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Russland: Frauen bangen um ihre Rechte

Darko Janjevic
23. November 2023

Im russischen Parlament wird darüber debattiert, Abtreibungen in Privatkliniken zu verbieten. Die "Anstiftung" zum Schwangerschaftsabbruch steht in einigen Regionen bereits unter Strafe. Droht ein vollständiges Verbot?

Schwangere bei der Ultraschalluntersuchung
In Russland wird es immer schwieriger, eine ungewollte Schwangerschaft zu beendenBild: Fotolia/Sven Bähren

In Russland sehen sich Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollen, immer größeren Hindernissen ausgesetzt. So schränkt die Regierung den Verkauf von Präparaten für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch ein.

Die russisch-orthodoxe Kirche treibt zudem ein Verbot von Abtreibungen in Privatkliniken voran. Und in zwei russischen Verwaltungsregionen werden Bußgelder für die "Anstiftung" zum Schwangerschaftsabbruch fällig.

Kirchenvertreter fordern zudem die Einführung von Gesetzen, die es verheirateten Frauen unmöglich machen, ohne Einwilligung ihres Ehemanns einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.

"Funktion des Gebärens"

Und die russische Politikerin Margarita Pawlowa, Senatorin des russischen Föderationsrates aus Tscheljabinsk, erklärte jüngst: "Wir müssen aufhören, Mädchen in Richtung höherer Bildung zu lenken […] die sie dann ins Leere laufen lässt".

Pawlowa selbst ist Absolventin der Staatlichen Akademie für Kultur und Kunst in Tscheljabinsk. Junge Menschen, so die Politikerin, verbringen viele Jahre mit der Suche nach sich selbst und versäumen dabei ihre "Funktion, Kinder zu gebären".

Patriach Kirill macht Druck

Inzwischen hat die Abtreibungsdebatte auch das russische Parlament erreicht. Laut Medienberichten arbeitet die Staatsduma auf Bitte des russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill an einem Verbot von Abtreibungen in allen russischen Privatkliniken.

Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche will die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an Privatkliniken sowie die "Anstiftung" zu einem Schwangerschaftsabbruch landesweit verbieten. Dabei verwies er auf ähnliche Initiativen auf regionaler Ebene.

Vertreter mehrerer Regionen haben bereits verkündet, Privatkliniken hätten "freiwillig" zugestimmt, keine weiteren Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, sofern für diese keine medizinische Begründung vorliegt. Zu diesen Regionen zählt auch die besetzte Krim. Die Regionalhauptstadt der Krim, Sewastopol, scheint jedoch Berichten zufolge davon ausgenommen.

Viele Frauen ziehen einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch einem chirurgischen Eingriff vorBild: Erin Hooley/Chicago Tribune/TNS/Abaca/picture alliance

In staatlichen Kliniken ist es bereits Praxis, dass sich Frauen einer Beratung unterziehen müssen. 2017 erstellte das russische Gesundheitsministerium dazu eine Reihe von Leitlinien für Beratende. Bei der Beratung wird Schwangeren in der Regel von einer Abtreibung abgeraten.

Doch es gebe noch einen weiteren Grund, warum versucht werde, Frauen in die staatlichen Krankenhäuser zu drängen, meint Frauenrechtsaktivistin Maria Karnovich-Valua. Denn Privatkliniken böten häufig medikamentös eingeleitete Schwangerschaftsabbrüche an.

Dieses Verfahren sei weniger invasiv und schmerzhaft als der chirurgische Schwangerschaftsabbruch, der von den staatlich finanzierten Krankenhäusern bevorzugt wird. Viele Frauen hätten vor einem solchen Eingriff Angst, so Karnovich-Valua.

Geburtenrate drastisch gesunken

Die Rhetorik der Abtreibungsgegner mag extrem erscheinen, doch die russische Regierung ist schon seit Jahrzehnten bemüht, der demografischen Krise des Landes entgegenzuwirken.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der darauf folgende wirtschaftliche Zusammenbruch in den 90ern führten zu einem drastischen Rückgang der Geburtenrate. Diese lag im Jahr 1987 bei knapp über zwei Kindern pro Frau, fiel aber bis 1999 auf 1,16.

