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PolitikEuropa

"Ausländische Agenten" allerorts?

Roman Goncharenko | Elena Barysheva
20. November 2020

Russland will sich besser gegen jede mutmaßliche Einmischung aus dem Ausland schützen. Im Visier neuer Gesetzesinitiativen sind Journalisten, Lehrer, aber auch soziale Netzwerke wie YouTube oder Facebook. Ein Überblick.

Putin in der Staatsduma, März 2020
Putin in der Staatsduma, März 2020Bild: Reuters/Sputnik/Kremlin/A. Nikolsky

Russland wird aus dem Ausland bedroht, der Staat muss sich schnell dagegen wehren. Das ist die Kernbotschaft mehrerer Gesetzentwürfe, die in den vergangenen Tagen in der Staatsduma angestoßen wurden. Die meisten Initiativen zielen auf eine weitere Abschottung Russlands und würden zusätzliche Einschränkungen für die Zivilgesellschaft und Oppositionspolitiker bedeuten. Sie schlagen in dieselbe Kerbe wie ähnliche Regelungen vergangener Jahre.

Auch Einzelpersonen im Visier

Wer sich in Russland politisch engagiert und Geld aus dem Ausland erhält, muss sich schon seit Jahren als "ausländischer Agent" ins Staatsregister eintragen lassen. Jede dort erfasste Person oder Organisation ist dazu verpflichtet, den Behörden regelmäßig Berichte über die eigenen Aktivitäten sowie über die betrieblichen Ausgaben zu schicken. Die umstrittene Bezeichnung als "ausländischer Agent" weckt Assoziationen zu Spionagetätigkeiten und traf bislang insbesondere Nichtregierungsorganisationen und internationale Medien. Nun steht eine Ausweitung an, angestoßen vom Ausschuss im Föderationsrat, der Länderkammer des russischen Parlaments, die für den Schutz der staatlichen Souveränität vor Einmischung von außen zuständig ist.

Eingang zur Moskauer Zentrale der Menschenrechtsorganisation "Memorial". Auf der Hauswand prangt als Graffiti "Ausländischer Agent" Bild: Getty Images/AFP/Kudryavtsev

Alle Bürger und gesellschaftlichen Gruppen Russlands, die sich politisch engagieren und aus dem Ausland finanziell unterstützt werden, sollen sich "ausländische Agenten" nennen, heißt es im Gesetzentwurf. Damit wird das Verfahren auch auf eine ganze Reihe von Einzelpersonen ausgeweitet. Ihnen könnte dann auch die Arbeit im öffentlichen Dienst sowie der Zugang zu vertraulichen Dokumenten verweigert werden. Sollten sie bei Wahlen antreten, müssten sich diese Kandidaten entsprechend öffentlich kennzeichnen. Neu ist auch, dass in Russland akkreditierte ausländische Journalisten zu "ausländischen Agenten" gezählt werden könnten. Darüber hinaus könnten russische Medien verpflichtet werden, in ihren Berichten über von der Regelung betroffene Organisationen oder Personen diese Einstufung zu erwähnen.

Natalia Priluzkaja von Amnesty International in Russland sprach von einer "neuen Hexenjagd auf zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtler". Auch andere Menschenrechtsaktivisten kritisieren die geplante Maßnahme als weiteres Druckmittel auf die Zivilgesellschaft.

YouTube und Facebook drohen Sperrungen

Weitere neue Regelungen nehmen soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube und Twitter ins Visier. Dabei wollen die Abgeordneten nach eigenen Angaben "gegen Zensur im Internet" vorgehen. Sollten russische Medien von ausländischen Portalen eingeschränkt werden, sollen Geldstrafen, Teil- oder Vollsperrungen der Sozialen Netzwerke in Russland möglich sein. Die Entscheidungsgewalt über derartige Sanktionen soll nach Absprache mit dem Außenministerium beim russischen Generalstaatsanwalt liegen.

Könnten Plattformen wie Youtube im Ernstfall in Russland wirklich abgeschaltet werden?Bild: Imago Images/TASS

Ob es tatsächlich zu einer völligen Sperrung von Plattformen wie YouTube in Russland kommen könnte, erscheint jedoch zweifelhaft. Damit würde der Staat sehr viele eigene Bürger treffen, warnte der Vorsitzende des präsidialen Menschenrechtsausschusses, Walerij Fadejew. Dennoch stimmte er dem Gesetzesvorhaben grundsätzlich zu. Man brauche eine "ernsthafte Debatte" darüber, wie man "russische Medien und russische Nutzer vor einer Zensur seitens amerikanischer IT-Riesen" schützen könne, so Fadejew. Auch Kremlsprecher Dmitrij Peskow erklärte, man müsse entschieden gegen "diskriminierende Handlungen ausländischer Internet-Plattformen gegenüber russischen Kunden" widersetzen.                 

Mehr staatliche Kontrolle im Bildungssektor

Auch im Bildungsbereich sind Verschärfungen vorgesehen. So soll stärker gegen "antirussische Propaganda" in Schulen und unter Studenten vorgegangen werden, heißt es in einer Erklärung zum entsprechenden Gesetzentwurf. Betroffen könnte die internationale Kooperation russischer Bildungseinrichtungen sein. Ein anderer Vorschlag sieht Kündigungen für Lehrer vor, wenn sie nicht näher definierte "Hetze" betreiben oder zu verfassungsfeindlichen Handlungen anstiften. Dies schaffe "zusätzlichen Raum für Willkür" und Denunzierung, so der Menschenrechtler und Journalist Nikolaj Swanidse in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "Interfax".

Vorbereitung auf Dumawahl?

Schließlich soll die Versammlungsfreiheit in Russland weiter eingeschränkt werden. Wer Demonstrationen in Russland veranstalten möchte, darf unter anderem keine Finanzierung aus dem Ausland erhalten, heißt es im Gesetzentwurf. Auch Einzelproteste, eine in Russland sich zunehmend verbreitende Ausdrucksform der Kritik, sollen neu reguliert werden. Verhindert werden soll, dass mehrere Menschen nacheinander protestieren.

Oppositionelle Proteste wie diese Demonstration in Moskau 2014 sollen nicht mehr so einfach möglich seinBild: picture-alliance/dpa

Die angestoßenen Maßnahmen haben Beobachter wie den DW-Kolumnisten Iwan Preobraschenskij überrascht. "Der Kreml hat es eilig, diese Regelungen durchzudrücken", stellt er fest. Möglicherweise fühlt Moskau sich durch die oppositionellen Proteste in Belarus unter Zugzwang gesetzt. Aber auch die für Herbst 2021 angesetzte Dumawahl im eigenen Land könnte für die neue Gesetzesinitiative eine Rolle spielen.