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Rumänien will über Holocaust an Roma nicht mehr schweigen

Cristian Stefanescu (aus Bukarest)
1. August 2025

Nicusor Dan ist der erste rumänische Präsident, der an einer eigenständigen Gedenkveranstaltung für die Roma-Opfer des Holocaust teilnimmt. Ein wichtiges Signal in einer polarisierten Gesellschaft, die Heilung braucht.

Ein Mann im dunkelblauen Anzug verneigt sich vor einem Kranz mit roten Blumen und der rumänischen Flagge, umgeben von drei Soldaten in Parade-Uniformen
Der rumänische Präsident Nicusor Dan vor dem Holocaust-Mahnmal in Bukarest Bild: Cristian Stefanescu/DW

Das Holocaust-Mahnmal liegt in einem wenig besuchten Winkel des historischen Zentrums der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Ganz in der Nähe war während der Diktatur Nicolae Ceausescus der Sitz der berüchtigten politischen Polizei Securitate. Jahrelang war es nicht vorgesehen, dass das Holocaust-Mahnmal auch den ermordeten Roma gewidmet sein sollte. Erst nach langem Zögern und erheblichem zivilgesellschaftlichem Druck wurde ein steinernes Rad hinzugefügt - ein Symbol für die Wege ohne Rückkehr, als Roma aus Rumänien während des Zweiten Weltkriegs nach Transnistrien deportiert wurden. 

Zwei Tage vor dem europäischen Gedenktag an den Genozid an Sinti und Roma am 2. August - Porajmos - nahm der neue rumänische Präsident Nicusor Dan an einer Gedenkveranstaltung für die im Holocaust ermordeten Roma teil. Zum Gedenken an diesem Tag (31.07.2025) in der Hauptstadt Rumäniens waren auffällig viele Sicherheitsleute im Einsatz. In einem zunehmend polarisierten politischen Klima, in dem rassistische und extremistische Diskurse online wie offline an Raum gewinnen, war dies eine deutliche Vorsichtsmaßnahme zum Schutz einer Minderheit, die in Rumänien nach wie vor oft zum Sündenbock wird.

Die Anwesenheit des pro-europäischen Präsidenten, der sich bei den Wahlen im Mai 2025 gegen den rechtsradikalen Kandidaten George Simion durchsetzen konnte, ist mehr als Symbolpolitik. Sie ist ein deutlicher Appell: Rumänien braucht eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit seiner Geschichte und eine grundlegende Veränderung des oftmals von Hass geprägten öffentlichen Diskurses. 

"Demokratiedefizit gefährlicher als Haushaltsdefizit" 

Die zweistündige Gedenkveranstaltung brachte Vertreter und Vertreterinnen des Präsidialamts, der Regierung, des diplomatischen Korps sowie Mitglieder der Roma-Gemeinschaft zusammen. Zwischen bürokratischer Nüchternheit und formelhaftem Pathos gab es auch eindringliche Redebeiträge, die eine direkte Verbindung herstellten zwischen der Geschichte und den heutigen Gefahren. Petre Florin Manole, Rumäniens Minister für Arbeit, Familie und Jugend, betonte, dass man in Rumänien viel mehr über das Haushaltsdefizit diskutiere als über Rechtsextremismus: "Aber das Demokratiedefizit ist das gefährlichste - und es lässt sich nicht mit punktuellen Maßnahmen beheben. Es braucht Jahrzehnte." 

Der rumänische Arbeitsminister Petre Florin Manole (links) und die Außenministerin Oana Toiu Bild: Cristian Ștefănescu/DW

Der Minister sprach dabei nicht nur als Amtsträger, sondern auch als Angehöriger der Roma-Minderheit. Er ist der erste Rom in der Geschichte des demokratischen Rumäniens, der ein Ministerium leitet.

Auch Mircea Dumitru, Vizepräsident der Rumänischen Akademie, stellte klar: Das lange Schweigen in der rumänischen Gesellschaft habe die Roma-Opfer selbst im Tod unsichtbar gemacht. Mit einem Zitat des deutschen Bürgerrechtsaktivisten und Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erinnerte er daran, dass der Porajmos nicht nur eine Wunde der Vergangenheit sei, sondern auch eine Warnung - eine Mahnung, was geschehen könne, "wenn Hass Gesetz wird". Damals wurden Menschen "ihrer Freiheit, ihrer Würde und ihres Lebens beraubt - einzig aufgrund ihrer Identität, ihrer Ethnie, also dessen, was sie waren und nicht ändern konnten". 

Was war der Porajmos?

"Porajmos" bedeutet in der Sprache Roma "Verschlingen" oder "Vernichtung" und bezeichnet den Völkermord an Roma und Sinti während des Zweiten Weltkriegs. Schätzungen zufolge wurden europaweit bis zu 500.000 Sinti und Roma von den Nationalsozialisten und ihren Verbündeten ermordet.

