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Politik

Mehr Schutz für Saisonarbeiter!

8. Mai 2020

Dragoș Pîslaru aus der Fraktion Renew Europe kritisiert die "Vogel-Strauß-Politik" Rumäniens, wenn es um den Schutz seiner Saisonarbeiter in Westeuropa geht. Auch Deutschland sollte mehr Verantwortung übernehmen.

Deutschland Rheinmünster Erste Maschinen mit Erntehelfern aus Rumänien gelandet
Rumänische Erntehelfer, die mitten in der Corona-Pandemie mit Sonderflügen nach Deutschland gekommen sindBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

DW: Hunderte von Rumänen, die in einem deutschen Schlachtbetrieb arbeiten, haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Im April ist ein rumänischer Saisonarbeiter an Covid-19 gestorben, der zur Spargelernte nach Deutschland gekommen war. Sie haben angekündigt, sich einer Initiative der Vertreter Ihrer Partei für die Diaspora anzuschließen, um die Behörden aufzufordern, rumänische Saisonarbeiter im Ausland besser zu schützen. Welche Maßnahmen sind nötig?  

Dragoș Pîslaru: Es gibt eine Reihe von strukturellen Problemen der Saisonarbeiter aus Rumänien und anderen EU-Ländern. Durch die Corona-Krise sind sie besonders sichtbar geworden. Einerseits geht es um Arbeitsverträge, die den Saisonarbeitern nicht vor ihrer Abreise aus der Heimat ausgehändigt werden, sowie um eine Reihe von Verstößen, zum Beispiel, wenn Transportkosten vom Lohn abgezogen werden oder der Arbeitnehmer nicht darüber informiert wird, welche Rechte er in Sachen Sozialversicherung hat. Andererseits ist es völlig unpassend, aus den Medien von solchen Fällen zu hören und nicht eine schnelle Reaktion der entsprechenden Institutionen in Rumänien und Deutschland zu sehen. Daher versuchen wir, die Behörden für diese Probleme zu sensibilisieren – sowohl auf EU-Ebene als auch auf staatlicher Ebene. Dabei geht es nicht nur um die rumänischen Saisonarbeiter, sondern um die Rechte aller EU-Arbeitnehmer, die in einem andern Staat tätig sind. 

Was kann man in solchen Fällen konkret tun, um die Saisonarbeiter zu unterstützen? 

Ich finde, der rumänische Staat wäscht sich die Hände wie Pontius Pilatus, wenn es um die Probleme rumänischer Bürger außerhalb der Grenzen Rumäniens geht. Zwar gibt es rumänische Arbeitsattachees (innerhalb der jeweiligen Botschaft, Anm. d. Red.) in anderen EU-Mitgliedsstaaten, aber deren Ressourcen sind zu knapp – eine einzige Person muss sich um alles kümmern, von Job-Fragen bis zu jeglichen sozialen Problemen. 

Was konkret zu tun wäre: Erstens brauchen wir eine sehr solide Informationskampagne in Rumänien, um den Leuten zu erklären, welche Rechte sie haben - zum Beispiel, wenn es um Arbeitsverträge geht. Es gibt ein großes Machtgefälle zwischen dem westeuropäischen Arbeitgeber, der ein höheres Gehalt bieten kann als in Rumänien, und dem rumänischen Arbeitnehmer, der verzweifelt nach einem Einkommen für seine Familie sucht, gerade jetzt, in Krisenzeiten. Dies führt oftmals zu Machtmissbrauch. 

Dragoș Pîslaru gehört zur pro-europäischen Allianz USR-PLUS in Rumänien Bild: Privat

Zweitens ist ein transparentes Beschwerde-System nötig: Wenn ein rumänischer Arbeitnehmer im Ausland Probleme mit seinem Arbeitgeber hat, muss es klar sein, wo er anruft, wer ihm hilft und in welcher Funktion das geschieht. Ich weiß, dass die Konsularabteilungen tun, was sie können, genauso wie die Arbeitsattachees und die jeweiligen Vertreter des rumänischen Innenministeriums, aber das ist nicht genug. Auf Facebook gibt es unzählige Gruppen von Rumänen aus der Diaspora (rund 4 Millionen Rumänen leben und arbeiten in anderen europäischen Ländern), die sich über alles Mögliche beschweren, aber von rumänischer Seite kommt nichts Pro-Aktives. Es wird eher eine Vogel-Strauß-Politik betrieben: Man steckt den Kopf in den Sand und wartet, dass alles vorbeigeht. 

