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Politik

Streit um Gedenken an Kriegsopfer

Elena Kalugina | Mikhail Bushuev mo
19. Mai 2020

Ein Aktivist in der Region Kaliningrad legte am 9. Mai, der in Russland als Tag des Sieges gefeiert wird, Blumen an Gräbern sowjetischer, aber auch deutscher Soldaten nieder. Nun ermitteln die Behörden gegen ihn.

Deutsche Kriegsgräber in Russland, Rossoschka
Bild: VDK e. V./Uwe Zucchi

"Wenn ich Blumen auf sowjetischen und internationalen Friedhöfen niederlege, dann ist dies Ausdruck meiner persönlichen Haltung", sagt Sergej Dustin. In Baltijsk bei Kaliningrad - dem einstigen ostpreußischen Pillau beim damaligen Königsberg - seien nicht nur sowjetische Soldaten, sondern auch viele Einheimische und Flüchtlinge begraben. "Für mich sind diese Menschen auch Opfer des Zweiten Weltkriegs", betont der Aktivist aus der russischen Region Kaliningrad.

Seit sechs Jahren kommt er am 9. Mai mit Blumen erst zum Massengrab sowjetischer Soldaten und dann zur Internationalen Kriegsgräberstätte, in der über 13.000 Zivilisten und Wehrmachtsangehörige beigesetzt sind. Den 1945 angelegten Friedhof hat seit Mitte der 1990er Jahre der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) wiederhergerichtet.

Anders als in Russland wird in Deutschland am 8. Mai an das Endes des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands wurde am späten Abend des 8. Mai 1945 im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst unterzeichnet. Aufgrund des Zeitunterschiedes war in Moskau jedoch schon der 9. Mai angebrochen.

Verfahren wegen "Rehabilitierung des Nationalsozialismus"

In diesem Jahr filmte Sergej Dustin die Niederlegung der Blumen an beiden Gedenkstätten und stellte sein Video mit eigenen Kommentaren ins Internet. Danach schrieben Medien, der Aktivist habe "Wehrmachtssoldaten geehrt". Russlands oberste Ermittlungsbehörde in Moskau wies daraufhin die zuständigen Stellen vor Ort an, zu klären, "ob eine Verzerrung historischer Ereignisse des Großen Vaterländischen Krieges und eine Schändung des Gedenkens der Heldentaten sowjetischer Soldaten vorliegt".

Sergej Dustin bei der Internationalen Kriegsgräberstätte in BaltijskBild: Privat

Die Ermittler in Baltijsk kamen zu dem Ergebnis, Dustins Kommentare könnten "als Falschinformationen über Aktivitäten der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs angesehen werden". Gegen den Aktivisten wurde ein Verfahren wegen "Rehabilitierung des Nationalsozialismus" eingeleitet. "Ich habe ihnen ausdrücklich erläutert, dass ich den Ausgang des Zweiten Weltkriegs in keiner Weise leugne und in keiner Weise Menschen rechtfertige, die Kriegsverbrechen begangen haben", versichert Dustin.

Rückhalt für den Aktivisten

Der frühere Bürgermeister von Baltijsk, Aleksandr Kusnezow, erinnert sich, dass einst bei der Einrichtung der internationalen Gedenkstätte auch der örtliche Veteranenverband konsultiert worden sei. An keinem Tag des Jahres sei es verboten, dort Blumen niederzulegen, betont er und fügt hinzu: "In der russischen Gesetzgebung gibt es keine Grundlage, dagegen strafrechtlich vorzugehen. Aber es wird ermittelt, weil Leute sich aufgeregt haben, dass am 9. Mai dort Blumen abgelegt wurden, und nun fordern sie Konsequenzen."

Zuspruch bekommt der Aktivist Sergej Dustin auch von der oppositionellen Partei Jabloko, der er selbst angehört. "Das Video propagiert weder Faschismus noch Extremismus und es werden auch keine sowjetischen Soldaten entehrt", betont der Leiter des Kaliningrader Ortsverbandes, Igor Pleschkow. Er hält die Vorwürfe für unbegründet. "Es würde mich aber nicht überraschen, wenn man ihn verurteilt." Und er fragt entrüstet: "Dafür, dass er Blumen an Gräbern niedergelegt hat? Dann kann man die Gedenkstätte gleich schließen." Doch Pleschkow findet, Dustin hätte für die Internationale Kriegsgräberstätte einen anderen Tag wählen sollen. Denn der 9. Mai werde in Russland und ehemaligen Sowjetrepubliken als Tag des Sieges über Nazi-Deutschland begangen.

Missverständliches Gedenken

Auch Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut Moskau (DHI) meint, das Datum für die Niederlegung von Blumen an der Internationalen Kriegsgräberstätte in Baltijsk sei "unglücklich gewählt". "Obwohl auf der Kriegsgräberstätte in Baltijsk nachweislich Personen begraben sind, die ohne Zweifel zu den Opfern des Krieges gerechnet werden müssen, ist gleichzeitig mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dort auch deutsche Personen bestattet sind, die an Kriegsverbrechen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung beteiligt waren", so Uhl, dessen Institut mit den russischen Behörden bei der Aufarbeitung von noch immer ungeklärten Fragen des Zweiten Weltkrieges erfolgreich zusammenarbeitet.

Informationsstand des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in BaltijskBild: Privat

An einem Tag wie dem 9. Mai, so Uhl, gedächten viele russische Familien ihrer Kriegstoten. "Da sie zweifelsfrei, wie Außenminister Heiko Maas am 8. Mai 2020 noch einmal festgestellt hat, durch deutsche Schuld zu Tode kamen, kann es deshalb durchaus von einigen Betroffenen auch als Provokation aufgefasst werden, wenn gleichzeitig auch deutscher Täter gedacht werden könnte", betont der Historiker.

Deutsch-russische Kooperation in der Grabpflege

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge erklärte unterdessen, man habe den Sachverhalt mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Der VDK unterhalte keinerlei Kontakte zu Sergej Dustin und sein Vorgehen sei mit dem Volksbund nicht abgesprochen gewesen, heißt es auf DW-Anfrage. Die Kriegsgräberstätten im Ausland seien aber offen zugänglich, sie dienten dem Gedenken, vor allem als Mahnung für den Frieden.

"Seit dem Abschluss des deutsch-russischen Kriegsgräberabkommens 1992 arbeiten wir vertrauensvoll und eng mit unseren russischen Partnern in der Einrichtung, der Pflege und dem Erhalt von Kriegsgräberstätten in der Russischen Föderation zusammen. Als Volksbund sind wir dankbar für diese Möglichkeit", betont der VDK. Es sei sehr wertvoll, dass die Angehörigen der dort Bestatteten dort trauern dürften.

Häufig erlebe der Volksbund, dass Russen auch an Gräbern deutscher Soldaten Blumen ablegten. "Wenn wir sie fragen, warum sie das machen, da diese doch als Besatzer ins Land gekommen sind, erzählen sie oft, dass ihre Väter, Onkel, Großväter in Deutschland gefallen sind und dort auf einer Kriegsgräberstätte liegen. Und sie hoffen, dass dort auch jemand Blumen hinlegt", so der VDK. "Wir haben - als Volksbund - am 8. und 9. Mai ebenfalls an den sowjetischen Kriegsgräberstätten Blumen und Kränze niedergelegt."

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