1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Russland: Kriegsgegner Nadeschdin gibt nicht auf

Jennifer Pahlke | Alexey Strelnikov
8. Februar 2024

Boris Nadeschdin wollte bei den Präsidentschaftswahlen in Russland Amtsinhaber Wladimir Putin herausfordern. Nun darf er nicht teilnehmen. Aber er will weiterkämpfen.

Russlands Oppositionspolitiker  Boris Nadeschdin
Russlands Oppositionspolitiker Boris NadeschdinBild: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa/picture alliance

Russlands einziger Antikriegs-Kandidat Boris Nadeschdin ist von der Präsidentschaftswahl im März ausgeschlossen worden. Laut Aussagen der russischen Zentralen Wahlkommission wurden mehr als fünf Prozent von Nadeschdins Unterstützer-Unterschriften für ungültig erklärt. Nach russischen Gesetzen dürfen höchstens fünf Prozent aller eingereichten Unterschriften für ungültig befunden werden, damit eine Zulassung erteilt werden kann. Nadeschdin und sein Team wollen für jede einzelne Unterschrift kämpfen – sie werden vor dem Obersten Gerichtshof Berufung einlegen

"Ich bin mit der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission nicht einverstanden. Ich habe mehr als 200.000 Unterschriften in ganz Russland gesammelt. Wir haben die Sammlung offen und ehrlich durchgeführt - die Warteschlangen in unserem Hauptquartier und den Sammelstellen wurden von der ganzen Welt beobachtet", schrieb der Politiker in seinem Telegram-Kanal. Auch von Protestaktionen in ganz Russland hatte Nadeschdin zuvor gesprochen, sollte er nicht registriert werden. 

Zahlreiche Formverstöße?

Das Team um Boris Nadeschdin gab zu, dass rund 850 der mehr als 9000 in einer Stichprobe abgelehnten Unterschriften tatsächlich ungültig sein könnten. Die Zentrale Wahlkommission bemängelte etwa falsche Wählerinformationen, fehlende notarielle Beglaubigungen bei den Passdaten oder unvollständige Namensangaben der Unterzeichner - sie wies aber auch Formulare zurück, bei denen die Handschrift, mit denen die Dokumentenfelder ausgefüllt wurden, nicht mit der übereinstimmte, mit der die Unterschrift geleistet wurde - was etwa geschieht, wenn Wahlhelfer den Unterschreibenden beim Ausfüllen der Dokumente geholfen haben. Die Kommission fügte hinzu, dass in den Unterschriftenlisten auch die Daten von elf bereits verstorbenen Personen gefunden wurden.

Wurde bereits wegen angeblicher "zahlreicher Formfehler" von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen: die Journalistin Ekaterina DuntsovaBild: AP Photo/picture alliance

Aber auch der Zentralen Wahlkommission sollen Fehler unterlaufen sein. Nadeschdin ist der Ansicht, dass bei der Digitalisierung der Unterschriften Probleme aufgetreten seien. "Wenn man Rostow am Don als 'Rostow zu Hause' einscannen kann, dann kann man in der Passnummer, wenn sie gescannt und (vom Programm) erkannt wird, auch eine Drei für eine Fünf halten", erklärte er.

Die meisten der abgelehnten Unterschriften bedürfen einer komplexeren Prüfung, so der Politiker. Sein Team kontaktiert nun Personen, deren Unterschriften bei der Zentralen Wahlkommission Zweifel erregt haben. "Wir konzentrieren uns auf Moskau, schreiben alle an und versuchen, sie zu erreichen. Wir werden versuchen zu beweisen, dass diese Leute wirklich existieren", sagte Nadeschdin.

Der russische Wahlrechtsexperte Roman Udot, glaubt, dass Nadeschdin eher geringe Erfolgsaussichten hat. "Gelegentlich lässt das Gericht ein Gegengutachten zu, aber das ist sehr selten." 

