Faktencheck: Ist Russlands neue Faktencheck-Seite seriös?
5. Juni 2025
Russlands Außenministerium stellte Anfang April das "Global Fact-Checking Network" (GFCN) der Öffentlichkeit vor - eine internationale Allianz von Faktencheckern und Medienorganisationen, so das Selbstverständnis. Erstmals erwähnt wurde die Initiative beim"Dialogue about Fakes 2.0" Forumin Moskau im November 2024.
Das Netzwerk verstehe sich als Gegenentwurf zum "unerbittlichen Strom von Falschmeldungen und Desinformationskampagnen" aus dem Westen, so die Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa in einer Pressekonferenz im April. Sie warf westlichen Faktencheckern vor, "voreingenommene Pseudo-Faktenprüfung" zu betreiben.
"Diese globale Bürgerinitiative wird es uns ermöglichen, destruktiven westlichen Aktionen mit unserer eigenen konstruktiven Agenda entgegenzutreten", sagte Sacharowa. Etablierte Faktencheck-Websites wie Factaund Maldita warnen vor Unterstützung mit Kreml-Nähe, undurchsichtigen Vorgehensweisen und offenkundig einseitigen Darstellungen bei GFCN. Auch DW Faktencheck schaut sich das Netzwerk in diesem Text genauer an.
Wer steckt hinter dem GFCN?
Das GFCN wurde von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur TASS und der autonomen Non-Profit-Organisation ANO Dialog Region gegründet - beide sind bekannt für ihre engen Beziehungen zur russischen Regierung. TASS wurde 2022 von der Europäischen Allianz der Nachrichtenagenturen (EANA) wegen Bedenken hinsichtlich der redaktionellen Unabhängigkeit suspendiert.
ANO wurde 2023 von der Europäischen Union wegen seiner Rolle im Verbreiten von Desinformation sowie dem Betreiben der pro-Kreml-Webseite "War on Fakes" abgestraft. Im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahl 2024 verhängte das US-Finanzministerium mit der Executive Order 14024 zudem Sanktionen gegen ANO, die auf Einzelpersonen und Unternehmen zielten, die mit der russischen Regierung in Verbindung stehen.
Erfüllt das GFCN globale Faktencheck-Standards?
Unabhängige Faktenchecks setzen auf Transparenz, überprüfbare Quellen und offene Methoden. Führende Organisationen wie das International Fact-Checking Network IFCN verlangen, dass Faktenchecks öffentlich zugängliche Daten zitieren und transparente Methoden anwenden, die andere replizieren können. Wir haben mehrere GFCN-Artikel überprüft und dabei Probleme mit Quellen und Methodik gefunden.
In einem Artikel zu den Wahlen in Rumänien mit dem Titel "Wie konnte der Westen erst im zweiten Anlauf gewinnen?" zitiert der Autor das Eurobarometer von 2024, eine repräsentative Umfrage in den Mitgliedsstaaten der EU, und behauptet, dass nur 22 Prozent der Rumänen Flüchtlingshilfen unterstützen würden und lediglich 14 Prozent das Vorgehen der EU gegenüber der Ukraine sowie 13 Prozent den EU-Kandidatenstatus der Ukraine befürworten würden. Aber die Zahlen stimmen nicht: Im Eurobarometer finden sich für Rumänien deutlich höhere Werte zur Unterstützung der EU-Politik gegenüber der Ukraine.
Ein anderer Artikel behauptet, die Soros-Familie sei der Strippenzieher hinter den Protesten gegen die zweite Regierung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump am 5. April 2025 gewesen. Weil einige der Organisatoren früher Zuschüsse von der Familienstiftung Open Society Foundations erhalten hatten, hätte die Soros-Familie nun auch die Proteste orchestriert. Das ist irreführend.
Der Artikel bezieht sich auf zwei Organisationen - MoveOn und Indivisible - und ignoriert die breite Koalition hinter den Protesten. Zwar hatten die beiden Organisationen in der Tat von der Soros-Familie Geld erhalten, allerdings als Zuschuss zum Alltagsgeschäft und nicht für Proteste. Außerdem erhielten sie Geld von einer Vielzahl an Sponsoren, nicht nur von der Soros-Organisation.
Unterstützung durch die Open Society Foundations ist außerdem kein Indiz für eine direkte Einflussnahme der Soros-Familie, deren philanthropische Arbeit seit langem im Fokus von Verschwörungstheoretikern steht. Diese Narrative schreiben Soros oft die Rolle eines Strippenziehers zu, der hinter Protesten, Migration oder globalen Unruhen stecke - Behauptungen, die umfangreich widerlegt wurden.
