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Politik

Russland greift nach Tinder-Nutzerdaten

Roman Goncharenko
5. Juni 2019

Die russischen Geheimdienste dürften sich freuen: Der Staat will auf die Daten der Dating-Plattform Tinder zugreifen. Auch ein weitaus größeres Unternehmen gerät in Russland unter Druck.

Symbolbild App Tinder
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kraufmann

Tinder könnte in Russland als eine der ersten westlichen Online-Größen zur Zusammenarbeit mit Geheimdiensten verpflichtet werden. Wie am Montag bekannt wurde, hat die Telekommunikations-Kontrollbehörde Roskomnadzor Ende Mai die US-Dating-Plattform in ein spezielles Register der Online-Informationsanbieter aufgenommen. Ein neues Gesetz verpflichtet Unternehmen aus diesem Register, Nutzerdaten für sechs Monate zu speichern und sie auf Anfrage an Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Gemeint sind Geheimdienste, aber auch Innen- und Verteidigungsministerium oder die Zollbehörde. Man habe sich in der Tat registrieren lassen, eine Weitergabe von Daten sei jedoch nicht erfolgt, zitieren russische Medien einen Tinder-Vertreter. Ob es Anfragen dazu gab, ist nicht bekannt.     

Das Dilemma von Tinder 

Damit steht das vor allem bei jungen Menschen beliebte Tinder vor einem Dilemma: Entweder es gibt Nutzerdaten an die russischen Behörden weiter und nimmt einen möglichen Imageschaden in Kauf, oder es riskiert eine Sperrung. Der in Russland entwickelte Messenger-Dienst Telegram wurde 2017 in das Register aufgenommen und weigerte sich, dem Inlandsgeheimdienst FSB Zugangscodes zur Verfügung zu stellen. Er wurde daraufhin gesperrt. Telegram wird in Russland jedoch mit der Hilfe von Software zur Umgehung von solchen Sperren weiterhin genutzt.   

Genaue Angaben über Tinder-Nutzerzahlen in Russland gibt es nicht. Nach Schätzungen russischer Medien könnten es rund 200.000 sein. Zum gesamten Markt der Dating-Apps im Land sollen rund drei Millionen Nutzer gehören, Marktführer sind die russischen Angebote Mamba und Badoo, die bereits früher registriert wurden.

Yandex, der russische Marktführer unter den Suchmaschinen, gerät auch unter Druck Bild: imago/A. Belitsky

Insgesamt umfasst das Roskomnadzor-Register rund 200 Online-Anbieter - von kaum bekannten Websites bis zu Giganten wie dem Email-Dienst Mail.ru oder VKontakte, dem russischen Pendant zu Facebook. Auch der Schweizer Messenger-Dienst Threema wurde registriert. Ob er die Daten seiner Nutzer an die russischen Behörden weitergibt, ist nicht bekannt. 

Dating-App als Quelle der Diskreditierung?   

Beobachter in Moskau wie der Journalist und Blogger Alexander Pluschtschew meinen, Tinder dürfte als "eine exzellente Quelle für das Kompromat" dienen. Dieser Begriff bezeichnet in Russland belastende Informationen, die unter anderem von Geheimdiensten zur Erpressung oder Diskreditierung einer Person eingesetzt werden. In den Medien veröffentlichte Berichte über sexuelle Beziehungen sind eine besonders beliebte Methode. "Das gilt nicht nur für Russland, sondern für die ganze Welt", sagt Pluschtschew im Gespräch mit der DW. Es ist unklar, wie jetzt mit ausländischen Tinder-Kunden umgegangen wird, wenn sie mit russischen Staatsbürgern Kontakte und Beziehungen pflegen.     

Wie "Kompromat" mit Hilfe von Tinder funktioniert, zeigt ein Beispiel aus der benachbarten Ukraine. Ende 2018 wurden dort in sozialen Netzwerken und in einigen Medien die Vorwürfe einer Studentin gegenüber einem hochrangigen Polizeibeamten verbreitet. Der Mann soll sie angeblich über Tinder sexuell belästigt und bedroht haben. Die Geschichte entpuppte sich als Fake, die Täter wurden identifiziert, manche sind verurteilt worden. 

Tinder - eine "ideale Zielscheibe"   

Tinder sei eine "ideale Zielscheibe" für Roskomnadzor, meint der Blogger Pluschtschew, denn jede Entscheidung der US-Firma würde Moskau in die Hände spielen. Sollte Tinder der Datenübergabe zustimmen, wäre das "ein erster großer Erfolg" der russischen Internet-Regulierungspolitik in Bezug auf ausländische Teilnehmer. Sollte sich die Dating-Plattform doch querstellen, würde man sie sperren. Dann hätte Moskau ein zusätzliches Argument in Gesprächen mit westlichen Daten-Giganten wie Facebook und Google, meint Pluschtschew: "Schaut her, wir ziehen die Schrauben langsam aber sicher an."  

Dieselbe Botschaft dürfte auch für Yandex gelten, den russischen Marktführer unter den Suchmaschinen. Das in den Niederlanden ansässige internationale Unternehmen ist bereits seit 2014 im Register des Roskomnadzor. Nun berichten russische Medien, der Geheimdienst FSB habe Zugangscodes für einige Dienste der Firma angefragt, darunter jene für ein Webpostfach. Betroffen wären Dutzende Millionen Russen - also viel mehr als im Fall der Tinder-Nutzer. Yandex teilte am Dienstag in einer Stellungnahme mit, es solle doch möglich sein, die Gesetze einzuhalten, ohne die Privatsphäre der Kunden zu verletzen.  

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