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Warum Russland Sekundärsanktionen so fürchtet

1. Mai 2025

Bis jetzt hat sich die russische Wirtschaft trotz der westlichen Sanktionen als relativ widerstandsfähig präsentiert. Was passiert aber, wenn die USA den Sanktionsdruck erhöhen?

Ein im Wasser schwimmender Greenpeace-Aktivist protestiert vor einem russischen Öltanker in der Ostsee
Ein Drittel des russischen Staats-Budgets stammt aus dem Energiesektor und dabei vor allem aus dem ÖlexportBild: Greenpeace NORDIC - Denmark, Fin/dpa/picture alliance

Seit mehr als drei Jahren rätseln die Beobachter im Westen, in welcher Verfassung die russische Wirtschaft ist. Mal scheint sie unter dem Druck der westlichen Sanktionen zu ächzen, dann wieder macht sie einen überraschend widerstandsfähigen Eindruck mit Wachstumsraten von zuletzt über vier Prozent. So war das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 um 4,1 Prozent und 2024 um 4,3 Prozent gewachsen.

Doch mittlerweile scheint der durch die Umstellung auf Kriegswirtschaft befeuerten Konjunktur die Puste auszugehen. Von einer Halbierung auf nur noch zwei Prozent ist bei vielen Ökonomen die Rede. Für das laufende Jahr sieht das Kieler Institut für Weltwirtschaft das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 1,5 Prozent steigen, für 2026 erwarten die Forscher nur noch ein Plus von 0,8 Prozent.

Selbst die Russische Zentralbank rechnet mit einer Abkühlung der Konjunktur und hält nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax "an ihrer Wachstumsprognose für das russische BIP von 1,0 bis 2,0 Prozent für 2025 und 0,5 bis 1,5 Prozent für 2026 fest". Besonders pessimistisch ist das Münchner Ifo-Institut, das davon ausgeht, dass die russische Wirtschaft nach einem kleinen Plus in diesem Jahr 2026 um 0,8 Prozent schrumpfen wird.

Schwieriges Umfeld

Der Zinssatz der russischen Notenbank liegt mit aktuell 21 Prozent extrem hoch, was die Investitionen der Privatwirtschaft ausbremst. Vor allem im Automobilsektor und im Maschinenbau herrscht Flaute. Auch die Baubranche und die Stahlindustrie kriseln.

Dass der Rubel das Kunststück fertig gebracht hat, seit Jahresanfang gegenüber dem US-Dollar um rund 40 Prozent zuzulegen, war vor allem eine Reaktion auf die Russland-freundliche Haltung von US-Präsident Donald Trump, erklärt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) im Interview mit der DW.

"Als Präsident Trump an die Macht gekommen ist, hat er gesagt, er werde einen radikal anderen Kurs gegenüber Russland fahren als sein Vorgänger, Präsident Biden." Er habe eine verstärkte Zusammenarbeit mit Russland und die Lockerung oder sogar die Aufhebung der US-Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt, so Astrov. "Das alles hat zu einer Euphorie auf den russischen Finanzmärkten geführt und die russischen Aktienkurse sind massiv gestiegen, der russische Rubel hat aufgewertet." Was aber passiert, wenn diese Euphorie ins Gegenteil umschlägt?

Banken-Sanktionen treffen Russland hart

Im November 2024 hatten die USA die seit 2014 bestehenden Sanktionen gegen die russische Gazprombank verschärft und das Finanzinstitut aus dem US-Bankensystem ausgeschlossen. Ihr Handel mit US-Partnern wurde unterbunden und ihr Vermögen in den USA eingefroren. Die Sanktionen trafen die Gazprombank, weil sie als zentraler Akteur bei der Abwicklung von Zahlungen für Gaslieferungen und der Finanzierung militärischer Projekte fungiert. Die EU hatte die Gazprombank bis Ende 2024 von Sanktionen ausgenommen, um europäischen Gasimporteuren weiterhin die Zahlung für russisches Gas zu ermöglichen. 

Im August 2024 hatte der russische Rubel bei seiner Talfahrt die Marke von 100 Rubel für einen US-Dollar durchbrochen Bild: Alexander Zemlianichenko/AP/picture alliance

Nach Verkündung der US-Sanktionen gegen die Gazprombank im Herbst verlor der Rubel innerhalb kurzer Zeit ein Viertel seines Werts gegenüber dem US-Dollar. Am Aktienmarkt gab es regelrechte Panikverkäufe und massive Kursverluste - besonders im Finanz- und Energiesektor.

