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PolitikUkraine

Russland greift vor dem Winter das Gasnetz der Ukraine an

14. Oktober 2025

Die Ukraine bereitet sich auf eine schwierige Heizsaison vor. Wegen gezielter russischer Angriffe auf Anlagen gibt es Engpässe bei der Gasversorgung. Die Regierung bleibt aber bei festen Gaspreisen für die Haushalte.

Flamme an einem Gasherd
Wegen des russischen Beschusses herrscht in der Ukraine GasmangelBild: Thomas Imo/photothek/IMAGO

Fast täglich attackiert Russland die Energieinfrastruktur der Ukraine. In der Nacht auf Dienstag fiel nach gezielten Bombenangriffen auf Charkiw in drei Bezirken der Strom aus. Zuvor hatte ein Angriff am 10. Oktober die Strom- und Gasinfrastruktur in gleich mehreren Regionen des Landes beschädigt.

In den vergangenen Jahren hatte Russland das ukrainische Stromnetz massiv angegriffen - ohne dabei allerdings den vorgesehenen großflächigen Stromausfall verursachen zu können. In diesem Herbst nimmt die russische Armee nach Einschätzung von Experten gezielt die Gasförderung und die Leitungsnetze ins Visier - genau zu Beginn der Heizsaison. Daher könnte der Winter 2025/26 für die Ukraine der schwierigste seit Beginn der umfassenden russischen Invasion im Frühjahr 2022 werden.

Heizsaison gestartet, aber nicht für alle Ukrainer

In den Regionen Riwne, Lwiw und Chmelnyzkyj sowie in der Hauptstadt Kyjiw hat die Heizsaison bereits begonnen. Dort werden derzeit aber nur soziale Einrichtungen mit Wärme versorgt. In Cherson begann die Heizsaison am 1. Oktober für Haushalte, die eigene Heizkessel haben, und in der Region Charkiw soll die Heizsaison um den 1. November starten.

Gleichzeitig wird es in einigen Städten der Region Charkiw, insbesondere in Kupjansk, keine Fernwärme geben, wie Oleh Synjehubow, Leiter der regionalen Militärverwaltung, im ukrainischen Rundfunk berichtete. Grund dafür seien die gezielten russischen Angriffe auf die Energieanlagen in der Region.

Russland attackiert gezielt die Gasproduktion

Laut Bloomberg wurde mit den jüngsten massiven russischen Angriffen mehr als die Hälfte der Anlagen für die Gasproduktion in der Ukraine lahmgelegt. Der Beschuss in den Regionen Charkiw und Poltawa in der Nacht zum 3. Oktober sei einer der verheerendsten seit Beginn des umfassenden Krieges gewesen, erklärte Serhij Korezkyj vom ukrainischen Energiekonzern Naftogaz. Er betonte, die russischen Streitkräfte hätten mit 35 Raketen, die meisten davon ballistische, sowie mit 60 Drohnen zugeschlagen.

Zerstörungen in der Region Poltawa, die mit der Region Charkiw den größten Teil zur Gasproduktion der Ukraine beiträgtBild: State Emergency Service of Ukraine/REUTERS

"Das ist gezielter Terror gegen zivile Anlagen, die Gas produzieren und verarbeiten, das im täglichen Leben der Menschen gebraucht wird. Das macht militärisch keinen Sinn. Das zeigt ein weiteres Mal die russische Niedertracht und zielt einzig und allein darauf ab, die Heizsaison zu stören und zu verhindern, dass ukrainische Haushalte im Winter beheizt werden. Bei diesem Angriff wurde ein erheblicher Teil unserer Anlagen beschädigt. Einige Schäden sind kritisch", so Korezkyj laut der Pressestelle von Naftogaz.

Gasproduktion rückläufig, Tarife aber nicht betroffen

"Die Russen wollen, dass die Ukraine ohne Gas dasteht. Wir müssen noch mehr Notfallausrüstung kaufen, denn der Feind greift neben der Gasförderung nun auch die Verteilungsnetze des Gastransportsystems an", sagt Wolodymyr Omeltschenko, Energieexperte beim ukrainischen Rasumkow-Forschungszentrum, gegenüber der DW.

Ende September hatte Serhij Korezkyj in einem Interview mit der Washington Post berichtet, die Russen hätten rund 42 Prozent der täglichen Fördermenge ukrainischen Erdgases vernichtet. Aktuellere Zahlen wurden bislang nicht veröffentlicht.

"Russland wird alles tun, um uns an der Gasproduktion zu hindern. (...) Es wird schwierig sein, all das zu schützen", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang Oktober auf einer Pressekonferenz mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Dick Schoof. Selenskyj versicherte später, die Tarife für ukrainische Haushalte würden aber nicht erhöht. "In diesem Winter werden wir einen festen Gaspreis für die Privatkunden beibehalten, es wird keine Preiserhöhungen geben", so Selenskyj in seiner Videoansprache vom 7. Oktober.

