Russland droht der Ukraine mit militärischem Eingreifen
9. April 2021
Der Kreml sieht im Osten der benachbarten Ukraine die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs - und warnt. Die Führung in Kiew versucht zu beschwichtigen.
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Droht eine Eskalation in der Ostukraine?
Truppenbewegungen, Artillerie, Kriegsschiffe: Russland und die Ukraine haben ihre Militärpräsenz an der gemeinsamen Grenze im Donbass verstärkt. Beide Seiten bezichtigen sich gegenseitig der Provokation.
Bild: Serhoy Takhmazov/Reuters
Test der Waffensysteme
Bisher diente das Abfeuern von Artillerie Testzwecken. Offiziellen Angaben zufolge prüfen die Truppen auf beiden Seiten der Grenze die Einsatzbereitschaft ihrer Waffensysteme. Diese Aufnahme von einer russischen Panzerhaubitze stammt aus einem Video, das das Moskauer Außenministerium veröffentlicht hat.
Vergangene Woche hatte Russland begonnen, die Militärpräsenz an der Grenze zur Ukraine zu stärken. Man reagiere damit auf Provokationen der Ukraine, die auf eine Eskalation des Konfliktes zwischen russischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen abzielten, teilte der Kreml mit. Laut Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gab es keine Provokation.
USA, NATO und EU haben der Ukraine Unterstützung bei Verteidigung ihres Territoriums zugesagt. Aus Ankara hieß es am Freitag, die USA hätten bereits Ende März die Durchfahrt zweier Kriegsschiffe durch den Bosporus ins Schwarze Meer für Mitte April ankündigt. Das Bild zeigt einen von zwei US-Zerstörern, die die Meerenge Mitte März Richtung Schwarzes Meer passierten.
Bild: Murad Sezer/REUTERS
Seit sieben Jahren im Krieg
Der Konflikt in der Ostukraine brach Anfang 2014 aus, als pro-russische Rebellen Teile der ukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk unter ihre Kontrolle brachten. Nach Ansicht der ukrainischen Regierung und ihrer westlichen Verbündeten unterstützt der Kreml sie dabei mit inoffiziellen Söldnern und Waffen. Seither wurde eine Reihe von Waffenruhen vereinbart, die aber immer wieder gebrochen wurden.
Bild: Oleksandr Klymenko/REUTERS
Zerbombt und zerstört
Dieser Mann steht in den Ruinen seines Hauses im Gebiet der selbsterklärten Volksrepublik Donezk. Es wurde bei Kampfhandlungen zwischen Rebellen und Regierungssoldaten zerstört. Zwar tragen den Konflikt hauptsächlich Soldaten, Söldner, Rebellen und Milizionäre aus. Doch er trifft auch immer wieder die Zivilbevölkerung. Anfang 2019 zählte die UN 3300 getötete Zivilisten.
Bild: Alexander Ermochenko/Reuters
Gefechte trotz Waffenruhe
Bei den Kämpfen seit 2014 wurden über 13.000 Menschen getötet. Die seit Juli 2020 geltende Waffenruhe war nach OSZE-Angaben relativ stabil. Nun bröckelt sie aber wieder. Mindestens fünf ukrainische Soldaten und ein fünfjähriger Junge wurden in den vergangenen sieben Tagen auf dem Gebiet der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" getötet. Kiew bestreitet, für seinen Tod verantwortlich zu sein.
Bild: Serhiy Takhmazov/Reuters
Selenskyj zeichnet Soldaten aus
Am Donnerstag reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den Donbass und versuchte, sich ein Bild von der Lage zu machen. Er zeichnete ukrainische Soldaten für ihren Dienst an der Front aus. Am Samstag trifft Selenskyi den türkischen Präsidenten Erdogan. Auch eine Zusammenkunft mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei geplant, berichten ukrainische Medien.