In Rumänien ließ das mit Hitler verbündete Antonescu-Regime ab 1942 über 25.000 Roma nach Transnistrien deportieren. Sie wurden als "Asoziale" oder "Nomaden" stigmatisiert und in Güterzüge ohne Wasser oder Nahrung verfrachtet. Viele starben dort an Hunger, Typhus oder an den Folgen der brutalen körperlichen Gewalt, die sie erleiden mussten. "Diese über 25.000 Opfer des Holocaust scheinen [für manche] nicht genug gewesen zu sein", sagte der rumänische Roma-Abgeordnete Nicolae Paun. Heute gebe es Gruppierungen in Europa "mit rassistischen, xenophoben und hetzerischen Parolen", gegen die man sich wehren müsse. 

Bis 2004 - dem Jahr der Veröffentlichung des Berichts der Elie-Wiesel-Kommission, der die Beteiligung Rumäniens am Holocaust offiziell anerkannte - wurde der Porajmos in Rumänien öffentlich weitgehend verschwiegen. In der Geschichtsschreibung und im politischen Diskurs kam er kaum vor, im Schulunterricht überhaupt nicht.

"Geschichte kennen und anerkennen"

"Es ist unsere Pflicht, unsere Geschichte zu kennen und anzuerkennen", erklärte Präsident Nicusor Dan in seiner Rede. Rumänien neige dazu, eigene Probleme zu externalisieren, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Noch immer gebe es Diskriminierung und tief verwurzelte Einstellungen, die geändert werden müssten.

Minister Petre Florin Manole ergänzte: Zwar gebe es Gesetze, die Gedenkveranstaltungen wie diese ermöglichten. Doch die Gesetze, die in Rumänien rassistische und antisemitische Äußerungen oder die Verherrlichung von Kriegsverbrechern verbieten, würden seit Jahrzehnten nur unzureichend durchgesetzt. 

"Teil der rumänischen Nation"

"Vielfalt ist eine Ressource - kein Vorwand für Hass", betonte Iulian Paraschiv, Staatssekretär und Leiter der Nationalen Agentur für Roma. Die Roma seien eine der jüngsten Bevölkerungsgruppen Rumäniens - ein Potenzial, das Politik und Wirtschaft weitgehend ignoriere. Dabei, so Paraschiv, seien Roma "Teil der rumänischen Nation - seit der Gründung des modernen Nationalstaates".

Der 2. August erinnert nicht nur an die Ermordung der letzten Roma in Auschwitz-Birkenau. Er erinnert auch an den Widerstand: Im Mai 1944 wehrten sich Häftlinge mit Schaufeln und Werkzeug gegen ihre bevorstehende Ermordung. Und er würdigt die Überlebenden, die die lange verleugnete Erinnerung bis heute bewahren.   

Bildung statt Verdrängung

Als wichtige Schritte bezeichnet Catalin Manea, Regierungsberater und Vertreter der rumänischen Roma-Partei, das geplante neue Wahlfach an Schulen zur Geschichte der Sklaverei und Deportation der Roma und ein erstes nationales Museum für Roma-Kultur, dessen Aufbau gesetzlich beschlossen wurde: "Kinder - ob Roma oder Nicht-Roma - müssen wissen, wer wir sind und was geschehen ist."

Rose: Auschwitz verpflichtet Europa zur Menschlichkeit 

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Die rumänische Außenministerin Oana Toiu erinnerte sich an ihre Zeit als Freiwillige in Feriencamps für Roma-Kinder vor 20 Jahren: "Ich habe vieles über diese Ereignisse der Geschichte erst dort erfahren - sie fehlten in meinen Schulbüchern, in meinem Elternhaus, in der öffentlichen Debatte." Sie warnte vor jenen, die unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit Diskriminierung verbreiten: "Wir müssen lernen, wo Hass beginnt, wo Diskriminierung ihren Anfang nimmt."

Erinnerung als gesamteuropäische Aufgabe

Die deutsche Botschafterin in Bukarest, Angela Ganninger, erinnerte an die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, als in Auschwitz-Birkenau über 4300 Sinti und Roma - überwiegend Kinder, Frauen und Alte - vergast wurden. Sie waren die letzten von Hunderttausenden Sinti und Roma, die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Seit 2015 ist deshalb der 2. August offizieller Gedenktag der EU. 

"Es ist unsere Pflicht, ihre Geschichten nicht nur zu bewahren, sondern weiterzugeben - gerade in Zeiten von Desinformation und Spaltung", sagte Ganninger. Roma und Sinti erlebten auch heute noch Diskriminierung, auch in Deutschland: in Schulen, bei der Jobsuche, auf dem Wohnungsmarkt. 

Deutschland habe gezeigt, dass das Eingeständnis der eigenen Schuld eine Gesellschaft nicht schwäche, sondern stärke: "Nie wieder beginnt heute", so die deutsche Botschafterin - und der Porajmos betreffe nicht nur Rumänien, sondern ganz Europa.