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Politik

Rumänien wehrt sich gegen Scheinreformen

Robert Schwartz
9. November 2017

Die Regierung in Bukarest will das Justizsystem verändern und plant noch eine Steuerreform dazu. Zivilgesellschaft, Opposition, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände laufen dagegen Sturm.

Proteste vor dem Regierungspalast in Bukarest
Proteste vor dem Regierungspalast in BukarestBild: DW/C. Stefanescu

Bukarest im November. Ein eiskalter Wind weht durch die Straßen, doch er scheint den über 2.000 Demonstranten an diesem Mittwoch nichts auszumachen. Der Sturm, der den Rumänen aus dem Regierungspalast um die Ohren pfeift, ist viel stärker - und gefährlich, sagt uns ein junger Mann, der seit Tagen gegen die sogenannten Reformen der rumänischen Regierung protestiert. "Es ist einfach zuviel. Zuerst die Justizgesetze, jetzt dieses Steuerabenteuer, durch das der Privatsektor zerstört wird. Wir haben keine andere Wahl, wir müssen dagegen protestieren", erklärt uns Victor. Es ist nicht die Verzweiflung, die seit über 280 Tagen in Bukarest und anderen rumänischen Großstädten die Menschen immer wieder auf die Straße treibt, sagt uns ein anderer Demonstrant. Es ist die Entschlossenheit, mit der sie den Rechtsstaat verteidigen wollen.

Andrei Taranu: "Schädliche Scheinreformen"Bild: DW/C. Stefanescu

Das Signal ist eindeutig. Die rumänische Zivilgesellschaft zeigt Standfestigkeit und lässt sich nicht mit hohlen Versprechungen für dumm verkaufen. Anfang des Jahres hatten über 600.000 Menschen landesweit gegen die Unterordnung der Justiz durch die sozial-demokratische Regierung protestiert. Die Bilder aus Bukarest mit einem Handy-Lichtermeer gingen um die ganze Welt. Es war ein erster Höhepunkt der Dauerproteste, die seither täglich vor dem Victoria-Palast der rumänischen Regierung stattfinden. Manchmal sind es nur ein  paar Dutzend Protestler, letzten Sonntag waren es wieder über 20.000, die gegen die Verwässerung der Justiz demonstrierten.

Kritik des Präsidenten

Was den Regierenden im Winter 2017 durch eine Eilverordnung nicht gelang, soll jetzt unter dem Deckmantel des demokratischen Parlamentarismus vollendet werden. Dabei geht es vor allem um die Schwächung der Anti-Korruptionsbehörde und die Neudefinierung des Amtsmissbrauchs sowie die politische Unterordnung der Justiz. Nutznießer der neuen Gesetze sind unter anderen all jene Politiker, die bereits rechtskräftig verurteilt wurden oder gegen die wegen Korruption und Amtsmissbrauchs ermittelt wird. Nicht nur die Zivilgesellschaft sieht darin eine Gefahr für den Rechtsstaat, sondern auch Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Richter und nicht zuletzt Staatspräsident Klaus Iohannis, der das Vorhaben in scharfen Tönen kritisiert.

Prominentester Nutznießer der vorgeschobenen Justizreform wäre Liviu Dragnea, Chef der regierenden sozial-demokratischen PSD und Parlamentspräsident. Mit einer Haftstrafe auf Bewährung wegen Wahlmanipulation und einem weiteren laufenden Verfahren gegen ihn durfte er nach dem Wahlsieg seiner Partei im letzten Jahr nicht das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Seither zieht er die Fäden seiner Marionetten-Regierung. Unterstützung bekommt Dragnea von seinem Junior-Partner in der Koalition, der pseudo-liberalen Splitterpartei ALDE. Gegen deren Chef und Senatspräsident Calin Popescu-Tariceanu wird wegen Meineids in einer Privatisierungsaffäre ermittelt.

Ein Steuerabenteuer

Das Regieren aus dem Hintergrund scheint aber nicht so zu laufen, wie es sich Dragnea gewünscht hat. Bereits ein halbes Jahr nach der Machtübernahme musste der Schein-Premierminister ausgewechselt werden, weil er offensichtlich nicht mehr mitspielen wollte. Der sozialdemokratische „Hoffnungsträger" Sorin Grindeanu wurde von seiner eigenen Partei im Sommer 2017 aus dem Amt gejagt und mit einem diesmal scheinbar "Willigen" ersetzt. Doch auch zwischen dem neuen Regierungschef Mihai Tudose und seinem Parteiboss gab es erste Unstimmigkeiten. Jetzt scheint Tudose ein ähnliches Schicksal wie das seines Vorgängers zu ereilen, sollte er die mehrmals angekündigte und aufgeschobene "Steuer-Revolution" nicht umsetzen. Per Eilverordnung wurde ein neues Steuergesetz durchgeboxt, das in den nächsten Tagen im Parlament verabschiedet werden soll.

Protest in Bukarest gegen die geplante JustizreformBild: picture-alliance/AP Photo/A. Alexandru

Das Maßnahmenpaket sieht unter anderem ab 2018 die Anhebung des Mindestlohns von umgerechnet 320 Euro (1.450 Lei) um 100 Euro (auf 1.900 Lei) vor. Im Gegenzug aber gehen die Lohnnebenkosten ausschließlich zu Lasten des Arbeitnehmers.

Gegen diese umstrittenen Änderungen wehren sich nicht nur Arbeitgeberverbände, sondern auch Gewerkschaften, Opposition und die Zivilgesellschaft. Präsident Iohannis warnte eindringlich vor einem "Steuerabenteuer mit traurigem Ausgang". Und der Ausgang scheint sich bereits abzuzeichnen: Der rumänische Leu fiel im Vergleich zum Euro auf seinen niedrigsten Stand seit fünf Jahren.

Eingriff in das Justizwesen

Mehrere Arbeitnehmerverbände haben wegen des geplanten Lohnnebenkostentransfers einen landesweiten Generalstreik angekündigt. Der Chef der Gewerkschafts-Konföderation "Cartel Alfa", Bogdan Hosu, sagte im DW-Gespräch, es sei inakzeptabel, dass die Hälfte eines Lohns für Steuern und andere Abgaben aufgebracht werden müsse. "Trotz Lohnerhöhung und Senkung des Steuersatzes werden die Arbeitnehmer wegen des Transfers der Lohnnebenkosten zusätzlich belastet. Es ist ein wirtschaftliches und soziales Desaster", sagte Hosu.

CartelAlfa: "Ein wirtschaftliches und soziales Desaster"Bild: DW/C. Stefanescu

Ähnlich äußert sich auch der prominente Politologe Andrei Taranu, Prodekan der Hochschule für Politikwissenschaften. Im DW-Interview sagte Taranu, diese Gesetzesänderungen seien rechtswidrige Eingriffe in das Justizwesen und das Steuerrecht, deren Nutznießer nur die Regierenden seien. "Diese Scheinreformen schaden Rumänien sowohl nach innen als auch nach außen. Jetzt liegt es am Staatspräsidenten, alle ihm möglichen Instrumente anzuwenden, damit diese Besessenheit blockiert werden kann, mit der die Regierung ihr Vorhaben durchzubringen versucht."

Die liberale Opposition will einen Misstrauensantrag im Parlament gegen die Regierung einbringen. Die Chancen für einen Erfolg sind allerdings eher gering. Allzu oft hat sich die parlamentarische Mehrheit als brave Wahlmaschine für die PSD-ALDE-Regierung erwiesen. Für die nächsten Tage sind weitere Massenproteste angekündigt.

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