Rentensystem in Rumänien
12. August 2010Rumänien ist - mit Ausnahme Bulgariens - das Land mit den niedrigsten Renten und mit den größten Gegensätzen zwischen armen und reichen Rentnern in der EU. Das Gleichgewicht zwischen Rentnern und der aktiven Bevölkerung ist massiv gestört. Rund sechs Millionen Bürger beziehen ihre Rente vom Staat. Dagegen arbeiten nur knapp über vier Millionen Menschen.
Erschwerend kommt hinzu, dass lediglich 58 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung bis zum Renteneintrittsalter von 64 Jahren tatsächlich beschäftigt sind. Grund dafür ist eine allgemeine Vorruhestands-Regelung, durch die die Politik praktisch die Arbeitslosigkeit verschleiert.
Aus einer aktuellen Statistik geht außerdem hervor, dass eine von sechs Arbeitsunfähigkeitsrenten illegal erworben wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass das reale Renteneintrittsalter in Rumänien bei 55 Jahren liegt.
Defizit wegen Renten-Loch
Doch das rumänische Rentensystem weist noch weitere Besonderheiten auf. Beträgt die kleinste Rente umgerechnet rund 80 Euro, verfügen einige Hunderttausend Pensionäre über so genannte Luxus-Renten von bis zu 8.000 Euro pro Monat. Eine Berufsgruppe sticht dabei besonders hervor: die Richter.
Der rumänische Präsident Traian Basescu zeichnete jüngst in einem TV-Interview ein düsteres Bild des Rentensystems: "Ausgehend von einem Wahlversprechen, die Renten anzuheben, haben wir eine schwierige Situation übernommen. Wir werden Jahr für Jahr ein Defizit in der Rentenkasse von drei bis vier Milliarden Euro zu finanzieren haben. Wir müssen uns Geld leihen, nicht um Investitionen zu tätigen, sondern um 3,7 Milliarden Euro jährlich in das Renten-Budget zu stopfen."
Rezession erschwert Lage
Zwischen 2007 und 2008, als Rumänien ein von Konsum geprägtes Wirtschaftswachstum von acht Prozent verzeichnete, beschloss die damalige Regierung eine Anhebung der Renten um 50 Prozent. Diese wirtschaftlich wenig sinnvolle Maßnahme war politisch bedingt, sind doch die Rentner eine nicht zu verachtende und disziplinierte Wählermasse. Die Folgen sind verheerend: Experten gehen davon aus, dass das rumänische Rentensystem in spätestens 30 Jahren zusammenbricht.
Die verlängerte Rezession hat zur Verschärfung der Lage beigetragen. Der harte Sparkurs, den die Regierung des Premierministers Emil Boc dem Land verordnet hat, sollte auch die Rentner treffen: die Herabsetzung der Renten um 15 Prozent war Teil des Pakets.
Tausende Rentner gingen auf die Straße. Das Verfassungsgericht wies die Maßnahme als verfassungswidrig zurück, die Regierung musste den Beschluss zurück nehmen. Was somit auch die Beibehaltung der hohen "Luxus-Renten" bedeutete - die Richterschaft war zufrieden.
Lösungsansätze
Jetzt werden in Rumänien neue Ansätze gesucht, um die Rentner doch noch zur Kasse zu bitten. Im Gespräch ist die Besteuerung aller Renten - zurzeit wird der allgemeine Einheits-Steuersatz von 16 Prozent (Flat-Tax) nur ab einer Rente von 240 Euro erhoben. Denkbar wäre auch die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre für Männer und 60 für Frauen. Anfang September soll im Parlament über ein neues Rentengesetz beraten werden.
Trotz der Gefahr eines Zusammenbruchs des staatlichen Rentensystems steckt die private Vorsorge noch in den Kinderschuhen. Private Rentenfonds machen gerade Mal 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Erklärung dafür liegt auch in der weiterhin flächendeckenden Korruption.
Einerseits befürchten viele Menschen, von den Privatfirmen über den Tisch gezogen zu werden. Andererseits gibt es, nach Meinung von Beobachtern, einen stillschweigenden "Vertrag" zwischen dem Staat und einem großen Teil seiner Bürger mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt: sie dürfen weiterhin vom maroden System profitieren und dulden im Gegenzug die Korruption der staatlichen Behörden. Ein Geschäft, aus dem der Staat als Verlierer hervorgehen müsse.
Autoren: Vlad Mixich / Robert Schwartz
Redaktion: Mirjana Dikic/ Fabian Schmidt