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Russland erkennt die Taliban-Regierung in Afghanistan an

4. Juli 2025

Russland hat als erstes Land weltweit die Taliban-Regierung in Afghanistan offiziell anerkannt. Dieser Schritt wertet die radikale Gruppe auf der internationalen Bühne auf und setzt den Westen unter Zugzwang.

Vor der afghanischen Botschaft in Moskau weht die Flagge der Taliban
Vor der afghanischen Botschaft in Moskau weht jetzt die Flagge der TalibanBild: Alexander Nemenov/AFP

"Diese mutige Entscheidung wird ein Beispiel für andere Länder sein." Mit diesen Worten begrüßte der Außenminister der afghanischen Taliban-Regierung Amir Chan Muttaki die Erklärung Russlands, seine Regierung der Taliban offiziell anzuerkennen. Es stehe eine "neue Phase positiver Beziehungen, gegenseitigen Respekts und konstruktiven Engagements" bevor, schrieb das afghanische Außenministerium im Onlinedienst X. "Jetzt, wo der Prozess der Anerkennung begonnen hat, war Russland allen voraus", erklärte der Minister in einem beigefügten Video.

Nach dem Abzug internationaler Truppen im August 2021 kamen die radikal-islamistischen Taliban wieder an die Macht. Die Regierung ist nicht demokratisch gewählt. Sie setzt eine radikale Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, mit aller Härte durch. Mädchen und junge Frauen dürfen zum Beispiel nicht in die Schule gehen. International hat bisher kein einziges Land die Taliban-Regierung in Afghanistan als legitim anerkannt. 

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Wirtschaftliche Interessen

Russland dürfte mit der Anerkennung der Taliban konkrete Interessen verbinden, sagt der Afghanistan-Experte Conrad Schetter, Direktor des Think Tanks Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc), im DW-Interview. So dürfe Russland ein erhebliches Interesse an wirtschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan haben, auch und vor allem als Drehscheibe seines Asien-Handels. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wird Russland international sanktioniert. 

Auf diesen Punkt wies auch das Carnegie Endowment for International Peace in Washington in einer Studie von 2024 hin. "Russische Regierungsvertreter sprechen erneut davon, Afghanistan als Transitknotenpunkt zu nutzen, für den Export russischen Erdgases nach Indien und anderer Güter über pakistanische Seehäfen", heißt es in einer Studie der Stiftung. "Dies erfordert jedoch den Bau einer Gaspipeline durch die Berge und die Verlängerung einer Eisenbahnlinie, die derzeit in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif an der usbekischen Grenze endet." Bloßer Wunschtraum sei bislang die Errichtung einer Eisenbahnlinie von Russland durch die zentralasiatischen Länder und Afghanistan nach Pakistan. Damit würde Russland einen direkten Zugang zum Indischen Ozean haben. 

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Generell hoffe Moskau, durch die Entscheidung ein wichtiger Lieferant und wirtschaftlicher Partner Afghanistans zu werden und den Handel mit Öl, Gas und Weizen sowie die Zusammenarbeit bei Infrastruktur-, Energie- und Landwirtschaftsprojekten auszuweiten, heißt es in einer Studie des Beratungsunternehmens SpecialEurasia am Freitag (4.7.25.)

Eine wesentliche Rolle dürfte zudem der Anspruch Moskaus spielen, Trendsetter in einem neuen Umgang mit Afghanistan zu sein, so Schetter. "Man hofft jetzt, dass andere autoritär regierte Länder nachziehen. Mit diesem Schritt will man unter den autokratischen Staaten eine führende Rolle einnehmen. Das dürfte ein wesentliches Motiv dieser Entscheidung sein."

Beziehungspflege: Treffen zwischen afghanischem Außenminister Amir Chan Muttaki und russischem Botschafter Dmitry Zhirnov in Kabul am 3. Juli 2025Bild: Afghanistan's Ministry of Foreign Affairs/AFP

Druck auf Westen

Zwar ist Russland der erste Staat, der die Taliban offiziell anerkennt. Doch auch andere, überwiegend autoritär geführte Staaten haben längst Beziehungen zu den Taliban geknüpft. China etwa hat seine Botschaft in Kabul weiterhin geöffnet, obwohl Peking die Regierung offiziell nicht anerkennt. Auch kam es zwischen beiden Ländern zu Treffen auf Ministerebene. Der Iran pflegt diplomatische Kontakte zu den Taliban, auch er hat eine Botschaft in Kabul.

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Pakistan hat enge Beziehungen zu Afghanistan trotz politischer Spannungen aufgrund der Aktivitäten sunnitischer Extremisten im Grenzgebiet der beiden Länder. Die Region gilt als Brutstätte extremistischer und terroristischer Aktivitäten weltweit. Der erzwungene Massenexodus afghanisch-stämmiger Personen aus Pakistan nach Afghanistan zeigt das Maß der faktischen Kooperation der beiden Länder. Katar agiert als der Mittler der Taliban-Regierung mit dem Westen. In Katar wurde 2020 das Doha-Abkommen zwischen der US- und der Taliban-Regierung unterschrieben, das den Abzug der US-Streitkräfte regelte.

Folgten diese Länder dem russischen Beispiel, könne dies für die westlichen Staaten erheblichen politischen Druck nach sich ziehen, sagt Schetter. "Diese Staaten müssten sich dann fragen, wie sie sich den Taliban gegenüber verhalten. Und genau das dürfte eine diplomatische Dynamik entfachen, auf die die Taliban aufgrund des jüngsten russischen Schrittes nun verstärkt hoffen."

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Schlechte Aussichten für Frauenrechte

Für die Menschen in Afghanistan, insbesondere für die Frauen und Mädchen, dürfte die Anerkennung der Taliban-Regierung nach Einschätzung afghanischer Frauenrechtlerinnen nichts Gutes bedeuten. 

Dieser Schritt sei zwar nicht überraschend, wohl aber äußerst besorgniserregend, sagt Shaharzad Akbar, die ehemalige Leiterin der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, da sie die weitverbreiteten Verbrechen der Taliban gegen die eigene Bevölkerung und insbesondere gegen die  Frauen normalisiere. "Die Anerkennung sendet ein Signal an alle Länder, die gegen Frauen und Menschenrechte arbeiten, die Frauen unterdrücken und die ihre Politik auf die Grundlage von Religion, Repression und ethnischer Zugehörigkeit stellen."

Mädchen in einer Koranschule nahe Kabul, 2022Bild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Besorgt äußert sich auch Conrad Schetter. "Der Schritt deutet darauf hin, dass die internationale Gemeinschaft die Anerkennung der Taliban über die Einhaltung von Menschenrechten setzt. Es geht hier um bloße Machtpolitik, in der die Frage von Menschen oder von Frauenrechten eine wirklich sehr untergeordnete Rolle spielt."

Zwar bestehe Anlass zur Hoffnung, dass die Taliban den Frauen irgendwann wieder größere Rechte zugestehen könnten. "Aber das muss dann nach den Spielregeln der Taliban geschehen. Die derzeitige Logik der islamistischen Gruppe in Afghanistan besteht darin, den Frauen sämtlich Rechte zu nehmen, um sie ihnen irgendwann wieder zurückzugeben. Das geschieht dann auf der Grundlage eigener Entscheidungen der Taliban, und nicht durch internationalen Druck. Durch die Anerkennung seitens Russlands dürften sich die Taliban auf ihrem innenpolitischen Kurs aber erst einmal bestätigt fühlen."

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika