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Politik

Russische Machtspiele oder Invasionspläne?

Elena Barysheva Moskau | Alexander Sawizkij Kiew | Markian Ostaptschuk
6. April 2021

Russland hat Tausende Soldaten an die Grenze zur Ukraine verlegt, bestreitet aber, das Nachbarland militärisch zu bedrohen. Muss die Ukraine dennoch einen russischen Einmarsch fürchten?

Ukraine: Vermintes Gelände an der Fronltinie in Gnutovo, Donbass (24.04.2020)
Vermintes Gelände an der Fronltinie im DonbassBild: DW/N. Berdnik

Zunehmend Sorge bereiten dem Westen die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine. Die NATO versicherte, weiterhin die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine zu unterstützen und die Lage sehr genau zu beobachten. Dies sicherte auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell der Regierung in Kiew zu. Ähnlich äußerten sich Deutschland und Frankreich, die sich im sogenannten Normandie-Format um eine Lösung des Ukraine-Konflikts bemühen.

In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bekräftigte US-Präsident Joe Biden die "unerschütterliche Unterstützung der Ukraine für ihre Souveränität und territoriale Integrität angesichts der anhaltenden Aggression Russlands".

Doch in sozialen Netzwerken kursieren Berichte über die Verlegung russischer Einheiten in die Regionen Brjansk, Woronesch und Rostow sowie auf die annektierte Krim. Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, sagte in diesem Zusammenhang, Russland sei frei, seine Truppen auf seinem eigenen Territorium zu verlegen. "Russland bedroht niemanden und hat nie jemanden bedroht", so der Kreml-Sprecher.

"Neues Druckmittel gegen den Westen"

Der russische Militärbeobachter Alexander Goltz findet, das Vorgehen Russlands habe demonstrativen Charakter. "Russland braucht ein neues Druckmittel gegen den Westen", so Goltz, und das sei nun die Gefahr eines Krieges gegen die Ukraine.

Vor der Verhaftung von Alexej Nawalny sei damit gedroht worden, als Antwort auf westliche Sanktionen im Fall des Kreml-Kritikers den Druck auf die russische Opposition zu erhöhen. "Es steht viel auf dem Spiel, der russische Präsident Wladimir Putin wird diese Politik der Erpressung und des Drucks fortsetzen, auch wenn er prinzipiell zu Kampfhandlungen nicht bereit ist", sagt der Experte.

Trotzdem könnte es zu Kampfhandlungen kommen. Allerdings rechnet Goltz bis Mitte Mai mit keinen militärischen Aktionen im Donbass: "Solange die Steppe nicht trocken ist, kann keine Offensive starten. Man würde stecken bleiben, wie es schon oft passiert ist."

Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine, Ruslan Chomtschak, sagte jüngst, an der ukrainischen Staatsgrenze und in den von Kiew nicht kontrollierten Gebieten im Donbass und auf der Krim würden sich bereits 28 taktische Bataillonsgruppen aus Russland befinden.

Chomtschak zufolge, der sich auf den ukrainischen Geheimdienst beruft, will Russland unter dem Vorwand von Vorbereitungen auf die Manöver "West 2021" mit Belarus weitere 25 taktische Bataillonsgruppen in Richtung Ukraine schicken. "Dies stellt zusammen mit den bereits vorhandenen Kräften an der Grenze zur Ukraine eine Bedrohung für die militärische Sicherheit des Staates dar", so der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee.

"Bedrohung für die gesamte Ostflanke der EU"

Pawel Felgenhauer, unabhängiger russischer Militärexperte, schließt nicht aus, dass sich Russland auf eine Eskalation im Donbass vorbereitet. "Das Militär ist bereit, aber wird es einen Befehl der Politiker geben?", fragt er und fügt hinzu: "Für ungefähr sechs Monate - von Juli/August bis Neujahr - gab es im Donbass einen realen Waffenstillstand. Es wurde so gut wie nicht geschossen. Und im Januar begann die Eskalation an der Front und in der Propaganda - vor allem von russischer Seite."

Auf diese Weise wolle Russland die Regierung in Kiew zu Zugeständnissen bei den Verhandlungen über den Donbass zwingen, meint Wolodymyr Fesenko vom ukrainischen Zentrum für angewandte politische Studien, Penta. Der Politologe geht davon aus, dass Russland zudem eine neue Runde in den Verhandlungen mit dem Westen erreichen wolle. Dabei gehe es der Regierung in Moskau um die westlichen Sanktionen, darunter auch um die gegen Nord Stream 2.

Russisches Militärmanöver in Belarus (2017)Bild: picture-alliance/AP Photo/Vayar

Doch auch Fesenko schließt einen militärischen Konflikt nicht aus und weist darauf hin, dass die Krim inzwischen eine riesige Militärbasis sei: "Dort sind moderne strategische und taktische Waffen konzentriert, nicht nur die Schwarzmeerflotte, sondern auch große militärische Gruppen und offensive Luftstreitkräfte." Zudem würden die in den vergangenen Jahren in Belarus durchgeführten Manöver nicht nur die Ukraine, sondern auch die baltischen Länder, Polen und die gesamte Ostflanke der Europäischen Union bedrohen.

"Russland längst auf eine Invasion vorbereitet"

Mychajlo Samus vom Kiewer "Zentrum für Armee, Konversion und Abrüstung", ist überzeugt, dass sich Russland längst auf eine Invasion vorbereitet hat. Denn schon zwischen 2014 und 2018 habe das russische Militär Ausrüstung und Einheiten an der Grenze zur Ukraine konzentriert.

"Faktisch hat Russland drei neue Armeen rund um die Ukraine gebildet", so der Experte. Auf die Krim seien sechs U-Boote mit "Kaliber"-Raketen verlegt worden, die Atomsprengköpfe tragen können. Doch Samus glaubt nicht, dass Putin eine offene Eskalation wagen würde, da er Provokationen durch hybride Proxy-Kräfte vorziehe, also durch Verbündete und auf Cyber- und Propaganda-Ebene.

Nach Ansicht von Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin will Russland zeigen, dass es weiterhin Möglichkeiten zur Destabilisierung der Lage in der Ostukraine hat. Was den Westen und besonders die neue Führung in den USA angeht, meint die Expertin: "Wenn es ein Test seitens der russischen Führung war, dann hat sie gesehen, dass es durchaus eine westliche Reaktion darauf gegeben hat."

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