Bild: Presidency of Ukraine/picture alliance
Russischer Pass im Schnellverfahren
Seit 2019 haben die rund 500.000 Bewohner der selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk die russische Staatsbürgerschaft nach einem vereinfachten Verfahren bekommen. Zu ihrem Schutz, heißt es, werde der Kreml die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Eine Sprecherin von US-Präsident Biden sagte, das russische Militäraufgebot an der ukrainischen Grenze sei so groß wie seit 2014 nicht mehr.
Bild: Alexander Usenko/AA/picture alliance
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Russland hat angesichts der Eskalation der Lage im Grenzgebiet zur Ostukraine mit einem militärischen Eingreifen zum Schutz seiner Staatsbürger gedroht. Im Falle eines Aufflammens von Kampfhandlungen werde Russland einer möglichen "menschlichen Katastrophe" nicht tatenlos zuschauen, machte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut der Agentur Interfax in Moskau deutlich. Die Militärdoktrin des Landes lässt eine Intervention zum Schutz russischer Staatsbürger im Ausland zu.
Den russischsprachigen Bewohnern der Gebiete Donezk und Luhansk in der Ostukraine gewährt Moskau bereits seit 2019 trotz internationalen Protests die russische Staatsbürgerschaft. Mehr als 400.000 Menschen dort haben einen russischen Pass. Teile der Gebiete Luhansk und Donezk entlang der russischen Grenze stehen seit 2014 unter Kontrolle moskautreuer Separatisten.
"Wir stellen jetzt eine beispiellose Eskalation der Spannungen fest. Das löst Besorgnis aus", sagte Peskow. Die weitere Entwicklung werde darüber entscheiden, welche Maßnahmen Russland ergreife, "um seine Sicherheit zu gewährleisten", ergänzte er.
Ukrainische Armee: Kein Angriff geplant
Das Militär in der Ukraine wies Vorwürfe zu mutmaßlichen Vorbereitungen eines Angriffs auf die pro-russischen Separatistengebiete im Osten des Landes zurück. Eine Rückeroberung dieser Regionen würde "unweigerlich zum Tod einer großen Zahl von Zivilisten und zu Verlusten unter den Soldaten führen" und sei daher nicht akzeptabel, erklärte Armeechef Ruslan Chomtschak in Kiew. In einem Interview Ende März hatte Chomtschak allerdings darauf hingewiesen, Präsident Wolodymyr Selenskyj habe kein Problem damit, den Befehl für eine Offensive zu geben. Nun hieß es aus Kiew, man gebe weiterhin einer diplomatischen Lösung des Konflikts den Vorzug.
Beide Seiten geben sich seit Tagen gegenseitig die Schuld an einer neuen Eskalation in dem seit sieben Jahren andauernden Konflikt. Russland und die Ukraine zogen jeweils unweit der umstrittenen Regionen Truppen zusammen. Trotz einer offiziell geltenden Waffenruhe werden bei Gefechten täglich Menschen getötet.
Derweil berichtet die Türkei, dass die USA zwei Kriegsschiffe ins Schwarze Meer entsenden. Ankara sei vor zwei Wochen über diplomatische Kanäle von der Durchfahrt durch die Bosporus-Meerenge informiert worden, sagte eine Sprecherin des türkischen Außenministeriums. Die Durchfahrt sei für Mitte April geplant. Die Schiffe sollten bis Anfang Mai im Schwarzen Meer bleiben.
Die russische Führung sieht darin eine Provokation. "Jede militärische Unterstützung der Ukraine bedeutet, Kiew zur Anwendung militärischer Gewalt im Südosten zu ermutigen", sagte etwa der Außenpolitiker Konstantin Kossatschow.
Putin telefonierte am Freitag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wie der Kreml mitteilte. Dabei habe er auch betont, dass nur der Friedensplan von 2015 Grundlage für ein Ende des Konflikts sein könne.
Erdogan empfängt an diesem Samstag den ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Ukrainischen Medien zufolge ist auch eine Begegnung Selenskyjs mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron geplant. Deutschland und Frankreich vermitteln seit Jahren in dem Konflikt.