Treibstoffkrise in Russland: Benzinmangel und hohe Preise
12. Oktober 2025
Die Treibstoffkrise in Russland, ausgelöst durch ukrainische Drohnenangriffe, verschärft sich weiter. Eine Raffinerie nach der anderen muss wegen Reparaturarbeiten schließen, die Produktionsmengen sinken deutlich.
Infolgedessen sind die Kraftstoffpreise an der Börse auf Rekordwerte gestiegen. Auch an der Zapfsäule ziehen die Preise an. Allerdings noch nicht so dramatisch, weil die Regierung sie künstlich niedrig hält. Doch wie einst zu Sowjetzeiten führt die Preisregulierung zu Engpässen.
Welche Schäden haben ukrainische Drohnen verursacht?
In den vergangenen Monaten haben ukrainische Drohnen laut von der DW ausgewerteten offenen Quellen zahlreiche Ölraffinerien in Russland getroffen. Darunter Afipskij, Ilskij und Slawjansk in der Region Krasnodar sowie Anlagen in Wolgograd, Nowokuibyschewsk, Nowoschachtinsk, Rjasan, Samara, Saratow, Sysran und Uchta. Insgesamt ist damit fast die Hälfte aller Raffinerien in Russland mindestens einmal angegriffen worden.
Offizielle Produktionsdaten halten die russischen Behörden geheim. Das Ausmaß der Schäden lässt sich lediglich anhand anonymer Berichte von Insidern und Experten abschätzen. Nach Recherchen von Reuters und The Economist könnten bis zu 20 Prozent der Raffineriekapazitäten zeitweise stillstehen.
Ein Marktteilnehmer bestätigte gegenüber der russischen Zeitung Kommersant eine ähnliche Schätzung: Im September hätten rund 400.000 Tonnen Benzin gefehlt - bei einem Gesamtvolumen von zwei Millionen Tonnen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, der Benzinmangel in Russland habe 20 Prozent erreicht.
Wieso kommt es jetzt zum Mangel?
Die Krise hatte sich bereits im Hochsommer abgezeichnet - noch bevor es zu massenhaften Ausfällen in den Raffinerien kam. Mehrere Faktoren trafen zusammen: eine saisonal gestiegene Nachfrage, planmäßige Wartungsarbeiten in einigen Raffinerien und außerplanmäßige Reparaturen in anderen. Zudem steigerten die Ölkonzerne ihre Exporte deutlich.
Als die Knappheit die Preise auf Rekordhöhen trieb, verhängten die Behörden ein vorübergehendes Exportverbot. Das kühlte den Markt zunächst ab. Experten warnten jedoch früh, dass die Wirkung schnell nachlassen werde, falls weitere Störungen hinzukämen - etwa massive Drohnenangriffe. Genau das trat ein.
Ein wesentlicher Faktor dürfte zudem die veränderte Taktik der ukrainischen Streitkräfte gewesen sein. Sie greifen gezielt dieselben Raffinerien immer wieder an und verhindern deren Wiederinbetriebnahme. So wurde etwa die Anlage in Rjasan, eine der größten des Landes, mindestens sechsmal getroffen, jene in Wolgograd und Sysran jeweils viermal.
"Früher, etwa im Jahr 2024, wurde jede Raffinerie nur einmal angegriffen, sodass Schäden innerhalb weniger Tage oder Wochen behoben werden konnten", erklärt Sergei Vakulenko, Experte am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin, im Gespräch mit der DW.
Formen der Krise
Russische Hersteller müssen mindestens 15 Prozent ihres Benzins an der Börse verkaufen. Seit Jahresbeginn sind die Preise dort um mehr als 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hält der Staat mit sogenannten Dämpferzahlungen den Binnenmarkt künstlich stabil: Ölkonzerne verkaufen Benzin im Inland zu regulierten Preisen und erhalten vom Staat Kompensationen für etwaige Verluste. Die Antimonopolbehörde kontrolliert zudem Preiserhöhungen und kündigte am 30. September Inspektionen an Tankstellen in mehreren Regionen an.
Im Einzelhandel stiegen die Benzinpreise seit Jahresbeginn laut Rosstat (Stand: 24. September) um 8,36 Prozent an. Das ist zwar doppelt so hoch wie die allgemeine Inflationsrate, aber immer noch moderat. Problematisch ist, dass Tankstellen, die nicht an Ölkonzerne angeschlossen sind und nicht direkt Kraftstoff von ihnen beziehen, keine Ausgleichszahlungen erhalten. Sie müssen Kraftstoff an der Börse kaufen, wo die Preise an die im Einzelhandel herankommen.
Folgen für Tankstellen
"Das ist weder ein Kollaps noch ein Albtraum. Die Probleme entstehen dadurch, dass der Markt an eine Situation gewöhnt war, in der Benzin allgemein im Überfluss vorhanden war", erläutert Sergei Vakulenko und fügt hinzu: "Es gibt logistische Probleme, weil eine Raffinerie nach der anderen den Betrieb einstellt. Unabhängige Tankstellenketten sind gezwungen, ihre Käufe einzustellen, weil ihnen das Benzin an der Börse zu teuer ist."
Viele unabhängige Tankstellen schließen, um Verluste zu vermeiden. Laut der Agentur OMT-Consult sank ihre Zahl zwischen dem 28. Juli und dem 22. September um rund 360 Standorte. Das erscheint zunächst wenig, doch in manchen Regionen - etwa in Rostow, Mari El und der Jüdischen Autonomen Region - mussten bis zu 14 Prozent der Stationen dichtmachen. Auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim ist die Hälfte aller Tankstellen inzwischen zu. Laut OMT-Consult sind die Regionen im Fernen Osten besonders gefährdet. In anderen Regionen, wo noch keine Tankstellen geschlossen haben, ist die Benzinversorgung aber eingeschränkt.
Wie reagiert die Regierung?
Das Embargo für Treibstoffexporte galt zunächst bis Ende August, wurde dann aber bis Jahresende 2025 verlängert. Russland importiert inzwischen vermehrt Benzin aus Belarus, doch auch das lindert den Mangel kaum.
Vizepremier Aleksandr Nowak schlug laut der Zeitung Kommersant vor, Zölle auf Importe aus China, Südkorea und Singapur abzuschaffen, um Lieferungen von dort zu gewährleisten. Eine weitere Initiative sieht vor, Herstellern die Verwendung von Monomethylanilin zu erlauben, einem Oktanzahl-steigernden Zusatzstoff, der die Herstellung von Benzin aus minderwertigen Rohstoffen ermöglicht. Russland hat dessen Verwendung 2016 verboten und sich damit an die europäischen Emissionsstandards angepasst.
Ob diese Maßnahmen greifen, ist ungewiss - zumal die Drohnenangriffe anhalten. In manchen Raffinerien, sagt Sergej Vakulenko, "geht nichts mehr". Langfristig könnte die russische Führung gezwungen sein, über ein stillschweigendes Abkommen mit der Ukraine nachzudenken - über den gegenseitigen Verzicht auf Angriffe auf Energieanlagen.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk