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Politik

Russland ohne West-Medikamente?

Irina Filatova | Roman Goncharenko
19. April 2018

Als Reaktion auf die Sanktionspolitik der USA denkt Russland darüber nach, den Import von US-Medikamenten zu verbieten oder zumindest einzuschränken. Doch der Vorstoß sorgt im Land selbst für eine heftige Kontroverse.

Symbolbild Pillen
Bild: imago/G. Czepluch

"Wir haben nie gesagt, sagen es nicht und beabsichtigen nicht zu sagen, dass wir irgendwelche importierten Arzneimittel oder medizinisches Gerät verbieten werden - auf gar keinen Fall!" Das sagte Wladimir Putin noch Anfang September 2015 - in einer Zeit, in der die westlichen, wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen noch überschaubar waren. Keine drei Jahre später könnte jedoch auf dem Tisch des Präsidenten ein Gesetz landen, das genau das vorsieht, was er früher ausgeschlossen hatte. Ein vergangene Woche ins Parlament eingebrachter Gesetzesentwurf sieht unter anderem ein Verbot oder Importbeschränkungen für Medikamente aus den USA oder anderen Staaten vor, die Washingtons Sanktionspolitik mittragen. Ausnahmen sind für solche Präparate vorgesehen, für die es keinen Ersatz gibt. Anlass für die Maßnahme sind die Anfang April verhängten neuen US-Sanktionen, welche die russische Wirtschaft hart getroffen hatten.

Der Absatz über die Medikamente löste heftige Kritik aus, mit der die Gesetzgeber offenbar nicht gerechnet hatten. Ein Abgeordneter erntete einen Shitstorm in sozialen Netzwerken, nachdem er in einer TV-Sendung vorgeschlagen hatte, Eichenrinde als Alternative zu US-Medikamenten zu nutzen. Der Mann spielte später seine Äußerung als "Witz" herunter. Auch der Mitinitiator des Gesetzentwurfs, der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin, ruderte am Dienstagabend zurück. "Lasst uns die Gemüter beruhigen", sagte der Politiker in einer Nachrichtensendung im Fernsehen. Von den insgesamt mehr als 1000 aus den USA importierten Medikamenten könnten 90 vom Verbot oder von den Beschränkungen ausgenommen werden, weil es für sie keine Alternative gebe.

Die russischen Abgeordneten sollen über ein Verbot westlicher Medikamente entscheidenBild: Getty Images/AFP/N. Kolesnikova

Sorge bei Patientenorganisationen

Auch Patientenvertretungen sind besorgt. Irina Mjasnikowa aus Moskau leitet eine Organisation, die sich für Mukoviszidose-Kranke einsetzt. An der vererbbaren Stoffwechselkrankheit leiden in Russland nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 2.000 und 8.000 Menschen, darunter auch Kinder. "Wir machen uns Sorgen, dass wir vom neuen Gesetz betroffen sein könnten", sagte Mjasnikowa der DW. So könnte das Medikament "Creon" des US-Herstellers "Abbott Laboratories" verboten werden, weil es Alternativen dazu gebe. "Doch diese Ersatzmedikamente sind nicht so effektiv", sagt die Frau. "Creon" wird für den russischen Markt übrigens in einem der Abbott-Werke in Deutschland produziert. Mjasnikowas Organisation hat in einem offenen Brief an die Regierung appelliert, den Gesetzesentwurf bis zur ersten Lesung im Parlament am 15. Mai zu ändern. Ihre Botschaft: "Gesundheit und Politik sollten nicht miteinander vermischt werden."

Regierungsstrategie Pharma-2020

Kann sich Russland ein Verbot oder Importbeschränkungen bei West-Medikamenten leisten? Wie abhängig ist es? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so offensichtlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Bereits 2009 skizzierte der damalige Präsident Dmitrij Medwedew das Ziel, die eigene Medikamentenproduktion auszubauen. Daraus wurde ein ambitioniertes Strategieprogramm namens "Pharma-2020", das die Abhängigkeit von Importen verringern soll. Bis 2020 soll - gemessen am Gesamtwert - die Hälfte aller Medikamente auf dem russischen Markt aus Russland selbst stammen. Bei so genannten "lebensnotwendigen Präparaten" sollen es sogar 90 Prozent werden.

Noch ist Russland von diesen Zielen weit entfernt, doch der Abstand verringert sich. Vor dem Hintergrund westlicher Sanktionen wurde das Tempo beschleunigt. 2016 lag die Steigerung der Eigenproduktion in Russland im Vergleich zum Vorjahr bei 15,5 Prozent, im ersten Halbjahr 2017 bei 11,2 Prozent, heißt es in einer Analyse von "Germany Trade & Invest" (GTAI). "Einheimische Präparate hatten dabei einen Anteil an der Produktionsmenge von 72,8 Prozent und am Produktionswert von 33,5 Prozent", so die bundeseigene Wirtschaftsförderungsgesellschaft.

Erfolge bei Generika und neue Projekte

Dieses Verhältnis bestätigt auch Nikolaj Bespalow von der Moskauer Marktforschungsfirma "RNC Pharma". Er verweist jedoch auf ein anderes Problem: "Die meisten russischen Medikamente werden aus importierten Rohstoffen hergestellt. Einige Rohstoffe könnten auch verboten werden, weil sie entweder in den USA produziert oder von US-Firmen nach Russland importiert werden, die hier eigene Produktionsstätten haben". Einen Teil davon könne man ersetzen, doch nicht alles. Insgesamt schätzt Bespalow den Anteil importierter US-Medikamente auf dem russischen Markt auf neun bis zehn Prozent.

Besonders bei der Entwicklung von Generika, also von Nachahmer-Präparaten, konnte Russland bisher "sichtbare Erfolge" erzielen und einige Verkaufsschlager westlicher Hersteller ablösen, stellt die GTAI fest. Und Moskau will weitermachen: Aktuell seien in Russland mehr als ein Dutzend Pharmafabriken im Bau oder in der Planung, einige davon auch mit deutscher Beteiligung.

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