Was müssten Deutschland und andere westeuropäische Länder tun, in denen Saisonkräfte aus Rumänien und anderen mittel- und osteuropäischen EU-Staaten arbeiten? 

Verschiedene Behörden in westeuropäischen Staaten haben es stillschweigendend akzeptiert, dass diese Probleme der Saisonarbeiter eben Dinge sind, mit denen sich die Arbeitgeber beschäftigten sollen. Jetzt, mitten in der Corona-Krise, beobachte ich mehr Solidarität als je zuvor für die osteuropäischen Saisonarbeiter von Seiten der deutschen Gewerkschaften und NGOs. Diese haben viel lauter gegen die schlechten Arbeitsbedingungen rumänischer Arbeiter in Deutschland protestiert als ich es in Rumänien in diesem Kontext vernommen hätte. 

Deutschland sollte mehr Ressourcen für Überprüfungen in diesem Bereich einsetzen. Gleichzeitig ist auch auf deutscher Seite eine Informationskampagne nötig, in der die Rechte hervorgehoben werden, die deutsche Arbeitgeber einhalten müssen, die diese Saisonarbeiter einstellen. 

Auf EU-Ebene bin ich an den Verhandlungen zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit beteiligt, die leider ins Stocken geraten sind - gerade wegen Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Themen wie Arbeitslosenhilfe. Ein konkretes Beispiel: Wenn ein rumänischer Saisonarbeiter in Westeuropa an Covid-19 erkankt und vielleicht länger ausfällt, ist es unter den aktuellen Umständen nicht ganz klar, wie lang sein Arbeitseinsatz vorher gewesen sein muss, damit er bestimmte Rechte erworben hat in Bezug auf Arbeitslosenhilfe usw. Ich möchte, dass das Dossier 883 - die Koordinierung der Systeme zur Sozialen Sicherheit - abgeschlossen wird. Wenn nicht jetzt, während der EU-Ratspräsidenschaft Kroatiens, dann hoffentlich in der zweiten Jahreshälfte, während der deutschen Präsidentschaft. Gerade vor dem Hintergrund dieser Probleme der rumänischen Saisonarbeiter in der Bundesrepublik erwarte ich, dass die deutschen Behörden hier die Führungsrolle übernehmen. Sie sollten zeigen, dass deutsche Arbeitgeber nicht nur die Vorteile genießen, wenn sie Arbeitskräfte für die Spargelernte oder Ähnliches brauchen, sondern verstehen, dass in einem gemeinsamen Markt die Rechte aller Arbeitnehmer garantiert werden müssen. 

Was halten Sie davon, dass Länder wie Deutschland in Zeiten der Corona-Pandemie Saisonarbeiter aus Rumänien mit Sonderflügen ins Land holen? 

Ich beobachte hier eine gewisse Heuchelei der westlichen Gesellschaften. Für Politiker ist es oft leicht, dem nationalistischen Narrativ zu folgen und zu sagen: Es gibt eine Invasion der ausländischen Arbeiter, sie nehmen uns die Jobs weg und es kommt zu Sozialdumping. Doch jetzt, in der Corona-Krise, leiden Österreich und Deutschland daran, dass nicht genug Rumänen kommen, um in der Pflege oder bei der Ernte zu helfen. Es ist ein hässlicher Doppelstandard: Einerseits spricht man von Sozialdumping, aber wenn man die Leute dringend braucht, setzt man sie ins Flugzeug, ohne ihnen unbedingt die entsprechenden Bedingungen zu bieten, und wenn einem etwas nicht mehr passt, beschränkt man wieder ihre Mobilität. 

Die Corona-Krise hat diese Probleme nicht geschaffen – sie zeigt sie nur umso deutlicher. Es sind, um einen medizinischen Begriff zu verwenden, gewissermaßen "Vorerkrankungen" des Systems. Jetzt zeigt sich, dass das Thema der angeblichen Invasion von osteuropäischen Arbeitskräften künstlich aufgeblasen worden war in vielen Wahlkämpfen im Westen. Und jetzt herrscht Schweigen – vor allem auf der Ebene der Politiker, die sehen, was passiert, aber nichts tun, um den Arbeitern aus dem Osten zu helfen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. 

Das Gespräch führte Dana Alexandra Scherle. 

Der rumänische Ökonom und Politiker Dragoș Pîslaru (geboren 1976) von der Allianz USR-PLUS war unter anderem Minister für Arbeit und Sozialschutz in Rumänien (April 2016-Januar 2017). Seit 2019 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments. 

 

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