Wie soll die Ukraine zusätzliche Gasimporte bezahlen?

Die Ukraine hat ihren vorläufigen Plan zur Bevorratung von Gas für die Heizsaison fast erfüllt. Nach den jüngsten Angriffen auf die Gasförderung und das Transportsystem muss die Regierung ihre Pläne jedoch überarbeiten. "Wir beabsichtigen, die Kapazitäten für unsere Importe um weitere 30 Prozent zu erhöhen, wenn uns dies gelingt. Alles wird davon abhängen, wie gut wir alles wieder aufbauen. Je schneller die Anlagen wiederhergestellt sind, desto weniger Importe werden wir brauchen", sagte Energieministerin Switlana Hrintschuk am 7. Oktober bei einem Briefing in Kyjiw.

Energieministerin Switlana Hrintschuk kündigt Gasimporte anBild: Murad Sezer/REUTERS

Im August hatte Hrintschuk verkündet, bis zum Beginn der Heizsaison sollten 13,2 Milliarden Kubikmeter Gas in Speichern gelagert sein, wovon 4,6 Milliarden Kubikmeter importiert werden sollten. Wolodymyr Omeltschenko vom Rasumkow-Zentrum betont, dass die Ukraine nach der Zerstörung von Gasförderanlagen gezwungen sein werde, nach zusätzlichen Importen zu suchen. Selbst wenn der Plan der Regierung erfüllt werden sollte und die geplanten 13,2 Milliarden Kubikmeter bis Ende Oktober in die unterirdischen Gasspeicher gepumpt würden, werde diese Menge nicht ausreichen, so der Experte. Er vermutet, die Ukraine müsse zusätzlich zwei Milliarden Kubikmeter Gas kaufen. "Steigende Importe erfordern zusätzliche Mittel von bis zu einer Milliarde Dollar, die mit Hilfe von Partnern aufgebracht werden müssen", betont er.

Energieministerin Switlana Hrintschuk zufolge verfügt die Ukraine über die finanziellen Mittel, um ihre Gasimporte vollständig abzusichern. Das Land habe sich Kredite in Höhe von 500 Millionen US-Dollar von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und 300 Millionen US-Dollar von der Europäischen Investitionsbank für Brennstoff-Einkäufe gesichert. Beide Kredite seien von der Europäischen Kommission garantiert.

Führen niedrige Gaspreise zu kalten Heizkörpern?

Diese Kredite muss die Ukraine früher oder später zurückzahlen. Dessen ungeachtet lehnt die ukrainische Regierung eine Erhöhung der Gaspreise für Privathaushalte seit Jahren ab. Doch Experten weisen darauf hin, dass die Energieversorger ohne höhere Tarife für die Haushalte nicht in der Lage sein werden, ausreichend Wärme bereitzustellen. "Erdgas wird in Europa für 23.000 bis 27.000 Hrywnja (ca. 480 bis 560 Euro) pro tausend Kubikmeter eingekauft. An die Haushalte wird das Gas für 7900 Hrywnja (ca. 165 Euro) inklusive Mehrwertsteuer weitergegeben. Die Differenz beträgt also 20.000 Hrywnja und jemand muss sie bezahlen", rechnet Swjatoslaw Pawljuk vom Verband "Energieeffiziente Städte der Ukraine" im Gespräch mit der DW vor.

Bisher, so der Experte, habe die Ukraine ihr eigenes, billigeres Gas mit dem teureren importierten vermischt und sei so "irgendwie über die Runden gekommen". Doch jetzt, wo mehr importiertes Gas nötig sei, müssten alle Illusionen, was günstiges Gas angehe, ein Ende haben. "Die Kommunen können ihre Mittel nicht für Reparaturen des Leitungsnetzes, Verbesserungen der Energieeffizienz oder die Umstellung auf alternative Brennstoffe wie Biomasse oder Wärmepumpen bereitstellen, sondern müssen sie dazu verwenden, die Tarifdifferenz zu decken", so der Pawljuk.

Trotz der Kälte hat die Heizsaison in einigen ukrainischen Regionen noch nicht begonnenBild: Metin Aktas/AA/picture alliance

Unter diesen Umständen werde man sparen müssen, und die Fernwärme werde wahrscheinlich niedrigere Temperaturen liefern, vermutet Swjatoslaw Pawljuk. "Die Heizkörper werden weniger warm sein. Man wird zwar nicht frieren, aber es wird kühler sein als sonst. So wird unsere Heizsaison aussehen, und sie wird in den verschiedenen Städten unterschiedlich ausfallen", so der Experte. Er rät Verbrauchern, schon jetzt für einen möglichen Strom-, Gas- und Heizungsausfall Vorsorge zu treffen.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk