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Politik

Russische Fake News über "die Deutschen"

Ilya Koval
13. Januar 2023

Was denken Deutsche über den Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland? Glaubt man russischen Staatsmedien, setzen sie sich für Präsident Putin ein und lachen Kanzler Scholz aus. Wie entstehen solche Beiträge?

"Russia Today" RT Arabisch Studio in Moskau
Ein Studio des staatlichen russischen Senders "Russia Today" RTBild: Misha Friedman/Getty Images

Die Bevölkerung in Deutschland mache sich über Außenministerin Annalena Baerbock lustig. Bundeskanzler Olaf Scholz würde für seine Äußerungen zu Russland ständig kritisiert und vom Volk aufgefordert, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "zurückzupfeifen".

Berichte mit solchen Botschaften kursierten im vergangenen Jahr in staatlichen russischen Medien. Entsprechende Schlagzeilen lieferte das Webportal der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, die dann von anderen Medien des Landes übernommen werden.

Kommentare und anonyme Accounts

Wie kommt es zu solchen Schlagzeilen? Um dies zu verstehen, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf einige Artikel werfen. RIA Novosti veröffentlichte zum Beispiel im August 2022 einen Text unter der Überschrift: "Es reicht! Die Deutschen reagieren hart auf Selenskyjs Appell an die Russen". Dadurch sollte der Eindruck entstehen, in Deutschland herrsche eine anti-ukrainische Stimmung.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer seiner VideoansprachenBild: Ukraine Presidency/ZUMA Wire/IMAGO

Bei genauerer Betrachtung reagierten allerdings "die Deutschen" nicht "hart" auf den Appell des ukrainischen Präsidenten, sondern einige angebliche Leser des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Unter Nicknames wie "zw9s", "nzjdMFpV", "rrnsne2Nr" und "GvbR72" posteten sie auf der Online-Plattform Kommentare, die dann in Beiträgen von RIA Novosti verarbeitet wurden. 

Bei Nicknames aus zufälligen Buchstabenkombinationen können Zweifel angebracht sein, ob es sich dabei um echte User handelt. In einigen Beiträgen von RIA Novosti werden die Nicknames von solchen angeblichen Kommentatoren gar nicht erst angegeben.

In einem Artikel mit der Überschrift "Die Deutschen haben Scholz wegen 'absurden' Äußerungen zu Russland angegriffen" beschränken sich die Angaben zur Quelle der Zitate sogar auf Formulierungen wie von "einem User", von "einem anderen Kommentator", von "einem weiteren Leser" und von "einem vierten User".

Kremlfreundliches Trolling 

Solche Kommentare unter Beiträgen europäischer Leitmedien sollen dafür sorgen, dass "systematisches und kremlfreundliches Trolling" im öffentlichen Diskurs durchdringt, betonen Experten des Security, Crime and Intelligence Innovation Institute an der Cardiff University in Wales.

Wie man Russlands Propaganda durchschaut

07:36

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In einer Studie aus dem Jahr 2021, die die Kommentare in 32 großen europäischen Medien untersucht, darunter auch die Online-Präsenz von Die Welt und Der Spiegel, heißt es: "Die Accounts nutzen die Funktion der Leserkommentare auf den Webseiten der Medien, um provokative, pro-russische und anti-westliche Äußerungen als Reaktion auf Artikel mit Bezug zu Russland zu posten."

Dies zeige insbesondere die Analyse der Konten, von denen solche Kommentare gepostet würden. "Einer der Accounts, der uns interessierte, hat, seitdem er eingerichtet wurde, 69 Mal seinen Standort und 549 Mal seinen Namen geändert", so die Experten.

Kommentare von "den Deutschen"

Die Analyse von Leserkommentaren unter Artikeln ausländischer Medien kam in Russland als Genre in den 2000er Jahren auf dem Webportal inosmi.ru auf, das Artikel ausländischer Medien in russischer Übersetzung publizierte. Analysiert wurden Kommentare, die unter den Publikationen über Russland, aber auch zu anderen Themen erschienen. 

Die Kommentare von professionellen Trolls, die vom Kreml bezahlt werden, seien damals auf den Webseiten ausländischer Medien noch nicht so häufig zu sehen gewesen, erklärt der russische Journalist und Übersetzer Alexej Kowaljow gegenüber dem russischsprachigen Portal Meduza. Kowaljow war von 2012 bis 2013 Chefredakteur von inosmi.ru

Zentrale: Zur staatlichen Medienholding "Russia Today" gehört auch die russische Nachrichtenagentur "Sputnik"Bild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Das unabhängige russische Nachrichtenportal Meduza steht seit April 2021 auf der Liste der "ausländischen Agenten" und berichtet mittlerweile aus dem Exil in Riga. Die Portale inosmi und RIA Novosti wurden im Zuge einer Umstrukturierung im Dezember 2013 in die Medienholding Russia Today integriert. Spätestens seit diesem Zeitpunkt kann bei RIA Novosti von einer echten Analyse der Leserkommentare keine Rede mehr sein. Stattdessen wählen die Autoren von RIA Novosti für solche Beiträge ausschließlich Zitate mit derselben Meinung aus.     

Über "die Deutschen" tauchten bei RIA Novosti häufig Kommentare auf, die eine zu "harte" Wortwahl gegenüber Moskau "kritisieren". Oder angeblich "entsetzt sind" über Äußerungen ihrer Politiker zu Russland.

Falsches Entsetzen

Überschriften wie "Absurd. Die Deutschen sind entsetzt über die Äußerungen von Außenministerin Baerbock zu Russland", oder "Die Deutschen kritisieren EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen scharf für ihre Worte über eine 'Bestrafung' Russlands", basieren wahrscheinlich auf Kommentaren von "Trollen".

Fast die Hälfte der Deutschen ist mit der Arbeit von Außenministerin Annalena Baerbock zufriedenBild: Olivier Matthys/AP/dpa/picture alliance

Die Aussagen widersprechen oft dem, was die Deutschen wirklich über Russland, den Krieg, die Ukraine, und Sanktionen gegen Moskau denken. Dies belegt der Ende 2022 durchgeführte Deutschlandtrend.

Die repräsentative Umfrage im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) ergab, dass 86 Prozent der Deutschen Russland als eine Bedrohung für die globale Sicherheit betrachten.

Nur zehn Prozent bezeichneten die Russische Föderation als ein Land, mit dem Deutschland eine vertrauensvolle Partnerschaft aufbauen könnte. Bei der Ukraine lag dieser Wert bei 47 Prozent.

Die Sanktionen gegen Moskau hielten 37 Prozent für nicht hart genug, 31 Prozent werteten diese als verhältnismäßig, und nur 23 Prozent als zu streng.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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