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Russische Journalistin erhält OSZE-Preis 2003 für Journalismus und Demokratie

21. Februar 2003

- Berichterstattung um den Tschetschenien-Konflikt wird zum Kampf für die Wahrheit

Köln, 20.2.2003, DW-radio, Elena Beier

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vergibt ihren Preis für Journalismus und Demokratie in diesem Jahr an die russische Journalistin und Buchautorin Anna Politkowskaja. Geehrt wird Politkowskaja für ihren Einsatz im Tschetschenien-Krieg. Als Kriegskorrespondentin für die Moskauer Tageszeitung "Nowaja Gaseta" verbringt sie seit fast drei Jahren jeden Monat zehn Tage in Tschetschenien, oftmals mit großem persönlichem Risiko.

Ende Januar erschien im DuMont Literatur und Kunst Verlag die deutsche Übersetzung des Buches von Anna Politkowskaja "Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg".

Spätestens durch Ihre Unterhändlermission beim Geiseldrama im Moskauer Musicle-Theater Nord-Ost im Oktober 2002 wurde der Name der mutigen russischen Journalistin weltweit bekannt. Doch in ihrer Heimat ist Anna Politkowskaja mehr als umstritten: Sie ist eine der letzten Journalisten Russlands, die dem starken politischen Druck standhalten und sich um eine objektive Berichterstattung aus Tschetschenien bemühen.

Das sei eine zutiefst persönliche Entscheidung jedes Einzelnen Kollegen, denn die Pressefreiheit in Russland sei momentan auf dem Niveau der Sowjetzeit, so Politkowskaja wörtlich:

"Die meisten Journalisten haben sich geweigert, über den zweiten Tschetschenien-Krieg zu berichten. Das war ihre persönliche Entscheidung. Die Frage lautet hier: ‚Warum war das so?‘ - Sie hatten einfach Angst. Auf diejenigen Medien, die am Anfang des Krieges noch aus Tschetschenien berichteten, wurde massiver Druck ausgeübt. Für den bis dahin weitgehend unabhängigen Moskauer Fernsehkanal NTW endete dieser Druck tragisch - der Sender wurde praktisch zerschlagen. Der Nachfolgesender berichtet und kommentiert weitgehend im Sinne des russischen Militärs."

"Tschetschenien. Wahrheit über den Krieg" - heißt auch das Buch, das Ende Januar in der deutschen Übersetzung erschienen ist. Mit diesem Buch wollte Anna Politkowskaja zunächst in Putins Russland das gigantische Informationsdefizit über den Tschetschenien-Krieg abbauen, den die russische Führung nun schon seit geraumer Zeit hinter einem eisernen Informationsvorhang führt.

Dass ihr Buch nun auch in Deutschland erscheint, sieht die Autorin als eine Chance, die internationale Öffentlichkeit auf diesen Krieg aufmerksam zu machen. Denn die einzige Lösung dieses Konfliktes besteht aus der Sicht der 44-jahrigen Journalistin in einer geschickten Einmischung des Westens, vertreten etwa durch eine renommierte Internationale Organisation, als Unterhändler und Vermittler zwischen den festgefahrenen Positionen der verschiedenen Interessensgruppen. Von einer Zwangsbefriedung nach - Zitat - "Moskauer Art" hält Anna Politkowskaja jedenfalls nichts. Ebenso wenig wie von dem in Tschetschenien bald bevorstehenden Referendum über eine neue Verfassung für die Nordkaukasus-Republik. Dieser Plan sei "ein äußerst gefährliches Spiel", dass nur zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes führen werde:

"Der zweite Tschetschenien-Krieg hat den Menschen klargemacht, das sie nichts als Staub sind. Jetzt wird ihnen durch das aufgezwungene Referendum erneut vor Augen geführt, dass sie immer noch nicht mehr wert sind als nur Staub. Dies ist ein gefährlicher Weg, wie das Geiseldrama in Moskau gezeigt hat, denn es finden sich immer mehr Menschen in Tschetschenien, die bereit sind zu dieser Herangehensweise Moskaus NEIN zu sagen. Und es gibt keine Garantie, dass beim nächsten Mal nicht gleich etwas - und ohne dass Journalisten als Unterhändler gerufen werden - in die Luft gejagt wird."

Und gerade das will Anna Politkowskaja mit ihrem Buch verhindern. Sie beschreibt das alltägliche Grauen des Krieges. Doch nicht nur die Greueltaten der russischen Truppen in Tschetschenien - Morde, Vergewaltigungen, Plünderungen, Folter und Entführungen - finden in diesem nüchtern emotionslosen Werk einen Platz. Politkowskaja analysiert ausführlich die Hintergründe und geht Fragen nach wie "Wer braucht diesen Krieg"? Und "wer bereichert sich?".

Der tschetschenische Islam und die Blutrache für die ermordeten oder verschwundenen Verwandten werden genauso zum Thema, wie die Morde an Journalisten und die Verwicklungen des heutigen Chefs der Zivilverwaltung der Republik, Achmed Kadyrow, ins illegale Ölgeschäft. Auch die angeblichen Absprachen des Kreml mit dem Westen werden unter dem Titel "Tschetschenien ist der Preis für den Sessel des UNO-Generalsekretärs" beleuchtet.

Anna Politkowskaja hat keine Angst, sich immer wieder neue Feinde zu machen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aus ihren Beweggründen macht sie im Nachwort ihres Buches kein Geheimnis: "Viele Menschen stellen oft dieselbe Frage: ‚Wozu schreiben Sie das? Wieso erschrecken Sie uns? Wozu haben wir das nötig?‘ Ich bin überzeugt, es muss sein. Aus einem einfachen Grund: Wir sind die Zeitgenossen dieses Kriegs, und wir werden uns seinetwegen verantworten müssen (...) Und dann werden die klassischen sowjetischen Ausreden nichts mehr helfen: Ich war nicht dabei, ich habe mich nicht beteiligt..."

Damit niemand das behaupten kann, kämpft Anna Politkowskaja mit den Waffen einer Journalistin. Für ihren Mut im Kampf für die Wahrheit wurde Anna Politkowskaja am 20. Februar 2003 im Hofburg Congress Center in Wien im Rahmen der jährlichen Parlamentarischen Versammlung der OSZE mit einem mit 20 000 US-Dollar dotierten Preis für Journalismus und Demokratie ausgezeichnet. (lr)