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PolitikLibyen

Russland baut seinen Einfluss in Libyen weiter aus

Jennifer Holleis | Maria Katamadze
3. März 2024

"Sicherheit gegen Ressourcen": So beschreiben westliche Experten Russlands strategischen Ansatz in dem nordafrikanischen Land. Libyen leidet unter Instabilität - hält aber aber auch wertvolle Ressourcen bereit.

Der libysche General Chalifa Haftar (l.) besucht den stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurow, Moskau, September 2023
Der libysche General Chalifa Haftar (l.) bei einem Treffen mit dem stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurov in Moskau im September 2023Bild: General Command of the Libyan National Army/AFP

Libyen kommt nicht voran: Jahre des Krieges und des Chaos, eine nicht endende politische Stagnation, die verheerende Flut im September 2023 und das Fehlen eines demokratischen Weges haben den nordafrikanischen Staat anfällig für ausländischen Einfluss werden lassen.

Den politischen Stillstand sucht zunehmend Russland für sich auszunutzen - nicht zuletzt in Form seiner berüchtigten Söldnergruppe Wagner, die - trotz aller innenpolitischen Wirrungen um die Gruppe in Russland selbst - bereits seit 2018 in dem ölreichen Land in Nordafrika aktiv ist. Geschwächt ist sie in Libyen keineswegs, ihr Einfluss ist weiterhin sehr hoch.

Laut Einschätzung von Militärstrategen ist der Kreml aktiv dabei, eine sogenannte "Entente Roscolonial" zu schaffen und seinen Einfluss auch in Libyen weiter auszubauen. In dem Begriff klingt die "Entente cordiale" an, das 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien geschlossene Abkommen zur Regelung der kolonialen Interessen der beiden Staaten in Afrika. Die "Entente Roscolonial" nun stehe für eine Gruppe von Staaten, die Russland aktiv unterstützen wollten und sich zugleich dem russischen Einfluss unterordneten, heißt es in einem aktuellen Berichtder renommierten Londoner Militärdenkfabrik Royal United Services Institute (RUSI).

Russlands Interessen in Libyen 

Diese Art des neuen "russischen Kolonialismus" zielt gleich aus mehreren Gründen gerade auch auf Libyen. So ist das Land seit 2014 unter zwei rivalisierenden Verwaltungen aufgeteilt. Der Westen Libyens wird von der sogenannten "Regierung der Nationalen Einheit" verwaltet, einer international anerkannten, mit Hilfe der Vereinten Nationen ausgehandelten, provisorischen Regierung mit Sitz in Tripolis unter Premierminister Abdul Hamid Dbaiba. Sie wird von türkischen Milizen unterstützt.

Die konkurrierende östliche Regierung, die sogenannte "Regierung der nationalen Stabilität" unter Premierminister Osama Hamad, hat ihren Sitz in der Stadt Tobruk. Sie wird von der sogenannten Libyschen Nationalarmee unter dem einflussreichen General Chalifa Haftar unterstützt.

Zudem ist Libyen strategisch günstig am Mittelmeer gelegen, verfügt über die größten Ölreserven Afrikas und hat enorme Goldschätze. Gerade hier kommt die Wagner-Gruppe ins Spiel.

"Die Ziele von Wagner in Libyen bestanden hauptsächlich darin, durch die Unterstützung von Haftars Libysch-Arabischen Streitkräften einen mehr oder weniger direkten Zugang zu den Öleinnahmen zu erhalten", sagt Tim Eaton von der Londoner Denkfabrik Chatham House im DW-Gespräch. "Zugleich soll die Gruppe sicherstellen, dass Russland Zugang zum afrikanischen Kontinent hat", so der Londoner Experte. "In diesem Sinne fungiert Libyen für Moskau als Brückenkopf."

Der russische General und neue Wagner-Kommandant Andrej Awerjanow, hier mit Anna Popova, der obersten russischen Verbraucherschützerin, Juli 2023Bild: Sergei Bobylev/Tass/IMAGO

Neuer General, neuer Name

Die Wagner-Gruppe wurde im Jahr 2014 gegründet. Jahrelang wurde sie von dem russischen Millionär Jewgeni Prigoschin geleitet, der enge Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin unterhielt. Doch im Juni 2023 wagte Prigoschin im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine einen Aufstand gegen den Kreml. Zwei Monate später kam Prigoschin bei einem weithin als Racheakt Putins gedeuteten Flugzeugabsturz ums Leben.

Seitdem ist die Wagner-Gruppe dem russischen Militärgeheimdienst unterstellt. Ihr neuer Leiter ist General Andrej Awerjanow. Der General steht bei westlichen Beobachtern im Verdacht, bereits eine wichtige Rolle bei der Überwachung von Attentaten im Ausland und der Destabilisierung europäischer Länder gespielt zu haben. Die Wagner-Söldner in Libyen werden unter seinem Kommando nun als "Expeditionskorps" bezeichnet.

