1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie Russlands Armee Soldaten in der Ukraine rekrutiert

Alexey Strelnikov | Oleksandr Kunyzkyj
18. April 2025

In Russland hat die Frühjahrseinberufung zum Wehrdienst begonnen. Auch in den besetzten Gebieten der Ukraine werden Männer eingezogen. Für die Rekruten geht es unter Druck sehr schnell an die Front.

Russische Militärangehörige stehen in militärischer Winterkleidung in einer Reihe  (November 2022)
Russische Militärangehörige vor der Verlegung an die Front in der Ukraine im November 2022Bild: Donat Sorokin/dpa/TASS/picture alliance

Russland beruft in diesem Frühjahr so viele neue Rekruten zum Wehrdienst ein, wie seit 14 Jahren nicht mehr. Per Dekret hat Kreml-Chef Wladimir Putin Ende März angeordnet, dass insgesamt 160.000 Männer im Alter zwischen 18 bis 30 Jahren für zwölf Monate in die Armee einberufen werden. Seit dem 10. April müssen die Wehrpflichtigen ihren Dienst antreten.

Das russische Verteidigungsministerium gibt an, die Einberufung der neuen Wehrpflichtigen, die zwei mal jährlich - im Frühling und im Herbst - stattfindet, habe nichts mit dem Krieg gegen die Ukraine zu tun. Doch auch Männer in den von Russland besetzten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, die Moskau annektiert hat und als eigenes Staatsgebiet betrachtet, sind betroffen.

So wurden nach Angaben der ukrainischen Menschenrechtsorganisation Eastern Human Rights Group im Herbst 2024 mindestens 300 Personen aus den besetzten Gebieten zum Militärdienst in die russische Armee eingezogen, davon etwa 200 aus den Regionen Saporischschja und Cherson sowie 100 aus den Regionen Luhansk und Donezk.

Ohne russischen Pass keine Jobs und kein Mobilfunk

"Sollte ich zwangsmobilisiert werde, werde ich mich erschießen", sagt Oleksij (Name geändert). Der 21-Jährige lebt in dem von Russland besetzten Teil der Region Saporischschja. Dort will er bleiben, bei seiner Familie und seinem ganzen Besitz. "Ich müsste mein Leben von vorne beginnen", betont er.

Obwohl Oleksij inzwischen einen russischen Pass hat, blieb er von einer Einberufung bisher verschont. Doch seit letztem Herbst würden die russischen Besatzungsbehörden von den Männern verlangen, sich auch beim Militär zu melden, sagt er.

Ohne russische Papiere sei es, wie Oleksij erklärt, fast unmöglich, einen Job zu bekommen oder an einer Hochschule zu studieren. Fälle einer zwangsweisen Einziehung zum Militärdienst sind Oleksij aber nicht bekannt. Prorussisch eingestellte Männer seien freiwillig zu den Einberufungsstellen gegangen und hätten Verträge mit der russischen Armee unterzeichnet, berichtet der 21-Jährige.

Werbung der selbsternannten "Volksrepublik Luhansk" für einen russischen PassBild: dpa/AP/picture alliance

Ähnliches schildert ein 28-jähriger Bewohner eines besetzten Dorfes in der Region Luhansk. Der Mann hat bisher keinen russischen Pass angenommen. Ihm zufolge machen die Besatzungsbehörden Menschen wie ihm das Leben schwer. Menschenrechtsaktivisten bestätigen, dass man beispielsweise ohne einen russischen Pass keine SIM-Karte erhält, da der Mobilfunk unter russischer Kontrolle ist.

Wehrdienst für Ukrainer auf russischem Territorium

Wer zum russischen Militär kommt, wird zunächst zur Ausbildung nach Russland geschickt, meist in Kasernen in den südrussischen Gebieten Rostow und Krasnodar, aber auch nahe St. Petersburg oder Moskau. Für manche Männer geht es auf die annektierte ukrainische Halbinsel Krim.

Laut dem ukrainischen Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Instituts für Strategische Studien und Sicherheit, Pawlo Lysjanskyj, hat die russische Armee in den besetzten Gebieten aus Sicherheitsgründen keine eigenen Kasernen eingerichtet.

"Nach ihrer Ausbildung werden viele Wehrpflichtige an die Front geschickt, nachdem sie einen Vertrag mit der russischen Armee unterzeichnet haben", sagt Lysjanskyj. Dies geschehe teilweise freiwillig, aber oft auch unter Druck oder aus Mangel an Alternativen.

