion DNA. Sie ist Rumäniens wichtigste Behörde im Kampf gegen weitreichende politische Korruption. Lascu berichtet im Film darüber, wie man ihm bereits lückenlos dokumentierte Fälle von Korruption im Sicherheits- und Militärapparat Rumäniens entzog und er aus seiner Funktion gedrängt wurde.

Der ehemalige DNA-Leiter Crin Bologa, der bis März 2023 amtierte, äußert sich ebenfalls und sagt, er habe den Eindruck, dass die DNA unter seinem Nachfolger Marius Voineag von unliebsamen Staatsanwälten gesäubert worden sei. Das würde auch erklären, warum es in Rumänien seit einiger Zeit kaum noch Verurteilungen wegen Korruption gibt.

Der Oberste Gerichtshof (ICCJ) Rumäniens in der Hauptstadt BukarestBild: llccvv/Pond5 Images/IMAGO

Zwei hochrangige Richter sprechen im Film darüber, wie Richter in politischen Korruptionsfällen ausgetauscht wurden, wenn Beschuldigten Haftstrafen drohten. Die Vorwürfe gelten vor allem Lia Savonea, ehemals Vorsitzende des Obersten Rates der Magistratur (CSM), ein Gremium zur Selbstverwaltung und Kontrolle der rumänischen Justiz, das zahlreiche Kompetenzen besitzt.

Der CSM kann Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen für Richter aussprechen, die Zusammensetzung von Gerichtskammern ändern und Disziplinarstrafen verhängen. Lia Savonea und ihr ergebene CSM-Mitglieder sollen von diesen Kompetenzen vielfach Gebrauch gemacht haben, um Korruptionsverfahren zugunsten von Beschuldigten zu beeinflussen. Savonea gilt in der rumänischen Öffentlichkeit als ein "Gesicht der gekaperten Justiz".

Odyssee bis zur Verjährung

Ein prominenter Fall, der im Film breiten Raum erhält, ist der des ehemaligen Bukarester Bezirksbürgermeisters Marian Vanghelie, der wegen Amtsmissbrauchs, Bestechlichkeit und Geldwäsche jahrelang vor Gericht stand. Nach einer ursprünglichen Verurteilung zu mehr als elf Jahren Haft folgte eine regelrechte Justizodyssee, dann wurden im März 2025 alle Verfahren gegen ihn aufgehoben, da die Tatbestände verjährt waren. Kommentatoren sprachen von seinem Fall als dem eines "exemplarischen Scheiterns der Justiz".

Angeklagt, verurteilt und dann wegen Verjährung doch nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen: Marian VanghelieBild: Alex Nicodim/Anadolu Agency/IMAGO

Bereits jetzt hat der Film in Rumänien ein politisches Erdbeben ausgelöst. Am Donnerstag (11.12.2025) berief das Bukarester Appellationsgericht (CAB) - jenes, das federführend für den Fall Vanghelie verantwortlich ist - erstmals überhaupt eine Pressekonferenz ein. Die Gerichtsvorsitzende Liana Arsenie wollte sich gegen die Vorwürfe der Recorder-Filmemacher verteidigen - doch die Pressekonferenz endete mit einer öffentlichen Blamage. Denn eine der ebenfalls anwesenden CAB-Richterinnen, Raluca Morosanu, bestätigte vor der versammelten Presse die Vorwürfe aus dem Film. Im Namen von Kollegen sagte sie: "Wir werden schlicht und einfach terrorisiert, mit Disziplinarverfahren und allem anderen, was uns bekanntermaßen so passiert."

Heikle wirtschaftliche Situation

Für die rumänische Regierung und den Staatspräsidenten Nicusor Dan kommt die Veröffentlichung des Filmes in einem heiklen Moment. Rumänien ist in einer schwierigen Wirtschaftssituation und hatte 2024 mit 9,3 Prozent das größte Haushaltsdefizit der EU. Für dieses Jahr sind sieben Prozent angepeilt, was immer noch ein Negativrekord wäre.

Nach einer turbulenten innenpolitischen Phase, in der fast ein Rechtsextremer Präsident Rumäniens geworden wäre, amtiert seit Mai 2025 der liberal-konservative ehemalige Anti-Korruptionsaktivist Nicusor Dan. Mit Mühe gelang es, im Juni 2025 eine große Vier-Parteien-Koalition unter dem Premier Ilie Bolojan von der National-Liberalen Partei (PNL) zusammenzubringen.

Rumäniens Präsident Nicusor Dan bei seiner Vereidigung als Präsident im Mai 2025Bild: Andrei Pungovschi/Getty Images

Eines ihrer schwierigsten Vorhaben ist die Reform des Haushalts und dabei auch der sogenannten Sonderrenten. Das sind Dienstrenten für Staatsbeamte, die teils bereits im Alter von 48 Jahren in Rente gehen können und umgerechnet teilweise bis zu 14.000 Euro monatlich erhalten - während die rumänische Durchschnittsrente rund 540 Euro beträgt und hunderttausende ehemals in der Landwirtschaft Beschäftigte im Schnitt nur 120 Euro Rente bekommen.

Präsident lädt ein

Vor dem Hintergrund, dass es oftmals ehemalige Justizbeamte sind, die Sonderrenten bekommen, löst der Recorder-Film in der Öffentlichkeit nun besondere Wut aus. Die Regierung gerät unter Druck, Reformen in der Justiz und bei den Sonderrenten durchzuführen. Letzteres ist seit August geplant, doch aus der Justiz heraus wurde das Vorhaben mehrfach blockiert. Nun muss das Verfassungsgericht über das Gesetz zur Abschaffung der Sonderrenten entscheiden - wann das geschieht, ist unklar.

Unterdessen nimmt sich nun Rumäniens Staatspräsident des Themas der gekaperten Justiz an. Auf Facebook lud er alle unzufriedenen Staatsanwälte und Richter zu einer "Diskussion ohne Zeitbegrenzung" für den 22. Dezember ein. Das Datum hat einen hohen Symbolwert: Es ist der Tag, an dem 1989 die Willkürherrschaft des Diktators Nicolae Ceausescu endete.

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