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"Russland will, dass Assad bleibt"

Diana Hodali16. März 2016

Alle Superlative scheinen verbraucht - der schlimmste Krieg, die meisten Flüchtlinge, die größte humanitäre Krise. In Genf wird wieder verhandelt, aber eine Lösung für den Syrien-Krieg sieht Christoph Reuter nicht.

Russischer Truppenabzug in Syrien (Foto: Reuters)
Russischer Truppenabzug aus SyrienBild: Reuters/Russian Ministry of Defence/V. Grishankin

Deutsche Welle: Die Genfer-Friedensgespräche gehen seit Montag unter Vermittlung der UN weiter. Dazu kommt: Etwa fünf Monate nach dem Beginn der Luftangriffe in Syrien hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Montag den Abzug des Hauptkontingents befohlen. Alle hoffen auf eine politische Lösung. Sehen Sie auch einen Hoffnungsschimmer?

Christoph Reuter: Nein. Es hat sich nichts daran geändert, dass Russland alles daran setzt, das Regime von Baschar al-Assad zum Sieger in diesem Konflikt zu machen. Das Land ist in diesen fünf Monaten russischer Bombardements so intensiv wie noch nie in den Jahren zuvor bombardiert worden. Die Flugzeuge können innerhalb von zwei Stunden zurückkehren und es wird sich an der grundsätzlichen Lage, dass es keinen nachhaltigen Frieden gibt, nichts ändern - solange es keinen Ausgleich zwischen dem Regime und der Opposition gibt.

Hat Russland mit dem Abzug nicht auch signalisiert, dass es eine politische Lösung in diesem Krieg will?

Man möchte nicht, dass Assad fällt und diese Familie ihre Macht verliert. Das hätte man von russischer Seite ja viel müheloser durchsetzen können. Es geschieht nichts in Damaskus ohne Russlands Willen, aber das will man eben nicht.

Aber warum ist Russland dann überhaupt teilweise abgezogen?

Weil es sein Ziel vorläufig erreicht hat. Die Rebellen sind aus weiten Teilen des Nordens, des Südens und Zentralsyriens vertrieben worden, weil niemand dort bleiben konnte. Es hat über 100.000 neue Flüchtlinge gegeben in diesem Zeitraum. Alle wissen, dass die russische Luftwaffe jederzeit wiederkommen und weiterbombardieren kann. Russland hat in den vergangenen zwei Wochen den Waffenstillstand weitestgehend eingehalten.

Nahost-Experte Christoph Reuter ist Journalist und AutorBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Dabei hatte es ja angekündigt, man werde alle Terroristen weiter bombardieren. Sprich: Eigentlich gibt es gar keinen Waffenstillstand, weil es ja nur Terroristen gibt. Sie haben es trotzdem ziemlich ruhig gehalten, um allen Rebellen und der Opposition zu zeigen: 'Schaut her, ihr habt die Wahl. Entweder völlige Vernichtung oder zumindest keine Luftangriffe und Ruhe. Überlegt euch, ob ihr weiterkämpfen wollt.'

Das heißt also, dass Russland nur so tut, als ziehe es mit den USA an einem Strang.

Das Problem ist, die USA ziehen an gar keinem Strang. Insofern ziehen die Russen an ihrem und Amerika sagt Okay. Die USA haben Syrien aufgegeben.

Haben die USA Syrien aufgegeben, weil sie den richtigen Zeitpunkt verpasst haben, zu intervenieren?

Die USA haben es komplett verpasst, in den Momenten zu intervenieren, als der Rest der Welt damit einverstanden gewesen wäre oder es sogar erwartet hatte. Nach dem Giftgasangriff auf die Vororte von Damaskus war die rote Linie Obamas klar überschritten. Alle dachten, er wird jetzt etwas tun. Dazu kommt: Jenseits einer groß angelegten militärischen Intervention im ganzen Land, hätte es jederzeit die Möglichkeit gegeben - zumindest im Norden, vielleicht auch im Süden - eine Flugverbotszone einzurichten. So hätte man dafür sorgen können, dass die Städte und Dörfer, die von der Opposition kontrolliert wurden, nicht weiter bombardiert werden. Und dann hat man auch noch stillschweigend im letzten Spätsommer aufgehört, den nicht-islamistischen Rebellengruppen die karge Unterstützung der vergangenen Jahre zukommen zu lassen. Offensichtlich hat Amerika es einfach aufgegeben - und erklärt aber immer, dass Russland die Rebellen nicht bombardieren sollte.

Wie kann man denn Syrien befrieden, wenn im Norden und Nordosten des Landes die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates (IS) immer noch das Sagen haben?

