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Politik

Russen in den USA: "Putin? No good!"

Rieke Havertz
1. März 2022

Mehr als eine halbe Million Russen leben in New York. In Brighton Beach, genannt Little Odessa, hüllen sich viele angesichts des Krieges in der Ukraine in Schweigen. Andere schwanken zwischen Ärger, Scham und Sorge.

USA I Little Odessa in New York
Bild: Rieke Havertz

Es gibt drei Welten in Brighton Beach am südlichsten Zipfel Brooklyns in New York. Da ist die laute Einkaufsstraße mit den Juwelieren, Supermärkten, Kiosken, Apotheken. Ein Laden reiht sich an den nächsten, auf Tischen vor den Geschäften werden russische Backwaren, Bücher mit kyrillischen Titeln für einen Dollar und bei "Pretty Woman" Jacken in den Farben der russischen Flagge verkauft. Im Minutentakt rattern die silbernen Züge der New Yorker Subway über den Köpfen der Menschen hinweg, dann ist kein Wort mehr zu verstehen. Und wenn die U-Bahn vorübergezogen ist, sind so gut wie keine Gespräche auf Englisch zu hören; Russisch ist die Sprache der Straße. 

Nur einen Block entfernt ist in der zweiten Welt auf dem Riegelmann Boardwalk nicht mehr als das Schreien der Möwen am Strand zu hören. Die Promenade ist fast leer, zu kalt weht der Wind noch vom Meer herüber. Wer an diesem Mittag hier entlang läuft, trägt Pelz oder oder dicke Funktionsjacken. Im russischen Restaurant Tatiana sitzen vereinzelt Gäste hinter Plastikplanen an üppig dekorierten Tischen. 

Und dann ist da die dritte Welt, in der Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt, der UN-Sicherheitsrat, der nur einen Stadtteil und eine halbe Stunde Autofahrt entfernt ist, zu Krisensitzungen zusammenkommt und die Vereinigten Staaten, die gemeinsam mit den westlichen Verbündeten versuchen, Wladimir Putin in seiner Aggression und seinem Machtanspruch zu stoppen.  

Viele Russen in den USA möchten sich zu den Geschehnissen in der Ukraine lieber nicht äußernBild: Rieke Havertz

Russisches Schweigen

Über diese Welt jedoch wollen viele in Little Odessa, wie Brighton Beach auch genannt wird, nicht gerne reden. Ein junges russisches Paar, das mit Blumen in der Hand die Straße herunter läuft, bleibt nur kurz stehen. Sie würden nicht mit der Politik Putins übereinstimmen, sagt der Mann, doch werde der Präsident schon seine Gründe haben, schiebt er noch hinterher. Seine Partnerin drängt ihn weiter, sie ist Professorin und will über das Thema gar nicht sprechen und schon gar nicht ihren Namen sagen. Der Krieg und die Menschen, die in der Ukraine durch russische Waffen sterben, das ist weit weg, so viel weiter weg als in der alten Heimat. Viele eilen lieber weiter, als über dieses Thema zu sprechen, die meisten aus Angst, doch manche, so wirkt es, verschanzen sich auch hinter einer vermeintlichen Sprachbarriere, um keine unpopuläre Meinung zu vertreten. 

Mehr als drei Millionen Russinnen und Russen leben in den Vereinigten Staaten, es ist die größte russische Community in der westlichen Welt. Mehr als die Hälfte von ihnen wohnen im US-Bundesstaat New York, 600.000 im Großraum New York City. Und die meisten von ihnen gemeinsam mit vielen Einwanderern aus der Ukraine auf diesen wenigen Quadratkilometern in Brooklyn, wo das Riesenrad von Coney Island an der Strandpromenade am Horizont in den Himmel ragt. 

