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Proteste spalten Musikszene in Moskau

Natalia Smolentceva ld
30. August 2019

Während die einen Bands auf Moskaus Straßen Protestsongs sangen, wurden andere Musikstars von den Behörden eingeladen, zeitgleich auf einem anderen Festival im Gorki Park aufzutreten. Ein Ablenkungsmanöver der Regierung?

Rapper FACE bei einer Demonstration für freie Wahlen in Moskau am 10. August 2019
Bild: DW/N. Smolentceva

"Ich kenne mich nicht gut mit Politik aus. Aber das kann ich sagen: Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, sich frei entscheiden zu können, sind die wichtigsten und grundlegendsten Dinge, die jeder haben sollte, und ich hoffe, dass wir sie eines Tages haben werden."

Zehntausende sind an dem regnerischen Samstagnachmittag in Moskau zusammen gekommen, um für freie Wahlen zu demonstrieren. Die Organisatoren der Kundgebung schätzen die Menge am 10. August auf rund 50.000 Menschen, die Polizei will eher 20.000 Demonstranten gezählt haben. Sie schauen auf die Bühne, wo Rapper FACE ins Mikrofon spricht: Der 22-jährige Russe trägt einen schwarzen Hoodie, auf seine Wangen hat er die Worte "Hate" und "Love" tätowiert.

Rapper FACE: Russland - "ein großes Gefangenenlager"

Als FACE seine Karriere startete, rappte er nicht über Politik. Vor einem Jahr veröffentlichte er dann sein neues Album "Пути неисповедимы", etwa "Geheimnisvolle Wege". Diesmal sang er über Korruption und soziale Fragenseienr Heimat. In einem seiner Tracks verglich er das Land mit einem "großen Gefangenenlager". Bei der Kundgebung am 10. August performte er auch ein Lied, in dem es um Zensur geht: "Ich bin ein Komiker", rappte er. "Ein falscher Witz - und du stehst auf der schwarzen Liste." FACE ist bei russischen Teenagern zurzeit sehr beliebt. 

Auch der bekannte Aktivist der russischen Protestgruppe Pussy Riot
Pjotr Wersilow, machte auf den Auftritt von FACE per Twitter aufmerksam. Wersilow wurde im vergangenen Jahr in Moskau möglicherweise Opfer eines Giftanschlags, nachdem er in einer Guerilla-Performances bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland verkleidet als Polizist über das Spielfeld rannte und zum Tod dreier russischer Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik recherchierte, deren politisch motivierte Ermordung er vermutete. 

Die Proteste für freie Wahlen in Russland nahmen ihren Anfang, als sich die zentrale Wahlkommission Anfang Juli weigerte, unabhängige Kandidaten und Oppositionelle zur Wahl des neuen Moskauer Stadtparlaments am 8. September zuzulassen. Bei den anschließenden Kundgebungen ging die Polizei auch mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor und nahm viele Menschen fest. Strafverfahren wegen "Massenunruhen" wurden eingeleitet.

Das wiederum führte zu weiteren Protesten in Moskau und anderen russischen Städten. Seit zwei Monaten nun schon treibt der Unmut über die politische Situation Moskaus Bürger jeden Samstag auf die Straße.

Durchgreifen gegen alternative Musikszene in Russland

Nach FACE betrat der Frontmann der Gangsta-Rapper-Band Krovostok, Anton Chernyak, die Bühne und dankte "allen tapferen Menschen für ihr Kommen". Das Elektropop-Duo IC3PEAK spielte anschließend auch politische Songs, wandte sich aber nicht direkt  an das Publikum.

Im vergangenen Herbst wurden mehr als 40 Konzerte junger Bands der alternativen Musikszene im ganzen Land verboten. Auch IC3PEAK durfte nicht mehr auftreten. "Wir werden uns sicherlich nicht selbst zensieren", sagte Sängerin Anastasia Kreslina damals gegenüber der DW. Auch das russische Parlament diskutierte schließlich über  Rap, wobei Präsident Wladimir Putin ihn als "Sex- Drogen- und Protest"-Musik brandmarkte.

Auch im Zuge der aktuellen Kundgebungen für freie Wahlen versuchten die russischen Behörden, Musikern ihre Konzerte zu verbieten. Sie begründeten dies damit, dass die Konzerte nicht als Musik-, sondern als Protestveranstaltungen angemeldet seien. Einige der Konzerte fanden schließlich trotzdem statt.

Auch Poster für ein Konzert von FACE sollen in Moskau entfernt worden sein, berichtet die BBC am 29. August. FACE parodierte darauf offizielle Wahlplakate. Zwei Konzerte von FACE am 23. und 24. August sagten die Veranstalter auf Druck der russischen Behörden ab. Der Rapper interpretiert dieses Vorgehen als Versuch, ihn zu zensieren. Es sei eine Antwort auf seinen Auftritt bei der regierungskritischen Kundgebung.

Russland: Musik gegen das System

04:51

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Politische Veranstaltung oder einfach nur ein Gratis-Konzert?