Angst vor Nadeschdins Popularität

Boris Nadeschdin ist bereits seit den 1990er Jahren politisch aktiv, war aber in der Vergangenheit nicht als Oppositioneller bekannt. Erst vor kurzem stellte er sich gegen den Krieg in der Ukraine, wenn auch ohne diesen direkt beim Namen zu nennen. Seitdem hat sein Bekanntheitsgrad Meinungsumfragen des unabhängigen Levada-Zentrums zufolge deutlich zugenommen. Im Januar hatten sich vor seinem Wahlbüro lange Schlangen mit Unterstützern gebildet, die ihm zur Kandidatur verhelfen wollten. "Ich bin der Politiker Nummer zwei in Russland geworden“, sagte Nadeschdin selbst im DW-Interview. Er wies darauf hin, dass seine Popularität "von Woche zu Woche" steige. 

Will im März in seine fünfte Amstzeit gehen: Russlands Präsident Wladimir PutinBild: Alexander Vilf/SNA/IMAGO

Genau diese Popularität sei dem Kreml ein Dorn im Auge, meint der Politologe Abbas Galljamow. Seiner Meinung nach wäre es möglich, dass Nadeschdins Popularität bis zum 15. März weiter steige. "Doch der Kreml versucht, eine Massenmobilisierung der Wähler zugunsten des Antikriegs-Kandidaten Nadeschdin zu vermeiden", ist Galljamow sich sicher. "Der Kreml will keine Überraschungen."

"Hauptsache, nicht Putin"

Sollte Nadeschdin vor dem obersten Gerichtshof scheitern, stehen neben Amtsinhaber Wladimir Putin nur noch drei weitere Kandidaten auf der Liste: der Kommunist Nikolai Khartinow und der Rechtsnationale Leonid Slutski, die beide zur sogenannten russischen Systemopposition gehören und vom Kreml geduldet werden, sowie der erst 39-jährige Liberale Wladislaw Dawankow von der Partei Neues Volk. Auch Dawankow gehört zu denjenigen, die für die Zulassung Nadeschdins zu den Wahlen unterschrieben haben. "Dawankow ist ein Geschäftsmann, er hat etwas zu verlieren", erklärt allerdings Abbas Galljamow. "Er wird die Antikriegsrhetorik Nadeschdins nicht aufgreifen." 

Auch ruft die russische Opposition die Bürger zur Wahl auf. "Es ist egal, wen man wählt. Hauptsache, es ist nicht Putin", sagt Iwan Schdanow, der Direktor des vom inhaftierten Kremlkritiker Alexej Nawalny gegründeten Fonds zur Korruptionsbekämpfung (FBK). Nawalnys Team schlägt vor, mit allen erdenklichen Mitteln gegen Putin zu agitieren. Diese Position wird von vielen Oppositionspolitikern wie Maxim Katz und Michail Chodorkowski geteilt und unterstützt. 

Im Büro der Zentralen Wahlkommission in Moskau laufen alle Ergebnisse zusammen. (Archivbild)Bild: Vladimir Gerdo/Tass/dpa/picture alliance

Dazu gehört auch, dass alle, die nicht für Putin sind, dazu aufgerufen werden, erst am 17. März mittags wählen zu gehen. Die Stimmabgabe ist in Russland drei Tage lang - vom 15. bis zum 17. März - möglich. Auch werden in 29 Regionen zum ersten Mal elektronische Fernwahlverfahren zum Einsatz kommen. Wahlfälschungen seien sicher auch dann möglich, meint der Moskauer Politologe Dmitri Oreschkin. Sollte aber der protestierende Teil der russischen Bevölkerung seine Stimme gebündelt und massenhaft erst am letzten Tag abgeben, würde eine Wahlfälschung für Beobachter deutlich sichtbarer und offensichtlicher, so Oreschkin. "Es wird mehr Fehler geben, mehr undichte Stellen, mehr Skandale." Genau das aber, meint der Politologe, "versuchen die Behörden, mit allen Kräften zu verhindern."

Jennifer Pahlke Korrespondentin