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Russenmafia im Jugendknast

Andreas Schmidt21. Dezember 2002

Gefängnisleiter schlagen Alarm: In deutschen Jugendgefängnissen bilden Russlanddeutsche mafiaähnliche Subkulturen. Und sie wollen nicht gestört werden. DW-WORLD berichtet in einer Serie über das Problem.

"Durchlauferhitzer" JugendgefängnisBild: DW

Es ist Hofgangzeit im Jugendknast von Herford in Westfalen. Gefangene in Anstaltskleidung laufen stoisch über den eingezäunten Platz, rauchen, tauschen den letzten Klatsch aus. In einer Ecke sammelt sich eine Gruppe. Immer mehr kommen dazu. Zuerst stehen sie, danach hocken sie im Kreis – eine geschlossene Gesellschaft. Man spricht russisch.

Geschlossene Gesellschaft: Geschäfte werden beim Hofgang gemacht-Besucher unerwünschtBild: DW

Gefängnisleiter Hans-Joachim Gries ist nicht wohl dabei. 80 seiner 400 Gefangenen sind Russlanddeutsche, in vielen deutschen Gefängnissen sieht das Verhältnis genauso aus. Die Kreise der "Russen" auf seinem Gefängnishof kennt Gries seit einiger Zeit, nennt sie "lebende Soziogramme". "Wenn ich das eine Zeit beobachte, sehe ich, wie Boten in den Kreis gehen oder Geschäfte abgesprochen werden." Wer in der Szene die Befehle gibt und wer sie empfängt, kann Gries leicht herausfinden. Ändern kann er kaum etwas.

Erpressung im Sinne des Gemeinwohls

In den Kreisen geht es nicht um die Hackordnung wie in einer normalen Clique von Jugendlichen, sondern um Drogengeschäfte, um Privilegien und um Strafen gegen Abtrünnige. 90 Prozent der "Russen" von Herford sind abhängig, schätzt Hans-Joachim Gries. Der Stoff kommt auf allen möglichen Wegen in den Knast: Freigänger und Urlauber schlucken Tütchen und Kapseln, Freunde werfen Päckchen über die Mauer. Irgend etwas kommt immer an. Und im Knast floriert der Handel.

Knastgüter: Drogen und ZigarettenBild: DW

Unter den "Russen" werden Drogen und andere begehrte Knastgüter wie Zigaretten und Kaffee nach dem System "Obschtschak" ("Allgemeinheit", hier auch: "Gemeinschafts-" oder "Diebeskasse") verteilt. Jedes Mitglied der Subkultur gibt einen Teil seines Besitzes ab, der dann abhängig vom Status des Einzelnen wieder unter allen geteilt wird. Bedingung für die Annehmlichkeiten sind die totale Verweigerung gegen den Staat und die Unterwerfung unter die Gesetze der Subkultur.

Staatsfeindschaft ist Ehrensache

Manfred Otto, Leiter im Jugendknast von Bremen, sieht die bedingungslose Solidarität als sowjetische Tradition. "Wer sich da gegen die Obrigkeit gewehrt hat, war ein Held. Der Staat war der Tyrann, nie ein Helfer. In der Bruderschaft der Räuber zu sein ist für die kriminellen Jungs Ehrensache." Doch dazu zu gehören hat einen Preis.

Die Freigänger werden verpflichtet, Drogen zu besorgen. Wenn einer seine Schulden nicht begleichen kann, haftet die Familie draußen. Abweichlern drohen grausame Strafen bis hin zur Vergewaltigung. Schwache und in Ungnade Gefallene bilden die Unterschicht der Szene. "Ich habe es erlebt, wie Gefangene vor ihren Chefs tanzen und singen mussten," so Hans-Joachim Gries. Das dient der Belustigung der Bosse, der Demütigung der Opfer, aber auch als Geräuschkulisse für geheime Absprachen.

Karrieresprungbrett für Kriminelle

Manfred Otto beobachtet, dass die Vernetzung der "Russen", die einsitzen, mit ihren Komplizen draußen eher zu- als abnimmt. Der Alltag im geöffneten Vollzug trage eher zu einer Verfestigung der mafiaähnlichen Strukturen bei als zu deren Zerschlagung. "Dadurch werden nicht nur Behandlungs- bzw. Förderungsansätze innerhalb des Justizvollzuges gefährdet." Anstatt Kriminelle wieder in die Gesellschaft einzugliedern, gerieten die Gefängnisse eher zu "Durchlauferhitzern für die kriminelle Karriere".

Hans-Joachim Gries versucht in seinem Knast die Anführer der Subkultur auszusondern und in Einzelhaft zu sperren, Aussteigewillige zu unterstützen. Doch es dauert nie lange, bis der nächste Boss hoch kommt. Die Aussicht versetzt die Schwachen in Angst – und macht die Beamten ratlos. In ein paar Jahren sind sie das Problem zwar los. Aber sie geben es nur weiter – an die Kollegen vom Erwachsenenvollzug.

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