Russland: Wie Putin seit 25 Jahren seine Macht zementiert
26. März 2025
Eigentlich war es nur noch eine reine Formsache: Am 26. März 2000 wurde Putin bei den russischen Präsidentschaftswahlen mit 52,9 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt.
Das Ergebnis der Wahlen stand bereits von vorneherein fest. Denn als Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 überraschend sein Amt niedergelegt hatte, übernahm Putin, der seit dem 9. August 1999 als Ministerpräsident amtierte, verfassungsgemäß auch die Amtsgeschäfte des Präsidenten.
Putin ist seit 25 Jahren an der Macht. Beim Aufstieg zum autokratischen und unumstrittenen Herrscher Russlands ging er strategisch vor - auch wenn er ein paar Jahre nicht im Präsidentenpalast saß.
Stühlerücken im Kreml
Da laut russischer Verfassung damals ein Präsident nicht länger als zwei Amtszeiten hintereinander regieren durfte, kam es bei den Wahlen am 7. Mai 2008 zu einem Stühlerücken. Putins Vertrauter Dimitri Medwedew, ehemaliger Gazprom-Aufsichtsratschef, löste Putin im Amt ab.
Die russische Duma wählte Putin einen Tag später auf Vorschlag von Medwedew mit 87,1 Prozent der Stimmen zum neuen Regierungschef. Auch wenn Medwedew das höchste Amt innehatte, zog Putin im Kreml im Hintergrund die Fäden.
Grundstein von Putins Macht: die Beseitigung regionaler Autonomie
In diesen 25 Jahren habe der russische Präsident sein Land zur "stärksten personalisierten Diktatur der Welt" umgebaut, so die Einschätzung des russischen Politikwissenschaftlers Michail Komin. "Russland ist natürlich nicht Nordkorea, dafür ist das Land zu groß. Aber immer mehr Bürger werden genauso auf Linie gebracht."
Sein Ziel sei von Anfang an der Umbau der Demokratie zu seinem Vorteil gewesen: "Heute ist die gesamte Macht im russischen Staat in den Händen einer einzigen Person konzentriert, in den Händen von Putin."
Angefangen habe alles mit der Beseitigung der "regionalen Autonomie", erinnert Komin: "Eine der wichtigsten politischen Reformen der ersten Amtszeit von Putin war die Etablierung der sogenannten Vertreter des Präsidenten in den Regionen."
Diese sollten die regionale Politik kontrollieren. Damit habe der Kreml sein eigenes Kontrollinstrument in den Regionen geschaffen - ein Grundstein für die Zementierung der Macht. "Der Einfluss des Kremls wurde nicht nur auf die Gouverneure, sondern auch auf ihre Umgebung einschließlich der lokalen Großunternehmer legitimiert", so Komin.
Dieser Meinung ist auch der in Finnland lebende russische Politikwissenschaftler Grigori Nischnikow: "Wenn wir uns an Russland aus früheren Putin-Jahren erinnern, fallen uns mehrere autonome Machtzentren ein, sowohl konstitutionelle als auch informelle, wie etwa die Oligarchen. Sie alle bildeten eine Art Gegengewicht zum Kreml." Putin habe das alles vernichtet, alles zentralisiert und Russlands Machtsystem auf sich ausgerichtet, so Nischnikow im DW-Interview.
Putin und Trump: Brüder im Geiste?
Außenpolitisch zeichnet sich eine Wiederannäherung zwischen den USA und Russland ab, die bereits in der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump (2017 - 2021) begonnen hat. Die erste persönliche Begegnung zwischen Trump und Putin fand im Juli 2018 beim Gipfeltreffen in Helsinki statt.
"Trump ist für Putin das größte Geschenk seines politischen Lebens", erklärt Politikwissenschaftler und Historiker Helmut Müller-Enbergs in einem Interview mit der Nachrichtenplattform T-Online.
Bei den Waffenstillstandsverhandlungen im Ukrainekrieg böte Putin Trump "sozusagen die Mousse au Chocolat an – also die Rohstoffe und die Aussicht auf ein erfülltes Wahlversprechen", so der Experte von der University of Southern Denmark. Dabei habe er völkerrechtlich gar keinen Anspruch darauf.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow ließ zudem kürzlich vor der internationalen Presse durchblicken, dass Trump und Putin einen engen Draht zueinander haben und möglicherweise öfter miteinander sprechen als bisher angenommen.
Machtapparat duldet keinen Widerstand
Putins wachsende Macht - so die Experten - beruhe innen - wie außenpolitisch auf militärischer Bedrohung sowie Repression. Dabei habe es im vergangenen Vierteljahrhundert laut Experte Nischnikow genug Ereignisse gegeben, die für Putin hätten gefährlich werden können.
Dazu gehörten unter anderem die Proteste nach der Parlamentswahl 2011 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau, die Gefahr einer instabilen Situation auf der Krim nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel 2014, die Unruhen nach der umstrittenen Rentenreform 2018, die Nawalny-Proteste in den folgenden Jahren in ganz Russland und die Invasion der Ukraine, die von Straßenprotesten in den Metropolen Moskau und Sankt Petersburg begleitet wurde.