Nur wenigen Wehrpflichtigen aus den besetzten Gebieten gelinge es über Beziehungen und durch Bestechung in der Nähe von St. Petersburg oder Moskau untergebracht zu werden, um so nicht an die Front zu geraten. Dies hätten im letzten Jahr nur 15 Männer geschafft, so Lysjanskyj. 

Der Grund dafür: Das russische Militär müsse den Mobilisierungsplan erfüllen und stehe selbst unter Druck . "Sie versuchen, den Mangel an Zeitsoldaten mit Männern, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben, auszugleichen", erklärt der Menschenrechtler .

Soldaten für Russland aus den "Volksrepubliken Donezk und Luhansk"

Ein ähnlicher Fall wurde in einem Kanal der Social-Media-Plattform Telegram beschrieben, der sich mit  der Mobilisierung in der sogenannten "Volksrepublik Donezk" beschäftigt. Demnach wurde ein Mann aus dem besetzten Teil der Region Donezk zum Wehrdienst in die Region Krasnodar geschickt. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er nach Ende seines Dienstes an die Front müsse. "Die Kommandeure sagten, dass bereits alles für ihn unterschrieben sei", berichtet Michail (Name geändert), der Autor des Telegram-Kanals der DW.

Der Mann habe sich an die russische Militärstaatsanwaltschaft wenden wollen. Sein weiteres Schicksal sei unbekannt, so Michail.

In einer Einberufungsstelle der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" (Februar 2022)Bild: Stringer/AA/picture alliance

Der Wehrpflicht unterliegen nicht nur Personen, die einen russischen Pass angenommen haben und mindestens 18 Jahre alt sind, sondern auch diejenigen, die in den sogenannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" vor Februar 2022, also vor Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, ihren Wehrdienst abgeleistet haben.

Michail zufolge gehören dazu auch Angehörige der sogenannten "Volksmilizen" der selbsternannten Republiken, die von 2014 bis 2022 existierten. Sie würden zum Militärdienst nach Russland geschickt. Zudem würden in den genannten Gebieten Männer im wehrpflichtigen Alter direkt angerufen und zur Einberufungsstelle vorgeladen, um sich registrieren zu lassen oder den Wehrdienst anzutreten. "Ich kann aber nicht sagen, welche Ausmaße das hat", sagt er.

Strafen für Wehrdienstverweigerer 

Es sei praktisch unmöglich, den Dienst in der russischen Armee zu verweigern, sagt Olha Skrypnyk, Leiterin der ukrainischen "Menschenrechtsgruppe Krim". Ihr zufolge begann Russland 2015 damit, illegal Männer zur Armee einzuziehen - zunächst auf der annektierten Krim, dann in anderen besetzten Gebieten der Ukraine. "Vor der umfassenden russischen Invasion wurden auf der Krim jährlich etwa 6000 Personen eingezogen. Derzeit liegen uns keine Zahlen vor, aber sie sind wahrscheinlich gestiegen", sagt Skrypnyk.

Einberufungsstelle in Simferopol auf der Krim (November 2022)Bild: Sergei Malgavko/Tass/picture alliance

Für die Weigerung, in Russland Dienst zu leisten, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Allein auf der Krim wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mindestens 583 Strafverfahren eröffnet.

Laut dem russischsprachigen, kremlkritischen Online-Nachrichtenmagazin Verstka bekam jedoch im ersten Halbjahr 2024 keiner der Betroffenen einen Haftstrafe - drei wurden auf Bewährung und die anderen zu Geldstrafen verurteilt.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von Kriegsverbrechen

Die Urteile würden jedoch niemanden vom Dienst in der russischen Armee befreien, sagt Skrypnyk und betont, dass die Einberufung zum Militär in den besetzten Gebieten gegen das humanitäre Völkerrecht verstoße und ein Kriegsverbrechen darstelle.

Russland ziehe seit 2022 in den besetzten Gebieten lebende Ukrainer zwangsweise zur Armee ein und missbrauche sie oft als "menschliche Schutzschilde". "Wir kennen Fälle, in denen eingezogene, unbewaffnete Männer der regulären Armee vorangestellt wurden, wodurch sie als erste angegriffen wurden. Das wurde im Jahr 2022 massenhaft praktiziert", sagt Skrypnyk.

Nach Angaben der "Menschenrechtsgruppe Krim" setzte Russland bei seiner Invasion in die Ukraine zahlreiche Rekruten von der annektierten Krim ein. Laut Skrypnyk sind seit 2022 mindestens 1873 Angehörige der russischen Armee aus Einheiten von der Krim gefallen. 116 Krimbewohner seien von den ukrainischen Streitkräften gefangen genommen worden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen