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Wie eine bulgarische Putzfrau russische Spionin wurde

29. März 2025

Viele Bekannte von Tzvetanka D. - eine in Wien lebende Bulgarin - glaubten, sie führe ein ganz gewöhnliches Leben. Das stimmte nicht. Seit einigen Jahren ist Tzvetanka D. eine russische Spionin. Nun wurde sie enttarnt.

Auf dem Screenshot einer bbc.com-Seite steht oben auf Englisch "Screenshot - russische Spionage", darunter "Zwei Frauen, die für Russland spionierten, wurden von BBC gefunden und benannt", darunter sind die verpixelten Bilder zweier Frauen zu sehen
Die mutmaßlichen russischen Agentinnen Tzvetelina G. (li.) Tzvetanka D. (re.) auf einem Screenshot der BBC-Seite, auf der über ihre Identifizierung berichtet wirdBild: Screenshot BBC

Bis vor kurzem waren die Bekannten von Tzvetanka D. überzeugt, dass sie ein normales und einfaches Leben führte. 

Vor gut zehn Jahren zog die Bulgarin nach Wien. Sie arbeitete zeitweise als Reinigungskraft, über spätere Jobs ist nichts bekannt. Freizeit aber, so scheint es, hatte sie genug, denn sie hielt sich viel in den sozialen Netzwerken auf, wo sie jahrelang und in zunehmender Zahl Posts gegen Covid-Impfungen und zur Unterstützung der Politik Russlands sowie der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) teilte.

"Sie schrieb ständig Unsinn auf Facebook, pro-Putin, pro-Russland und ähnliches Blabla", sagt Plamen B., der 2015 kurzzeitig Tzvetanka D.s Arbeitgeber in einer Reinigungsfirma in Wien war. "Aber eher wie eine typische verwirrte Person aus genau der Gruppe von Leuten, die für Propaganda anfällig ist", ergänzt der Bulgare.

"Typisch" war an ihr nichts. Weil Tzvetanka D. nicht wirklich arbeitslos war - sie arbeitete offenbar als russische Agentin. Das teilte am Montag (24.03.2025) die österreichische Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DNS) mit. Dort wurde der Name der Bulgarin nicht bekanntgegeben - aber später veröffentlichte die BBC ihn.

Was waren die Aufgaben von Tzvetanka D.?

Tzvetanka D. sollte offenbar zur Verbreitung russischer Desinformation in Österreich beitragen. Zu diesem Zweck klebte sie beispielsweise Aufkleber, die angeblich pro-ukrainisch waren, tatsächlich aber Nazi-Symbole enthielten. Das Ziel: die russische Desinformation zu verbreiten, derzufolge Ukrainer Nazis sind. Sie sollte ähnliche Desinformationen auch online verbreiten. Sie selbst hat offenbar gegenüber den österreichischen Behörden zugegeben, dass sie im Jahr 2022 - als Russland seinen Krieg gegen die Ukraine begann - am aktivsten war.

Der bulgarische Investigativjournalist Christo GrozevBild: Julien de Rosa/AFP/Getty Images

Tzvetanka D. hatte aber wohl auch kompliziertere Aufgaben: Sie sollte Menschen überwachen - unter anderen den DNS-Chef Omar Haijawi-Pirchner, den Enthüllungsjournalisten Christo Grozev und Anna Thalhammer, die Chefredakteurin des Wochenmagazins Profil, das für investigative Recherchen bekannt ist.

"Ich bekam im Spätsommer 2024 einen Anruf vom Verfassungsschutz", sagt Thalhammer der DW. "Sie teilten mir mit, dass mein Laptop und mein Handy hätte gestohlen werden sollen, um nach Moskau gebracht zu werden. Im Dezember bekam ich einen weiteren Anruf, dass ich die Akten bei der Staatsanwaltschaft einsehen kann. Da waren die Details drin, unter anderem, dass es tatsächlich Frau D. war, die mir monatelang hinterhergelaufen war."

Den Investigativjournalisten Christo Grozev, der 2022 auf die Fahndungsliste des russischen Innenministeriums gesetzt worden war, sollte die Bulgarin sogar filmen. Zu diesem Zweck mietete sie in Wien eine Wohnung gegenüber seiner damaligen Wohnung an.

Wie wurde Tzvetanka D. rekrutiert? 

Bekannte von Tzvetanka D. aus Wien sagen, dass sie im Jahr 2020, mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie, begann, falsche Fakten und Manipulationen über das Virus und dann über Impfstoffe zu verbreiten. Typisch für viele Bulgaren - Bulgarien ist das Land mit der niedrigsten Corona-Impfrate in der Europäischen Union. Fehlinformationen und Misstrauen gegenüber Impfstoffen sind der Hauptgrund dafür. Wahrscheinlich geriet Tzvetanka D. dann ins Visier einer russischen Spionagezelle - jener Bulgaren in London, die Anfang März 2025 in Großbritannien wegen Spionage verurteilt wurden.

Mit Plakaten erbittet die Polizei in München Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern für die Fahndung nach Ex-Wirecardvorstand Jan MarsalekBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Sie alle arbeiteten für Jan Marsalek, den ehemaligen Leiter des deutschen Skandal-Unternehmens Wirecard, der mutmaßlich nach Moskau geflohen ist und von dort aus Spionage- und Desinformationsoperationen in Europa koordinierte. Christo Grozev war das Ziel der meisten dieser Operationen - nach Informationen aus London sollte er entführt und sogar getötet werden. Dabei sollte Tzvetanka D. helfen, ebenso wie eine andere Bulgarin, die von der BBC enttarnt wurde - Tzvetelina G., die am Flughafen von Sofia arbeitete, wo sie verfolgte, wie und wann Journalisten und russische Dissidenten ein- und ausreisten.

Anna Thalhammer hat sich auch ausführlich mit dem Thema Marsalek befasst und unter anderem zwei ehemalige österreichische Offiziere, Egisto O. und Thomas V., als Kollaborateure der russischen Dienste und Kontaktpersonen von Marsalek entlarvt.

Russische Geheimdienste rekrutieren "normale" Menschen

Tzvetanka D. wurde von drei der Bulgaren in London rekrutiert. Eine von ihnen ist Wanja G. Sie und Tzvetanka D. behaupten, sie hätten nicht genau gewusst, was sie taten. Nach Angaben von Wanja G. habe ihr Partner, Biser D., der ebenfalls zu der Londoner Spionagegruppe gehörte, sie angelogen, dass sie für Interpol arbeiten würden. Tzvetanka D. erzählte in Wien die gleiche Geschichte.

Der bulgarische Journalist Wassil Hristow berichtet für das bulgarische Fernsehen aus London.Bild: privat

Wanja selbst ist Kosmetikerin. Nach Aussage von Bekannten in London war sie nicht an Politik interessiert. "Leute, die Wanja kennen, beschreiben sie als eine sehr ruhige und naive Frau", so Wassil Hristow, ein bulgarischer Journalist in Großbritannien, zur DW. "Laut einer Reihe von Fachleuten rekrutieren die russischen Geheimdienste absichtlich ganz normale Menschen, die nicht auffallen. Das Profil von Wanja passt genau in diesen Rahmen", so Hristow, der auch Präsident der Foreign Press Association London ist.

Die Journalistin Anna Thalhammer glaubt jedoch nicht an Tzvetanka D.s Behauptung, sie habe keine Ahnung gehabt, was sie tat. "Die Annahme, dass ein verhafteter russischer Spion die Wahrheit sagen wird, ist lächerlich", sagt Thalhammer. "Sie hat eine völlig abenteuerliche Geschichte erzählt - dass sie nicht wisse, wer ich sei, wer Christo Grozev und wer Herr Haijawi-Pirchner sei. Es ist lächerlich, wenn man jemandem wochenlang nachrennt, aber angeblich nicht weiß oder auf Google nachsieht, wer er ist."

Russische Agenten in Europa bleiben aktiv

Die Mitglieder der Londoner Spionagezelle warten derzeit auf ihre rechtskräftigen Urteile. Tzvetanka D. ist derzeit in Österreich auf freiem Fuß, aber die Ermittlungen gegen sie gehen weiter. In Bulgarien hingegen scheint das andere mutmaßliche Mitglied der Gruppe - Tzvetelina G. - vorerst ungestört zu sein. Die bulgarischen Behörden haben sich bis zur Veröffentlichung dieses Textes nicht zu der Angelegenheit geäußert.

Anna Thalhammer ist Chefredakteurin des österreichischen Magazins ProfilBild: Alexandra Unger/Profil

Bedeutet dies aber, dass Marsaleks Spionagenetz zusammengebrochen ist? Nein, meint Anna Thalhammer. "Meine Information ist, dass die Behörden davon ausgehen, dass es weitere Zellen gibt", sagt sie. "Die Idee dieser Konstruktion ist, dass wenn eine Zelle auffliegt, es eine andere gibt. Sie sind oft ganz bewusst nicht vernetzt, arbeiten aber an demselben Ziel."

Und Bulgaren sind anscheinend oft daran beteiligt. "Es scheint, dass es sich nicht um gut ausgebildete Spione handelt, sondern um Kriminelle, die Befehle befolgen", so die Profil-Chefredakteurin. "In den russischen Spionagenetzen tauchen regelmäßig bulgarische Namen auf - es gibt offensichtlich eine Zusammenarbeit zwischen kriminellen Netzwerken in Bulgarien und Russland."