Kein Wunder, dass Russlands Entscheidungsträger genau hingehört haben, was Donald Trump nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Ende April in Rom andeutete: Vielleicht sei es an der Zeit, "mit ihm (Wladimir Putin, Anm. d. Red.) anders umzugehen" und über Maßnahmen im "Bankenbereich oder Sekundärsanktionen" nachzudenken.

Die US-Sanktionen gegen die Gazprombank lösten 2024 einen Kursrutsch bei Aktien und der Landeswährung Rubel aus Bild: picture alliance / Russian Look

Mit "Sekundärsanktionen" sind Maßnahmen gegen Drittländer, Unternehmen oder Einzelpersonen gemeint, die weiterhin mit Russland Geschäfte machen.

Neue Sanktionen im US-Senat in Vorbereitung

Der republikanische Senator und Trump-Vertraute Lindsey Graham reagierte auf Trumps Äußerungen mit einem Post auf der Kurznachrichtenplattform X. Graham und mehrere Dutzend Unterstützer aus Republikanern und Demokraten seien bereit, die Sanktionen auf Länder ausweiten, die russische Energieprodukte importieren.

Es gebe einen "parteiübergreifenden Gesetzesentwurf mit fast 60 Mitunterzeichnern, der Sekundärzölle auf jedes Land erheben würde, das russisches Öl, Gas, Uran oder andere Produkte kauft", schrieb Graham in seinem Tweet am 26. April.

China, Indien und die Türkei im Visier

Das würde vor allem Indien und China treffen, erklärt der Wiener Experte Astrov. "China ist mittlerweile der wichtigste Handelspartner Russlands und war 2024 für rund 40 Prozent der russischen Importe und 30 Prozent der russischen Exporte verantwortlich. Auch die Einfuhr wichtiger Importgüter für die Militärindustrie findet über China und Hongkong statt." Daneben spiele auch Indien eine zentrale Rolle. "China und Indien absorbieren mehr als die Hälfte der gesamten russischen Ölexporte", so Astrov.

Dass sich China nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligt, sei absehbar gewesen. Dass Indien neutral bleiben würde, sei ebenfalls keine große Überraschung gewesen. "Die große Überraschung war die Türkei. Weil sich die Türkei den westlichen Sanktionen ebenfalls nicht angeschlossen hat, obwohl die Türkei Nato-Mitglied ist und eine Zollunion mit der Europäischen Union hat."

Zahlungsverkehr mit Russland wird komplizierter

Unter US-Präsident Biden sei die Einhaltung der Sekundärsanktionen streng überwacht und ihre Nichteinhaltung mehrmals bestraft worden, so Astrov. "Da geht es um Banken, chinesische Banken, türkische Banken, die Importzahlungen aus Russland angenommen haben. Sie wurden stark unter Druck gesetzt von der US-Regierung unter Joe Biden."

Aus der Not geborene Alternative: Nach der Verhängung westlicher Sanktionen 2014 entwickelte Russland das nationale Zahlungssystem MIRBild: Alexander Ryumin/TASS/dpa/picture alliance

Unter Trump habe es dann eine massive Abkehr von der früheren US-Politik gegenüber Russland gegeben, nicht nur bei der Rhetorik. "So ist zum Beispiel die Abteilung im Finanzministerium, die früher für Maßnahmen gegen die Vermögenswerte russischer Oligarchen in den USA zuständig war, inzwischen aufgelöst worden und die Überwachung der Einhaltung der Sekundärsanktionen wurde ebenfalls massiv gelockert", sagt Astrov.

Wie stark eine Verschärfung der US-Sekundärsanktionen durch Donald Trump Russlands Partner treffen würden, lässt sich trotzdem nur schwer voraussagen. Denn nach aktuellen Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters haben russische Banken ein spezielles Verrechnungssystem namens "China Track" aufgebaut, um den Zahlungsverkehr mit China abzuwickeln und westlichen Sanktionen zu entgehen.

Umgehung der Sanktionen mit "China Track"

Laut Banken-Insidern gebe es das System schon seit einiger Zeit, es werde von mehreren sanktionierten russischen Banken betrieben. Dabei kommen Zwischenhändler in Ländern zum Einsatz, die weiter mit Russland Handel treiben. Das Netzwerk arbeitet den Reuters-Recherchen zufolge bereits seit einiger Zeit ohne größere Störungen.

Würden damit mögliche US-Sanktionen gegen chinesische Banken ins Leere laufen? "Ich schließe nicht aus, dass die chinesischen Partner bald keine Angst mehr vor sekundären Sanktionen haben werden", zitiert Reuters Alexander Schokhin, Chef des russischen Unternehmerverbands "Union of Industrialists and Entrepreneurs" (RSPP), der an den Handelsgesprächen mit China teilnimmt.

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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