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Russischer Kulturminister besteht auf Rückgabe der Bremer Grafiksammlung

14. März 2003

– Dazu wird es aber am 29. März 2003 wohl kaum kommen

Moskau, 14.3.2003, WREMJA NOWOSTEJ, russ., Sergej Walerjew

Gestern (13.3.) hat in Moskau eine Pressekonferenz des russischen Kulturministers Michail Schwydkoj stattgefunden, die der Rückgabe der so genannten Bremer Sammlung an Deutschland gewidmet war. Die Grafiksammlung aus der Bremer Kunsthalle war 1945 im Keller eines Brandenburger Schlosses entdeckt und von dem bekannten Restaurateur und Kapitän der Sowjetarmee Wiktor Baldin gerettet worden. Grafiken von Dürer und Rembrandt, Rubens und Tizian, Van Gogh und Monet wurden davor gerettet, als selbstgedrehte Zigaretten von Soldaten zu enden. Im Jahr 1948 wurde die Sammlung in die Fonds des Moskauer Architekturmuseums aufgenommen, dessen Direktor der legendäre Aleksej Schtschusew war. Im Jahr 1964 wurde Wiktor Baldin selbst Direktor des Architekturmuseums. In seiner Zeit als Direktor richtete er mehrere Appelle an das ZK der KPdSU, die Sammlung an die Stadt Bremen zurückzugeben, wie dies bereits vorher mit den Kunstschätzen der Dresdner Galerie geschehen war. Seine edle Geste stieß auf Unverständnis und Ablehnung. Anfang der 90er Jahre, als ein anderer Architekt und Restaurateur, Wladimir Reswin, zum Direktor des Moskauer Architekturmuseums ernannt wurde, wurde das Lager, in dem die Sammlung aufbewahrt wurde, von "Kunstkennern in Zivil" (Geheimdienstmitarbeiter – MD) aufgesucht. Die Bremer Sammlung wurde eingezogen, anfangs vorübergehend im Kulturministerium aufbewahrt und später an die Eremitage weitergegeben. Kulturminister war damals Nikolaj Gubenko.

Bei der gestrigen Pressekonferenz teilte der jetzige Kulturminister Michail Schwydkoj mit, dass die Sammlung auf gesetzlicher Grundlage an Deutschland übergeben wird. "Die Sammlung fällt nicht unter das Restitutionsgesetz. Es wird davon ausgegangen, dass sie gesetzwidrig ausgeführt wurde. Sie muss in die Heimat zurückkehren", erklärte der Kulturminister. Zur Erinnerung: das Restitutionsgesetz verbietet die Rückgabe von Kunstschätzen, die die UdSSR aus Deutschland, das heißt dem durch den Beleidiger-Staat geschädigten Staat, ausgeführt hat. Die Bremer Sammlung sei jedoch von einem Kapitän der Sowjetarmee auf eigene Initiative gerettet worden, deshalb werde deren Ausfuhr aus Deutschland als gesetzwidrig betrachtet. Michail Schwydkoj erinnerte daran, dass die Formulierung "gesetzwidrige Ausfuhr" im Jahr 1999 vom Verfassungsgesetz Russland bekräftigt wurde. Das bedeutet, dass die von Baldin ausgeführten 362 Grafiken und 2 Gemälde das Territorium Deutschlands als persönliche Trophäe von Wiktor Baldin verlassen haben. Ungeachtet dessen wurde der "Plünderer" Baldin bereits zu Lebzeiten zum Ehrenbürger der Stadt Bremen ernannt. Wiktor Baldin starb im Jahr 1997 ohne das sein Wille in Erfüllung ging. Die Sammlung wurde jetzt bereits aus der Eremitage ins Staatliche Depot nach Moskau gebracht und wird für den Transport nach Deutschland vorbereitet.

Der ursprünglich vorgesehene Rückgabetermin, der 29. März 2003, wird aller Wahrscheinlichkeit nach wegen eines anderen Ereignisses der letzten Tage – des Appells der Staatsduma an das Staatsoberhaupt, die Rückgabe der Kunstschätze aus der Bremer Sammlung nicht zuzulassen - nicht eingehalten werden. Der erklärte Gegner der Rückgabe der Bremer Sammlung, der derzeitige Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Kultur und Tourismus Nikolaj Gubenko, droht der Regierung der Russischen Föderation in Gestalt des Kulturministeriums mit einer Klage beim Presnenskij Gericht der Hauptstadt. Das wichtigste Argument der Opposition ist die Unklarheit hinsichtlich des Status der Sammlung. Die Abgeordneten bestehen darauf, dass die Schätze der Kunsthalle nicht von Baldin persönlich, sondern von der UdSSR verbracht wurden. Deshalb sei die Rückgabe gesetzwidrig. Außerdem wird der Wert der Sammlung auf eine hohe Summe geschätzt. Gubenkos Berechnungen zufolge auf 1,5 Milliarden Dollar. (Michail Schwydkoj erklärte gestern, dass diese Zahl übertrieben sei und die "Trophäe" 50 Millionen Dollar "schwer ist", was ehrlich gesagt auch nicht wenig ist). Für dieses Geld könnte man uns auch etwas zurückgeben. Oder schlimmstenfalls etwas restaurieren, schenken oder opfern. Aber jetzt mal stop. Dieses Appellieren "an das Gewissen der Deutschen" hat auch einen Haken: Wenn wir nicht zurückgeben wollen, berufen wir uns auf das Restitutionsgesetz, das unter Beteiligung von Nikolaj Gubenko persönlich erarbeitet wurde. Wenn wir aber etwas bekommen wollen, berufen wir uns nicht mehr auf das Gesetz, sondern appellieren an die Moral und das Gewissen.

Dieses taktlose Vorgehen der russischen Duma-Abgeordneten erschwert die Restitution nur noch weiter. Das sagte gestern der Vorsitzende des Ausschusses für Verfassungsgesetzgebung des Föderationsrates, Jurij Scharandin. Gegenüber "Interfax" bezeichneten er den Appell der Abgeordneten an das Staatsoberhaupt als "rein propagandistische Aktion". Scharandin zufolge sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland viel mehr wert als die Bremer Kollektion. Die Vorschläge, mit der Rückgabe der Sammlung einen Teil unserer Schulden bei Deutschland zu begleichen, bezeichnete er als fehl am Platz. "Sollte es sich um ein Geschäft handeln..., wird Deutschland sich nicht verpflichtet fühlen, Russland künftig in der einen oder anderen Richtung sowohl der bilateralen Beziehungen als auch der internationalen Politik zu unterstützen." (lr)

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