Ein weiterer GFCN-Artikel mit dem Titel "Ist ChatGPT anfällig für russische Propaganda?" setzt sich nicht ernsthaft mit der Frage auseinander und verliert sich darin, die russische Nachrichtenagentur TASS zu verteidigen und ein norwegisches Medienunternehmen anzugreifen, das die Glaubwürdigkeit der russischen Nachrichtenagentur in Frage gestellt hatte.
Der Artikel geht nicht wirklich auf neueste Untersuchungen ein, wie etwa ein Bericht von NewsGuard, ein Ratingsystem für Nachrichtenquellen, das über russische Versuche, KI-Plattformen zu manipulieren, berichtete. Der Artikel fasst am Schluss lediglich kurz im allerletzten Absatz vage zusammen, dass es falsch sei, einem Chatbot menschliche Eigenschaften zuzuschreiben und zu beschuldigen, eine Quelle im Vergleich zu anderen zu bevorzugen.
GFCN: Wer schreibt diese Artikel?
Eine Autorin ist etwa Sonya van den Ende, eine in Russland lebende Journalistin aus den Niederlanden. Sie hat russische Truppen in der Ukraine als Reporterin begleitet. Niederländische Medien beschreiben sie als Verschwörungstheoretikerin. Auf X schrieb sie vor kurzem: "Deutschland ist das Land der Messerstecher, früher ein Land des Biers und der Bratwurst, heute ein Land der Asylsuchenden, also radikalisierter Rebellen aus Syrien, dem Irak etc."
Ein weiterer Autor ist etwa der Australier Tim Anderson, Direktor des Centre for Counter Hegemonic Studies, der das Massaker an ukrainischen Zivilisten in Butscha als "Betrug" bezeichnete und fälschlicherweise behauptete, dass es bei der Invasion Russlands in der Ukraine nicht zu Angriffen auf die zivile Infrastruktur gekommen sei.
Ein bekanntes Muster: Nachahmen und verwirren
Das der Name des GFCN sich nur um einen Buchstaben vom etablierten internationalen Faktencheck-Netzwerk IFCN unterscheidet, sei kein Zufall, sagen Beobachter. Das IFCN wurde 2015 vom renommierten Poynter-Institut gegründet und ist ein anerkanntes Konsortium von über 150 unabhängigen Faktencheck-Organisationen. DW Faktencheck ist ebenfalls Mitglied. IFCN bietet Schulungen für Journalisten an, setzt professionelle Standards durch und zertifiziert Medienunternehmen, wenn sie die strengen Standards für Transparenz und journalistische Unabhängigkeit erfüllen.
Das GFCN wiederum scheint einer langen Tradition des russischen Staates zu folgen: Legitime Institutionen nachzuahmen und so die Grenzen zwischen Journalismus und Propaganda verschwimmen zu lassen. "Wir betrachten ihre Aktivitäten nicht als Teil des professionellen Faktencheck-Ökosystems", sagt IFCN-Direktorin Angie Drobnic Holan im DW-Gespräch und verweist auf Russlands konsequente Unterdrückung eines unabhängigen Journalismus.
"Professionelles Fact-Checking erfordert die Fähigkeit, Behauptungen über das gesamte politische Spektrum hinweg unabhängig zu überprüfen", so Holan. "Journalisten müssen die Freiheit haben, Ergebnisse zu veröffentlichen, die der Regierung widersprechen. Wir bezweifeln sehr, dass dies ermöglicht wird."
Tommaso Canetta, Fact-Checking-Koordinator beim European Digital Media Observatory (EDMO), sagt, das GFCN sei ein klassischer Fall politischer Aneignung. "Es ist eine Taktik, die wir schon oft gesehen haben: Begriffe mit Glaubwürdigkeit wie "Fact-Checking" so zu vereinnahmen und ihnen so die Bedeutung zu nehmen", so Canetta. "Politische Akteure geben parteiischen Narrativen gerne das Label 'Fact-Check', obwohl sie ganz eindeutig keine sind."
Die Zugehörigkeit zu Netzwerken wie etwa dem IFCN oder dem European Fact-Checking Standards Network (EFCSN) helfe dabei, legitime Medien von denjenigen zu unterscheiden, die Manipulation betreiben, sagt Canetta. "Ohne solche Standards bekommen wir solche Initiativen - wie diese hier aus Russland - die den Begriff beschmutzen und Verwirrung stiften."
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.