Nachdem Wladimir Putin 2000 Präsident wurde, erholte sich die Geburtenrate. Fachleute machen dafür sowohl die wirtschaftliche Stabilisierung als auch die während seiner Regierungszeit angestoßenen finanziellen Hilfen für Eltern durch den Staat verantwortlich.

2015 erreichte die Geburtenrate einen Höchstwert von 1,78 Kindern pro Frau, ein Wert allerdings, der noch immer unter der Reproduktionsrate von 2,1 Kindern liegt, die für den Erhalt der Bevölkerung notwendig wären.

Ukrainekrieg: Junge Paare verlassen das Land

Mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine im Jahr 2022 traten weitere Probleme mit negativen demografischen Folgen auf: die große Unsicherheit, die Mobilisierung junger Männer und die vielen jungen Paare, die das Land verlassen.

Laut Medienberichten, die sich auf offizielle Statistiken berufen, wurden in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 in Russland 3,1 Prozent weniger Kinder geboren als im gleichen Zeitraum des Jahres 2022. Offiziellen Daten zufolge schrumpfte die Bevölkerung Russlands im Jahr 2022 um mindestens 524.000 Personen und liegt jetzt bei etwa 146,4 Millionen.

Lösung in Sicht?

Ginge es nach dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill, kann das Problem der sinkenden Geburtenraten "wie von Zauberhand" gelöst werden. Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen an Privatkliniken sowie ein landesweites Ende der "Anstiftung" zu einem Schwangerschaftsabbruch, wären aus seiner Sicht das richtige Mittel.

Experten sind jedoch nicht davon überzeugt, dass ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu einem deutlichen Anstieg der Geburtenrate führen wird.

Vielmehr führt ein Abtreibungsverbot in der Regel zu mehr illegalen Abbrüchen, einem leichten Anstieg der Mütter- und Säuglingssterblichkeit und dem sogenannten Abtreibungstourismus, bei dem Frauen in andere Regionen oder Länder reisen, um eine Schwangerschaft beenden zu lassen.

Ein Verbot von Abtreibungen führt nicht zwingend zu mehr GeburtenBild: Christin Klose/dpa/picture alliance

"Möglicherweise kommt es im ersten Jahr zu einem leichten, zeitlich begrenzten Anstieg der Geburtenrate, doch die weiteren Auswirkungen werden negativ oder neutral sein", erklärt der russische Demograf Aleksei Rakscha im Gespräch mit der DW.

Zur Bewältigung der demografischen Krise empfiehlt er staatliche Hilfe für Eltern, gerichtet an so viele Familien wie möglich. "Eine solche Maßnahme kann, wenn sie über mehrere Jahrzehnte angewendet wird, die Geburtenrate um 15 bis 20 Prozent steigern", ist Rakscha überzeugt.

Angst vor Aufschrei der Frauen

Selbst Wladimir Putin scheint einem Abtreibungsverbot skeptisch gegenüberzustehen. Anfang November bezeichnete der russische Präsident Abtreibungen als umstrittenes Thema und sagte: "Die Frage ist, was tut man dagegen?"

"Sollte man die Medikamente verbieten, mit denen eine Schwangerschaft beendet werden kann? Oder sollte man die soziale und wirtschaftliche Situation im Land verbessern, den Lebensstandard anheben, die Reallöhne, die Sozialleistungen […] und junge Familien beim Kauf eines Eigenheims unterstützen?", fragte Putin.

Der Kreml schrecke davor zurück, beim Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen "zu weit" zu gehen, sagt Politikwissenschaftler Dimitrii Oreschkin im Gespräch mit Aleksei Strelnikov von der DW. Die russische Regierung spüre, dass das Thema in Teilen der russischen Bevölkerung unbeliebt ist und fürchte zudem die weibliche Solidarität, meint Oreschkin.

Ohne Schwangerschaftsabbrüche offen zu verbieten, wird die Regierung jedoch im "Stile Putins" vorgehen und "eine Reihe von Einschränkungen einführen, die de facto einem Verbot gleich kommen", ist er überzeugt.

Aleksei Strelnikov hat zu diesem Artikel Interviews beigetragen.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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