Aber auf jeden Widerstand der Bevölkerung seien noch stärkere Repressionen gefolgt, so Politologe Nischnikow. Und "mit jedem dieser Ereignisse sind immer neue Widersacher beseitigt worden." Heute sei also niemand mehr da, der Putin Paroli bieten könnte.
Ein weiterer wichtiger Faktor für den Machterhalt von Putin sei die gezielte Schwächung der Gerichte in seiner zweiten Amtszeit, stellt Michail Komin fest. Die den Machthabern loyalen vorsitzenden Richter hätten mehr Macht gegenüber ihren untergeordneten Kollegen erhalten.
Heute seien russische Gerichte deswegen nicht mehr unabhängig, kritisiert Komin. Sie könnten die Prozesse der staatlichen Repressionen gegenüber den Bürgern im Zweifelsfall verlangsamen, aber nicht mehr stoppen.
Dazu käme die Veränderung des Wahlsystems zugunsten von Wladimir Putin und seiner Regierungspartei "Einiges Russland". "Diese Veränderungen gab es mehrmals. Jetzt dominiert die Regierungspartei dank des Systems der Unterdrückung der Opposition, nicht dank der sozialen Themen, die in Putins ersten zwei Amtszeiten eine Rolle gespielt haben", urteilt der Politik-Experte.
Statt sich gegen die demokratische Opposition zu behaupten, habe Putin eine Art Schattenkabinett um sich herum geschaffen, meint der russische Soziologe Alexander Bikbow. Der Präsident habe in diesem engen Kreis Menschen versammelt, die mit ihm konkrete geschäftliche Interessen geteilt hätten.
Ihre Firmen hätten große Staatsaufträge bekommen und sich dabei bereichert, so Bikbow: "Putin hält stets alle Zügel selbst in der Hand und ist persönlich geschäftlich involviert."
Manipulation des kollektiven historischen Gedächtnisses
Der Gesellschaft werde parallel dazu ein Bild von Russland verkauft, in dem der Staat im Laufe seiner ganzen Geschichte ausschließlich eine positive Rolle gespielt hätte. Alles Negative werde ausgeschaltet, alle Konflikte der Vergangenheit ausgelöscht, so Bikbow. Er nennt das "Manipulationen mit dem kollektiven historischen Gedächtnis." Sie würden Putins Macht ebenfalls nur stärken.
Als Beispiel nennt der Soziologe die Schließung der KGB-Archive für die Öffentlichkeit, in denen "die dunklen Kapitel der russischen Geschichte" verzeichnet seien.
Bikbow nennt das Russland-Image unter Putin, der selbst KGB-Chef war, "das Bild des Goldenen Hahns" in Anlehnung an eine russische Märchenfigur. Der goldene Hahn bedeute "ein ausschließlich glückseliges Russland.
Ein Land, auf das man mit der rosaroten Brille schaut und in dem die Zarenfamilie etwa in einer Reihe mit dem kommunistischen Diktator Stalin seltsamerweise als Hüter derselben Traditionen dargestellt wird - obwohl beide in der russischen Geschichte vollkommen verschiedene politische Kräfte repräsentierten."
Ende von Putins Herrschaft nicht absehbar
Alle drei von der DW befragten Experten sind sich darin einig, dass diese Tendenzen sich in der Zukunft verstärken und Putin lange an der Macht bleibe werde. "Das Problem ist, dass es keinen alternativen Kandidaten gibt und auch keinen Platz für ihn. Die letzten Wahlen, die Putin wirklich gewonnen hat, waren die Wahlen von 2004. Alles weitere war unfair", beklagt Michail Komin.
Putin sei zwar in diesem März für die nächsten sechs Jahre gewählt worden, schätzt der Experte, 2030 werde aber nicht das letzte Jahr seiner Präsidentschaft sein. "Ich denke, er wird noch eine weitere Amtszeit weitermachen. Seine Machtdauer sei nur auf sein physisches Alter beschränkt."
Auch Grigori Nischnikow bemängelt, dass die Russen für Putin keine Alternative sähen und eher Angst vor Veränderungen hätten: "Ok, sagen die Menschen, wir wollen, dass der Krieg vorbei ist, aber was kommt dann? Wenn Putin weg ist, kommen noch schlimmere Diebe an die Macht, die noch mehr das Land ausrauben werden. Das Image, das die Regierung pflegt, ist: Stabilität von heute ist wichtiger als Veränderungen von morgen."
Nischnikow bemerkt, dass es in Russland schon immer einen Bedarf nach einer starken Hand gegeben habe: "Eine starke Führungspersönlichkeit sollte schon immer Entscheidungen treffen und Probleme lösen. Im Zweifelsfall schimpfen die Russen auf die Gouverneure und nicht auf den Präsidenten, nach dem Motto: Wenn Putin das nur wüsste, würde er das Problem sofort lösen!" Das sei eine uralte russische Tradition.
Dieser Text wurde am 25.3.2025 aktualisiert.