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Politik

Russische Drohungen gegen Prager Bürgermeister

28. April 2020

Der Prager OB und zwei seiner Kollegen stehen wegen mutmaßlicher Mordpläne des russischen Geheimdienstes unter Polizeischutz. Neue Vorwürfe über Einmischungsversuche Russlands und Chinas in die tschechische Politik.

Prag Oberbürgermeister Zdenek Hrib
Zdeněk Hřib: "Ich sehe die Gefahr als real an"Bild: DW/T. Gosling

Prags Oberbürgermeister Zdeněk Hřib von der tschechischen Piratenpartei war noch nicht lange im Amt, als er mit Vertretern eines totalitären Systems aneinander geriet. Im Frühjahr letzten Jahres forderten chinesische Diplomaten von dem ausgebildeten Mediziner mehrfach, Taiwan- und Tibet-freundliche Bekundungen zu unterlassen. Hřib weigerte sich. Bald wurde aus der Angelegenheit eine tschechisch-chinesische Staatsaffäre, die bis heute andauert. Auch weil Hřib an seiner Haltung keine Abstriche macht.

Nun steht der Prager Oberbürgermeister unter Polizeischutz, zusammen mit zwei Kollegen, den Bezirksbürgermeistern Ondřej Kolář und Pavel Novotný. Allerdings nicht wegen des Konflikts mit China, sondern wegen Drohungen aus Russland.

Der Bürgermeister des 6. Bezirks von Prag, Ondřej Kolář, steht auch unter PolizeischutzBild: DW/T. Gosling

"Reale Gefahr"

Über den Polizeischutz hatte Anfang vergangener Woche zuerst das angesehene tschechische Wochenmagazin "Respekt" berichtet. Die Nachricht löste ein großes Echo in Tschechien aus. In seiner neuesten Ausgabe legt "Respekt" nun nach: Anfang April sei ein russischer Diplomat über den Flughafen Prag nach Tschechien eingereist und habe den extrem giftigen Stoff Rizin im Gepäck gehabt. Das Magazin nennt einen anonymen Informanten aus tschechischen Sicherheitskreisen als Quelle.

Im DW-Interview bestätigt Zdeněk Hřib, dass er und seine beiden Kollegen bereits seit Ostern unter Polizeischutz stünden. Weitere Einzelheiten dürfe er auf Anordnung der Polizei nicht öffentlich nennen. "Ich sehe die Gefahr jedoch als real an", sagt Hřib, dessen Spitzname "Pirátor" lautet - ein Wortspiel aus "Primátor", dem tschechischen Wort für Bürgermeister, und der Parteibezeichnung der Piraten.

Obgleich Hřib und seine Kollegen sich zu keinen Details äußern dürfen, ist der Grund des Polizeischutzes offensichtlich: Es geht um kritische Gesten von Hřib und seinen Kollegen gegenüber Russland. Am 27. Februar, dem fünften Jahrestag der Ermordung des ehemaligen russischen Vizepremiers und liberalen Oppositionellen Boris Nemzow, ließ Hřib den Prager Platz, an dem die russische Botschaft steht, in Boris-Nemzow-Platz umbenennen.

Kontroverse um Denkmal

Anfang April wiederum ließ der Bürgermeister des 6. Prager Bezirks, Ondřej Kolář, die Statue des sowjetischen Marschalls Iwan Konew demontieren und in ein Depot überführen - sie soll später in einem neuen Geschichtsmuseum aufgestellt werden. Um Konews Person gibt es in Tschechien seit vielen Jahren Kontroversen. Einerseits gilt er als "Befreier Prags" am Ende des Zweiten Weltkriegs, andererseits werden ihm Repressalien gegen tausende sowjetkritischer tschechischer Bürger angelastet, außerdem seine führende Rolle bei der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956. Immer wieder wurde das Denkmal deshalb in den vergangenen Jahren beschmiert. Kolář wollte den nicht endenden Kontroversen mit der Überführung der Statue in ein Museum eine Art salomonisches Ende setzen.