Zwischen Scham und Sorge

Nathalie kehrt dem Vergnügungspark auf ihrem Weg den Rücken zu. Seit einem Jahr erst ist sie in New York, aus Kiew gekommen, dort fand sie keine Arbeit mehr, ihr Freund hatte eine Green Card, nun ist sie in Amerika verheiratet. Die 41-Jährige hat Angst um ihre Familie in der Heimat, "Russland ist so viel stärker als wir". Ihr Eindruck ist, dass Putins Politik für die meisten hier kein großes Thema ist. Verdrängen ist leichter, wenn die Gefahr weit weg ist. Auf der Seite des Präsidenten stünden aber trotzdem nur die wenigsten, ist sie überzeugt. Trotz der russischen Sender wie Russia Today, die auch in den Vereinigten Staaten Kreml-Propaganda ausstrahlen

Der Ukrainer Alex fürchtet um Freunde und Verwandte in seiner HeimatBild: Rieke Havertz

Tatsächlich ist viel Scham zu verspüren in Little Odessa. Eine Russin, die wenig Englisch versteht und kaum spricht, fasst sich an ihr Herz, als das Wort Ukraine fällt. Ein älteres Ehepaar, das der Kinder wegen vor sechs Jahren aus St. Petersburg nach New York kam und sprachlich noch herausgefordert ist, versucht Worte zu finden. Beide schütteln den Kopf bei der Frage nach dem russischen Präsidenten. "Putin? No good!", ruft der Mann und schwingt seinen Gehstock in die Luft. "Verdammter Putin”, sagt auch die Georgierin Selma. Nicht schlafen könne sie, ihre Familie und ihre Freunde würden die Ukraine lieben. Ihr Mann ruft im Weitergehen noch ein paar Worte der Solidarität, bevor sie sich auf der Brighton Beach Avenue wieder in den Verkehr einfädeln. 

Lange gemeinsame Einwanderungsgeschichte

Russland und die USA verbindet eine lange Einwanderungsgeschichte. Im 20. Jahrhundert flohen zunächst vor dem Zweiten Weltkrieg Tausende Russen über den Atlantik. Während des Kalten Krieges wurden Sowjetbürger, die es in die USA schafften, zu unerwünschten Personen, Rückkehr in die Heimat ausgeschlossen. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende der 80er Jahre fanden noch einmal Hunderttausende Russen den Weg ins ideologische Feindland. 

Nirgendwo leben mehr Russinnen und Russin in den Vereinigten Staaten als in Little Odessa. Boris ist aus Moskau nach New York gezogen, acht Jahre ist das jetzt her. Sein Englisch ist besser als das vieler anderer und er scheut sich nicht, sehr offen seine Meinung zu sagen, solange es beim Vornamen bleibt. "Wahnsinn ist das alles", sagt er. Das "Wahnsinn" rutscht ihm auf deutsch heraus, das spricht er auch ein wenig. Er fühlt sich schlecht beim Gedanken an das, was sein Präsident anrichtet, "sehr schlecht". Als Russe schäme er sich. "Wir unterstützen Putin nicht, glaubt uns", sagt er. 

Boris (rechts) hält den Krieg in der Ukraine für "Wahnsinn"Bild: Rieke Havertz

Wer diesen Krieg und diesen Präsidenten überhaupt unterstützen könne, fragt sich Alex. Er ist in New Jersey geboren, doch seine Eltern kommen beide aus Kiew, "für mich ist das was sehr Persönliches”. Für ihn ist wichtig, dass niemand seiner russischen Freunde glaubt, was aus Russland kommuniziert wird. Die Propaganda läuft, wie in jedem Krieg. Und in den USA gibt es unter den rechten Fernsehmoderatoren nicht wenige Putin-Fans, etwa Tucker Carlson. Putin braucht in Little Odessa nicht seinen Staatssender Russia Today, um seine Propaganda in die Wohnungen der Hochhäuser zu bringen. Alex aber ist optimistisch. "Niemand glaubt diese Lügen, wir haben eine freie Presse in Amerika und wir kennen die Wahrheit.”

Rieke Havertz ist Internationale Korrespondentin von ZEIT ONLINE.

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