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Politik

Russland: Kalter Krieg reloaded?

2. März 2018

Atomare Aufrüstung, harsche Rhetorik und blutige Stellvertreterkriege: vieles erinnert derzeit an den Kalten Krieg, in dem Deutschland als Frontstaat galt. Wie reagiert der Westen heute auf Putins Machtspiele?

Russland Präsident Wladimir Putin
"Phantastisches System": Putin während seiner Rede zur Lage der NationBild: picture-alliance/dpa/TASS/M. Klimentyev

Kein Ort mehr auf dieser Welt, der vor russischen Raketen sicher ist. Die neue, Ende 2017 getestete atomgetriebene Rakete des Landes könne jeden Punkt der Erde erreichen, erklärte der russische Präsident Putin in seiner Rede zur Lage der Nation. Alle weltweit existierenden Abwehrsysteme seien gegen die neue Interkontinentalrakete machtlos, ebenso auch gegen die neue Hyperschallrakete "Kinschal" (Dolch). Dafür seien die beiden Raketen einfach zu schnell. Das System sei "unbesiegbar", so Putin. In der durch Videofilme animierten Präsentation stellte er auch eine ebenfalls mit Atomwaffen bestückbare Unterwasserdrohne vor - "einfach phantastisch" sei das neue System, schwärmte der Präsident.

Als einseitige Aufrüstung wollte Putin die neuen Waffen gleichwohl nicht verstanden wissen. "Es geht um neue strategische Raketensysteme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die de-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen".

Und doch schwang in seiner Rede ein deutliches Machtbewusstsein mit: "Niemand wollte mit uns reden, niemand wollte uns zuhören. Hört uns jetzt zu!", rief er unter dem Applaus des Publikums.

Reaktion der Nato und des Westens

Putins Rede weckt Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges, als sich Moskau und Washington als Führungsmächte zweier hochgerüsteter Blöcke gegenüber standen: Auf der einen Seiten die Staaten des "Warschauer Pakts" rund um Russland. Und auf der anderen die damaligen NATO-Staaten, die sich um Amerika scharrten.

Demonstration der Stärke: Militärparade in Moskau, Mai 2017Bild: Getty Images/AFP/N. Kolesnikova

Den Eindruck, der Kalte Krieg kehre zurück, hat man auch bei der NATO. Deren Sprecherin wies Putins Äußerungen zur Aufrüstung als inakzeptabel zurück. Diese seien kontraproduktiv und nicht geeignet, Spannungen abzubauen, sagte NATO -Sprecherin Oana Lungescu: "Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg oder ein neues Wettrüsten." Das neue, von den USA errichtete Raketenabwehrsystem in Europa sei nicht gegen Russland gerichtet. 

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump haben reagiert. Sie warnten in einem Telefonat, Putins Äußerungen könnten "negative Auswirkungen auf internationale Bemühungen zur Rüstungskontrolle" haben, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mitteilte.

Ähnlich sieht es auch die Politologin und Publizistin Susanne Spahn. Putins Rede zur Lage der Nation habe sie an die Zeit des Wettrüstens erinnert, sagt sie der DW. "Der Hauptfeind sind die Vereinigten Staaten. Putin verwendete eine sehr drohende Rhetorik gegenüber dem Westen, nach dem Motto: Früher wolltet Ihr uns nicht zuhören, dann hört uns wenigstens jetzt zu."

Vorwürfe aus den USA

Auch einige Äußerungen aus den USA klingen wie aus den Hochzeiten des Wettrüstens. Als das Pentagon vor einem Monat die neue amerikanische Nuklearstrategie vorstellte, ließ es keinen Zweifel daran, gegen wen sich diese in erster Linie richtet. "Unsere Strategie soll sicherstellen, dass Russland versteht, dass jeder Einsatz von Atomwaffen, egal wie begrenzt, inakzeptabel ist", hieß es aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium. 

Als der ehemalige Vize von Ex-Präsident Barack Obama, Joe Biden, auf der Münchener Sicherheitskonferenz Mitte Februar seine Sicht des amerikanisch-russischen Verhältnisses umriss, verwendete er Worte, die direkt aus der Zeit des Kalten Krieges zu stammen schienen. "Heutzutage tun der Kreml und Putin alles, um die liberale Weltordnung zu zerstören, die NATO zu schwächen, die westlichen Demokratien auszuhöhlen und die transatlantische Partnerschaft zu zerstören", so Biden. 

Die Strategie der NATO

Wie ernst man diese Befürchtungen im Westen nimmt, zeigt etwa die Diskussion um ein neues Führungs- und Planungszentrum, das die Bundeswehr im Zuge der NATO-Aufrüstung aufbauen soll. Das Bundesverteidigungsministerium ließ verlauten, die mögliche Einrichtung eines Einsatzkommandos sei Teil der laufenden Anpassung der NATO. "Deutschland ist mit Blick auf seine Kompetenzen, seine Anerkennung im Bündnis sowie seine zentrale geografische Lage eine der Nationen, die für die Aufstellung und den Betrieb dieses Kommandos grundsätzlich in Frage kommen", erklärte ein Sprecher des Ministeriums.