"Durch die Ersetzung von Prigoschin durch eine dem Kreml näherstehende und zudem aus dem russischen Geheimdienst stammende Person sind die Operationen der Wagner-Gruppe viel offensichtlicher mit Moskau verbunden", sagt Hager Ali vom GIGA Institute for Global and Area Studies in Hamburg der DW.

Während der Kreml früher jede Verbindung zu den Aktivitäten der Wagner-Miliz abstreiten konnte, weil diese sich als privat geführte Söldnergruppe ausgab, habe sich dies durch die Berufung Awerjanows geändert, so Hager Ali. "Jetzt steht die Gruppe tatsächlich für eine direkte Erweiterung russischer Interessen in Afrika und in Nahost."

Der ehemalige Kommandant der Wagner-Truppe Jewgeni Prigoschin kam 2023 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die meisten Beobachter gehen von einem Racheakt Putins aus Bild: PMC Wagner/Telegram/REUTERS

Unterstützung für Haftar

Allerdings sei nicht jeder Wagner-Kämpfer mit der neuen Führung zufrieden, sagt der unabhängige russische Nahost-Experte Ruslan Suleymanow mit Sitz in Baku im DW-Gespräch: "Bis heute erweisen sich die Verhandlungen bisheriger Wagner-Kämpfer mit dem russischen Verteidigungsministerium als schwierig."

Doch eine der ersten Personen, mit denen Awerjanow im vergangenen September zusammentraf, war Libyens östlicher Machthaber General Haftar. Beide Seiten bekräftigten ihr Engagement für einen Deal, den man mit den Worten "Sicherheit gegen Ressourcen" bezeichnen könnte, so der Bericht der Londoner Militärstrategen von RUSI.

Wie schon vor dem Tod Prigoschins, unterstützten die bisherigen Wagner-Kämpfer Haftar auch weiterhin. Im Gegenzug, so westliche Experten, dürfen sie Libyen als Durchgangsstation für den Transit von Waffen sowie angeblich auch für Drogen nutzen und haben direkten Zugang zu drei libyschen Luftstützpunkten. Über diese Stützpunkte wird laut westlichen Experten auch Gold in das unter westlichen Sanktionen stehende Russland gebracht.

Die Wagner-Milizionäre lieferten von Libyen aus außerdem Boden-Luft-Raketen, Munition, Treibstoff und andere Güter zu einer der beiden Bürgerkriegsparteien im Sudan, heißt es in einer Analyse von Expertin Hager Ali.  

Darüber herrscht in politischen Zirkeln in den USA die Sorge, Russland könnte versuchen, für seine Marine einen Zugang zu den Häfen im Osten Libyens zu erhalten, ergänzt Tim Eaton.

Für die Libyer bedeutet die fortgesetzte Anwesenheit von Wagner-Söldnern im Land "schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, Massenvergewaltigungen und außergerichtliche Tötungen", stellte die EU bereits im Dezember 2021 fest.

Beisetzung von Wagner-Chef Prigoschin in Sankt Petersburg, Ende August 2023Bild: REUTERS

Kaum Hoffnung auf Demokratie

Gebessert hat sich die Situation nicht. Der letzte Versuch, in Libyen Wahlen abzuhalten, scheiterte im Dezember 2021. Seitdem war keine der Parteien in der Lage oder bereit für Schritte, die den politischen Stillstand überwinden könnten.

Im Februar forderte der UN-Sondergesandte für Libyen, Abdoulaye Bathily, die libysche Führungen erneut auf, "ihre Eigeninteressen zurückzustellen und in guter Absicht an den Verhandlungstisch zu kommen." Die Fragilität der Institutionen und die tiefe Spaltung der Nation stelle ein ernsthaftes Risiko für die Stabilität des Landes dar, warnte er. 

Solange allerdings die Wagner-Gruppe beziehungsweise ihre Nachfolger im Lande präsent seien, gebe es kaum Hoffnung auf eine durch faire Wahlen legitimierte Regierung, meint Libyen-Experte Hager Ali. Ein demokratisches geeinigtes Libyen würde ihren Einfluss automatisch schwächen - und damit auch Russlands strategische und wirtschaftliche Interessen schwächen. Die Wagner-Gruppe begegne dieser Gefahr sogar mit Desinformationskampagnen, deren Wirkung nicht zu unterschätzen sei: "Sie kann sich in die Wahlvorbereitungen einmischen, Wähler durch Gewalt einschüchtern und sogar dabei helfen, Wahlen zu manipulieren."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

 

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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