Denkmal des sowjetischen Marschalls Iwan Konew in PragBild: DW/T. Gosling

In Russland löste die Demontage wütende Reaktionen aus. Der russische Außenminister nannte sie in einem amtlichen Interview "empörend und zynisch", Staatspräsident Putin unterzeichnete eine Art Lex Kolář, ein Gesetz über die Haftung für Schäden an Kriegsdenkmälern, mit dem der Prager Bezirksbürgermeister angeklagt werden könnte. Nachdem russische Nationalisten diplomatische Einrichtungen Tschechiens in Russland angegriffen hatten, sah sich das tschechische Außenministerium zu einer scharfen Protestnote veranlasst. Umgekehrt verlegte die russische Botschaft in Prag inzwischen ihre offizielle Anschrift in ihre Konsularabteilung, um nicht den Namen Boris Nemzows verwenden zu müssen.

Einschüchterungskampagne

Russland dementiert zwar, Mordabsichten gegen die Prager Bürgermeister zu hegen. Doch die Bedrohungslage sei "nicht zu unterschätzen", sagt Jiří Pehe, tschechischer Politologe und langjähriger Berater des ehemalien Dissidenten und Staatspräsidenten Vaclav Havel, im DW-Gespräch. "Die tschechisch-russischen Beziehungen sind trotz der starken pro-russischen Gesten des Präsidenten Miloš Zeman bereits schlecht", so Pehe. "Wenn Russland versuchen würde, einem der drei Politiker, die laut tschechischen Geheimdiensten bedroht sind, Schaden zuzufügen, könnte dies zu einem großen diplomatischen Konflikt führen." Es gehe Russland bei seiner Einschüchterungskampagne gegen tschechische Politiker vor allem um innenpolitische Absichten, glaubt Pehe. "Letztlich weiß Russland sehr wohl, dass die Konew-Statue kein Kriegsdenkmal im Sinne des tschechisch-russischen Freundschaftsvertrags ist."

Der Politologe Jakub Janda vom Europäischen Wertezentrum für Sicherheitspolitik in Prag hält die Bedrohung der Bürgermeister ebenfalls für "glaubwürdig". "Wir beobachten die aggressivste Eskalation in den bilateralen Beziehungen, die Russland in den vergangenen drei Jahrzehnten betrieben hat", so Janda. Er nennt Russland wegen des Vorgehens in der Ostukraine und der Mordaktionen an abtrünnigen Geheimdienstlern einen "staatlichen Sponsor und Organisator von Terrorismus".

Druck aus Politik und Wirtschaft

Tschechien ist in der Frage der Beziehungen zu Russland, aber auch zu China seit langem politisch tief gespalten. Der Staatspräsident Zeman macht sich seit Jahren geradezu unterwürfig für eine enge tschechisch-chinesische Kooperation stark und biedert sich mitunter auch beim russischen Staatspräsidenten Putin an, wenngleich er manchmal auch kritische Bemerkungen gegenüber beiden Staaten fallen lässt, etwa wegen versprochener, aber bisher ausgebliebener chinesischer Investitionen in Tschechien. Auch der liberal-populistische Regierungschef und Milliardär Andrej Babiš ist ein Verfechter pragmatischer Geschäftsbeziehungen mit Russland und China.

OB Hřib und Ko Wen-je, Bürgermeister von Taipeh, in PragBild: picture-alliance/dpa/Ondrej Deml/CTK

Andererseits ist vor allem China in letzter Zeit zum Dauerskandalthema der tschechischen Politik geworden, unter anderem wegen chinesischer Lobby- und Spionageaktivitäten. Das zeigt auch der Fall des Prager Oberbürgermeisters Hřib. Er wollte aus dem Vertrag der Städtepartnerschaft zwischen Prag und Peking den "Ein-China-Passus" streichen lassen. Weil China sich weigerte, kündigte er den Vertrag und schloss im Januar eine Partnerschaft mit der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh ab. China brach daraufhin sämtliche kulturpolitischen Beziehungen zur Stadt Prag ab. Hřib steht seitdem unter Druck des tschechischen Präsidialamtes und vieler einflussreicher Geschäftsleute - man wirft ihm vor, die tschechisch-chinesischen Beziehungen zu zerstören.

Doch weder davon noch von russischen Drohungen will er sich einschüchtern lassen. "Ich stehe zu meinem Land, der Tschechischen Republik, als einem demokratischen Land", sagt Hřib, "auch wenn ich damit mein Leben riskiere."