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Russische Medien und der Mord in Berlin

Yana Biliaieva
26. September 2019

Ende August wurde ein Tschetschene in Berlin erschossen. Dringend tatverdächtig: ein Russe. Westliche Medien berichten über Verbindungen zu Moskaus Geheimdiensten. Russische Medien haben ihre eigene Sicht auf den Fall.

Ein georgischer Staatsbürger tschetschenischer Abstammung wurde am 23. August in Berlin-Moabit erschossen
Ein georgischer Staatsbürger tschetschenischer Abstammung wurde am 23. August in Berlin-Moabit erschossenBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Der Mord geschah am helllichten Tag: Am 23. August gegen zwölf Uhr wird ein 40-jähriger Mann in einem Park in Berlin-Moabit mit Schüssen in den Rücken und in den Kopf niedergestreckt. Die Tatwaffe: eine schallgedämpfte Pistole. Der schnell gefasste Tatverdächtige: ein 49-Jähriger mit russischem Pass. Das Opfer: Zelimkhan Khangoshvili, ein georgischer Staatsbürger tschetschenischer Abstammung. Er war einst Feldkommandeur der tschetschenischen Separatisten und kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland. Deshalb hatten russische Sicherheitsbehörden nach ihm gefahndet. Nachdem er schon in Georgien mehreren Attentatsversuchen entgangen war, hatte Khangoshvili Zuflucht in Deutschland gesucht. Nach investigativen Recherchen von "Bellingcat", dem deutschen Magazin "Der Spiegel" und der russischen Website "The Insider" deuten eine Reihe von Fakten zum Killer und dem vorgelegten Pass auf Verbindungen zu russischen Sicherheitsstrukturen.

Erste Reaktion der russischen Medien: Diskreditierung des Mordopfers

Deshalb ist es interessant, wie russische Medien über den Fall berichtet haben: Ohne nähere Belege machte die russische Tageszeitung "Kommersant" andere Tschetschenen für den Mord an Khangoshvili verantwortlich. Dabei berief sich die Zeitung auf "Bekannte des Opfers", ohne diese namentlich zu nennen oder näher einzuordnen. Khangoshvili sei ein "einflussreicher Kämpfer" gewesen, der nur von Tschetschenen hätte umgebracht werden können, sollen diese "Bekannten" gesagt haben, entweder von Tschetschenen aus Russland oder von solchen, die nach Europa geflohen seien. Unter Berufung auf "Kommersant" meldeten dies dann weitere Medien, beispielsweise die russische Nachrichtenagentur "Interfax".

Außerdem wurde in Russland berichtet, Khangoshvili habe eine islamistische Vergangenheit gehabt. Tatsächlich stand er zwischenzeitlich auch in Deutschland auf einer Liste potenzieller islamistischer Gefährder. Auf die Liste war Khangoshvili nach einem Hinweis des russischen Geheimdienstes geraten. Er wurde aber später wieder von der Liste gestrichen. Doch mehrere russische Medien warfen ihm weiterhin Islamismus und eine Nähe zu islamistischen Tschetschenen im zweiten Tschetschenienkrieg vor.

Ablenkungsmanöver

Anstelle von faktenbezogener Berichterstattung spekulierten mehrere russische Medien darüber, wer an einem Skandal um Khangoshvili interessiert sein könnte. So warf der staatliche TV-Sender "Rossija 24" der DW und der Zeitung "Tagesspiegel" vor, im Mordfall Khangoshvili nur deshalb eine "russische Spur" zu sehen, weil eine solche Spur "interessanter und vielversprechender" sei. Der Moderator des Senders sagte über die Berichterstattung westlicher Medien, dass sich in diesem Fall der "Journalismus rasant in Verschwörungstheorie verwandelt" habe.

Zuvor hatte die russische Zeitung "Wsgljad" deutschen Medien vorgeworfen, aus Sensationslust und Gier nach Skandalen falsche Informationen zu verbreiten, weil den deutschen Zeitungen "an Wochenenden brisantes Material fehlt".

Obwohl es keinerlei Belege dafür gibt, dass der Mord an Khangoshvili in irgendeinem Zusammenhang mit den G7-Staaten oder mit dem Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 steht, sind in den russischen Medien entsprechende Spekulationen aufgetaucht. So hieß es im Sender "Rossija 24", Bundeskanzlerin Angela Merkel habe für den G7-Gipfel "starke Argumente" gebraucht, um die anderen teilnehmenden Staaten davon zu überzeugen, Russland die Rückkehr in die Runde der bedeutendsten Industrienationen zu verweigern.

Die russische Nachrichtenagentur "Ru-AN" spekulierte sogar, die USA und andere europäische Staaten würden den Mordfall nur aufbauschen, weil sie so die Fertigstellung der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 verhindern wollten.

Ben Nimmo ist Experte des US-amerikanischen Internetanalyse-Unternehmen "Graphika" Bild: DW/L. Scholtyssyk

Taktiken der Desinformation

Ein Bericht von "Rossija 24", in dem westliche Journalisten zu Verschwörungstheoretikern erklärt werden, sei ein Beispiel für Verunglimpfung. So sieht es Ben Nimmo vom US-amerikanischen Internetanalyse-Unternehmen "Graphika", das Desinformation in sozialen Netzwerken aufdeckt. Ihm zufolge reagieren die Kreml-freundlichen Medien nicht nur mit Verunglimpfung auf unbequeme Nachrichten, sondern auch mit der Verdrehung von Tatsachen, mit Anschuldigungen, Ablenkung und Einschüchterung.

Als eines der Ziele für dieses Vorgehen gilt "Bellingcat": Das internationale investigative Recherchenetzwerk hat Nachforschungen über den Mord in Berlin angestellt, wie zuvor bereits nach dem MH17-Absturz vor fünf Jahren, als ein malaysischer Passagierjet über dem Donbass abgeschossen wurde. "Der Kreml führt seit langem eine Kampagne zur Verunglimpfung von Bellingcat. Schließlich sind die Mitarbeiter von Bellingcat sehr gut in dem, was sie tun", sagte Nimmo.

Doch von einer groß angelegten russischen Desinformationskampagne wie im Fall des Doppelagenten Sergej Skripal, gegen den in Großbritannien ein Giftanschlag verübt wurde, oder wie im Fall MH17, könne im Fall des Mordanschlags auf Khangoshvili noch keine Rede sein, meint Nimmo. Die Reaktion aus Russland in Sachen Khangoshvili werde davon abhängen, wie sich Deutschland verhalte. Falls die Behörden den Fall zu den Akten legen, sei keine zunehmende Desinformation zu erwarten. Wenn es aber Verlautbarungen oder Schuldzuweisungen in Richtung Moskau geben sollte, "dann werden wir eine längere Kampagne sehen", so Nimmo.