Auch atomar bestückbar: das deutsche Kampfflugzeug "Tornado" Bild: Getty Images/S. Gallup

"Wir brauchen eine Kommandostruktur, die sicherstellen kann, dass die richtigen Truppen am richtigen Ort sind - mit der richtigen Ausrüstung und zur richtigen Zeit", betonte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nur so könne in Europa eine glaubwürdige Abschreckung sichergestellt werden.

Auch atomar rüstet die NATO auf. Die Neue Nuklearstrategie sieht vor, die in Europa stationierten amerikanischen Atombomben zu modernisieren. In Deutschland lagern diese auf dem Bundeswehr-Stützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz. Insgesamt handelt es sich um 20 Bomben, von denen jede einzelne die vierfache Sprengkraft der Bombe von Hiroshima hat. Stationiert sind auf dem Stützpunkt auch Kampfflugzeuge vom Typ Tornado. Sie sollen die Bomben im Kriegsfall an den anvisierten Zielen rasch abwerfen können.

Logik aus alter Zeit

Wenn die derzeitige Aufrüstung an die Logik des Kalten Krieges erinnert, dann auch deshalb, weil die derzeitige Politiker-Generation größtenteils noch aus jener Zeit stammt und deren Grundsätze verinnerlicht habe, sagt der Historiker Odd Arne Westad, Autor eines Buchs über den Kalten Krieg.  "Die Ideen und Vorstellungen des Kalten Krieges entstanden in einem Kontext, der für diese Politiker weiterhin relevant ist."

Rivalen: Wladimir Putin und US-Präsident Donald TrumpBild: picture-alliance/dpa/AP

So erinnert die Logik zwar an die Zeiten des Kalten Krieges. Der Kontext hat sich allerdings gründlich verändert. Er unterscheidet sich von der Zeit bis zum Jahr 1989 vor allem durch zweierlei: Zum einen stehen sich Westen und Osten kaum mehr als Träger zweier konkurrierender Ideologien gegenüber. Russland, der Nachfolgestaat der UDSSR, hat sich vom Kommunismus weitgehend verabschiedet. Und auch die USA glaubt kaum mehr an die globale Durchsetzungskraft von Kapitalismus und Demokratie. Die "Neue Weltordnung", von der US-Präsident George W. Bush einst sprach, hat spätestens mit dem Einmarsch in den Irak ihr Fiasko erlitten.

Machtverlust auf beiden Seiten

Eng verbunden mit der ideologischen Ernüchterung ist der militärische und politische Machtverlust, den beiden Akteure haben hinnehmen müssen.

"Die russisch-amerikanischen Beziehungen sind zwar deutlich angespannt, aber es handelt sich nicht mehr um die beiden Supermächte, die während des größten Teils des 20 Jahrhunderts aufeinanderprallten", erklärt der Historiker Odd Arne Westad. "Wir leben nicht länger in einem bipolaren System, dessen Ordnung mehr oder weniger durch diese beiden Imperien definiert wird. Es mag sich um einen Kalten Krieg in dem Sinn handeln, dass die beiden Staaten miteinander wetteifern. Aber nahezu alles andere hat sich verändert."

Putins Rede an die Nation

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Tatsächlich haben beide Staaten einen enormen Verlust an Macht und Einfluss hinnehmen müssen. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges gilt ihre globale Autorität nicht mehr fraglos. Besonders deutlich zeigt sich das derzeit im Nahen Osten. Die USA haben sich aus der Region zu großen Teilen zurückgezogen, sind zumindest nicht mehr willens, der Region ihre Ordnung aufzuzwingen. Im Unterschied dazu ist Russland in der Region zwar stark engagiert und hat entscheidend dazu beigetragen, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad nach sieben Jahren Bürgerkrieg weiterhin an der Macht ist. Wie aber nun die politische Zukunft des Landes aussehen soll, dazu kommt aus Moskau wenig.

Bedürfnis nach Anerkennung

Wohin die russische Machtpolitik führen soll, ist offen. Nicht zuletzt, vermutet die Politologin Susann Spahn mit Blick auf Putins Moskauer Rede, könnte gerade die russische Seite vom schlichten Bedürfnis nach Anerkennung getrieben sein. "Ich denke, wir können von einem Wettrüsten sprechen. Aber am Ende hat Putin gesagt, dass er auf diese Weise Verhandlungen erreichen wolle, aber auch, dass Russland als gleichberechtigter Partner und Weltmacht anerkannt wird. Ich denke, dies ist eine Methode, den Westen, die Vereinigten Staaten und Europa unter Druck zu setzen, damit sie die Russische Föderation als gleichberechtigten Partner wahrnehmen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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