Bei der Protest-Kundgebung am 10. August sagten viele, sie seien aus Solidarität gekommen, um oppositionelle und unabhängige Kandidaten zu unterstützen. Regierungstreue Stimmen behaupten jedoch, dass es eher das Gratis-Konzert gewesen sei, dass die Menschenmassen zur Kundgebung gelockt habe: "Viele kamen, um ihre Lieblingskünstler live und kostenlos zu sehen", so Alexey Martynov vom Putin-freundlichen Think Tank "International Institute for New States" gegenüber der DW. "Es erregt natürlich großes Interesse, wenn sich berühmte Rapper ankündigen."

Lesen Sie hier, wie die russische Justiz gegen Eltern vorging, die ihr Kind mit zum Protest nahmen.

Politikwissenschaftler Ilya Grashchenkov hält dagegen: "Es war eine politische Geste, künstlerisch gestaltet und sehr emotional." Und er ordnet das Event ein: "Musik in Russland, beginnend mit dem Underground-Rock der 80er Jahre, ist die Kunstform, die am meisten mit der Protestbewegung verbunden ist."  Seiner Meinung nach ist die Beteiligung junger Künstler bei den aktuellen Protesten ein Versuch, die Bewegung wiederzubeleben, die am Ende der Sowjet-Ära existierte, als Musiker wie Ozzy Osbourne, die Scorpions und Mötley Crüe 1989 beim "Moscow Music Peace Festival" auftraten.

Widerstand gegen Putin

03:28

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Protest inspiriert Musiker

Viele weiterer Musiker unterstützten den Protest für freie Wahlen online. Einige, wie der prominente Rapper Oxxxymiron, animierten ihre Fans, an den Kundgebungen teilzunehmen. Andere ließen sich künstlerisch von den Demonstrationen inspirieren: "Dicker Rauch über dem Zentrum Moskaus - wer atmet, landet im Gefängnis", besingt der bekannte russische Popmusiker Vasya Oblomov in seinem neuen Lied "Smoke" die Lage in der russischen Hauptstadt.

Der russische Musiker Vasya Oblomov besingt die Proteste in MoskauBild: DW

Wenn es nach Oblomov geht, sollte Kunst immer Bezug auf aktuelle Ereignisse nehmen - so spiegeln seine Lieder eben auch die aktuellen sozialen Kämpfe wider. Er ist bekannt für seinen Aktivismus und war einer der wenigen Musiker, die nach den Parlamentswahlen 2011 bei Protesten der Opposition auftraten. Diese warf Wladimir Putins Partei "Geeintes Russland" Wahlbetrug und Manipulation vor. 

"Wir sind alle Bürger. Es spielt keine Rolle, ob wir Musiker sind oder nicht", sagt Oblomov im DW-Gespräch. "Protestveranstaltungen sind nicht zum Singen oder Spaßhaben da und auch nicht, um Berühmtheiten zu sehen. Die Kundgebungen sind der Versuch der Gesellschaft, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen."

Lesen Sie hier, was die russische Regierung der DW in ihrer Berichterstattung über die Proteste vorwirft.

Ein kostenlos Festival, das von der Politik ablenken soll  

Während sich tausende Menschen zum Protest im Zentrum Moskaus versammelten, genossen andere nur drei Kilometer entfernt Gratis-Konzerte und gegrilltes Fleisch im Gorki-Park. Die Stadt hatte kurzerhand das "Schaschlik Live Festival" initiiert - zeitgleich zu den Protesten. Das geschah so kurzfristig, dass einige Bands erst aus der Presse erfuhren, dass sie für das Festival gebucht waren. 

"Das war eindeutig ein Versuch, die Menschen von den Protesten abzulenken", so Politikwissenschaftler Grashchenkov. Und der Plan sei aufgegangen: Das erster Moskauer Grill-Spieß- und Musik-Festival sei ein Erfolg gewesen. Es hätten so viele Menschen teilgenommen, dass die Stadt über eine Neuauflage nachdenke.

Fleisch-Spieße statt Protest: Zeitgleich zu politischen Kundgebungen initiiert die Stadt Moskau kurzfristig das "Schaschlik Live Festival" im Gorki-ParkBild: picture alliance/dpa/S. Savostyanov

"Aber sie haben einen Fehler gemacht", fügte Grashchenkov hinzu. Er glaubt, dass die Last-minute-Organisation viele Künstler verprellt habe. Viele hätten sich wie Marionetten der Stadt Moskau gefühlt, als "Gimmick für ein Stück Fleisch". Das habe dazu geführt, dass das Festival letztlich doch einen negativen Beigeschmack gehabt habe.

Maksim Pokrovsky, Frontmann der Rockband Nogu Svelo!, sollte ebenfalls beim Festival auftreten. Nachdem er aber erkannt habe, "was vor sich ging", sagte der Musiker seine Show ab und nahm stattdessen an den Protestkundgebungen teil. Auch andere Bands weigerten sich, im Gork-Park zu spielen.

Viele Russen sehen jedoch nichts Falsches daran, wenn zeitgleich zu großen politischen Veranstaltungen auch ein kostenloses Musikfestival stattfindet. "Wenn es um Kunst geht, egal, ob Musik, Malerei oder Bücher, sollte die Kunst losgelöst sein von Politik. Man sollte nicht beides vermischen", sagte eine Besucherin im Gorki-Park, die nicht weit von der Bühne entfernt stand - neben den dampfenden Grills mit Schaschlik-Spießen.

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