Das wäre das kleinste Problem, weil die syrischen Fraktionen, sowohl die Rebellen als auch die Menschen, die unter der Kontrolle des Regimes leben, gegen den IS sind. Niemand will vom IS beherrscht werden. Der Kampf gegen diese kolonialistische Terrorarmee wäre ein einigendes Moment für die restlichen Fraktionen, wenn sie sich denn zusammenfinden würden. Man hat dort zwei Kriege. Aber man kann eben den Krieg gegen den IS kaum führen und auf keinen Fall gewinnen, wenn man nicht den viel größeren anderen Krieg zwischen Assad und der Opposition zu einem nachhaltigen, für beide Seiten respektablen Ende bringt. Das tut Russland aber nicht.

Man überlässt das Land also sich selbst. Sind das dann Alibi-Verhandlungen in Genf?

Das Wunschergebnis des Kremls wäre, dass die USA und der Rest der Welt sagen: 'Nun gut, wir arrangieren uns wieder mit Assad, wir akzeptieren ihn wieder als Herrscher. Wir wollten zwar, dass er nach 5000 Toten zurücktritt, aber nach fast einer halben Million Toten sagen wir, er kann bleiben.' Wenn das nicht funktioniert, weil der Rest der Welt immer noch findet, dass man als Staatschef sein eigenes Volk nicht mit Scut-Raketen, Splitterbomben und Chemiewaffen traktieren sollte, dann wird es darauf hinauslaufen, dass das Land de facto zerfällt. Assad bleibt dann Präsident - aber nur über einen schmalen dicht bevölkerten Streifen im Westen, der alles umfasst von Damaskus über Homs bis nach Latakia an der Küste. Die Kurden werden ihren eigenen Staat im Norden ausrufen und den Rest überlässt man sich selbst - und damit wird auch der IS dort bleiben.

Große Teile der Stadt Aleppo liegen in Schutt und AscheBild: Reuters/A. Ismail

Die syrischen Kurden haben bereits angekündigt, eine autonome Region auszurufen. Und sollten sie wirklich einen eigenen Staat ausrufen, dann wird das der Türkei mit Blick auf die Kurden im Land nicht gefallen.

Es besteht die Gefahr, dass die türkische Regierung, die ohne Not vergangenen Sommer ihren alten Bürgerkrieg wieder aufgenommen hat, massiv militärisch dagegen vorgehen wird. Und dann könnte es zu einem Krieg zwischen der Türkei und Russland kommen, der heute schon als Stellvertreterkrieg im Norden stattfindet.

Wird sich der Westen dann also in Zukunft vielleicht wirklich wieder auf die Seite Assads schlagen, wenn die Wahl zwischen dem Regime und dem IS besteht?

Wenn er das tut, dann garantiert er einen weiteren Zerfall des Landes, so dass es niemals zur Ruhe kommen wird. Für den IS ist Assad ein Garant des Überlebens.

Warum?

Solange Assad herrscht, werden die Leute nicht zur Ruhe kommen. Dann werden die Menschen auch keine Alternative mehr sehen. Die Rebellengruppen werden derzeit von Russland, von der syrischen Luftwaffe, vom IS, von allen gemeinsam bekämpft. Nur der IS als Gegner Assads wird übrig bleiben. Die Menschen werden dann entweder fliehen oder zum IS gehen. Das ist die Werbestrategie, die der IS jetzt schon seit zwei, drei Monaten massiv im Norden fährt und den Rebellen sagt: 'Schaut euch an, ihr seid von allen verraten worden, kommt zu uns.'

Werden denn Syriens Nachbarstaaten dulden, dass Teile des Landes in der Hand des IS bleiben könnten?

Es wird einfach darauf hinauslaufen. Vielleicht wird man den IS aus weiteren Teilen vertreiben. Aber man wird ihn nie gänzlich besiegen können, solange man den Menschen, die unter ihm leben, kein Angebot macht, so dass sie gemeinsam und mit Aussicht auf Erfolg gegen den IS aufstehen. Wir haben uns die lokalen Waffenstillstände sehr genau angeschaut, die der UN-Sonderbotschafter Staffan de Mistura so gepriesen hat. Dort, wo das Regime mit den Rebellen lokale Waffenstillstände abschließt, haben wir aber keinen Ort gefunden, an dem auch ein Prozess der Vertrauensbildung in Gang gekommen wäre. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass tatsächlich so etwas wie Wiederversöhnung von Assads Apparat gewollt wäre, weil dieses Regime mit einem Kompromiss nicht weiter existieren kann.

Seine Existenz basiert darauf, selbst die eigene Klientel als Geisel genommen zu haben, ihr immer eingeredet zu haben, man sei die Schutzmacht und man müsse vor allen anderen Angst haben. Aber auch diese Kernklientel macht nicht mehr als 10-12 Prozent der Bevölkerung aus. Das heißt, es kann nur einen Sieg und einen Verbleib an der Macht geben, denn jeder Kompromiss der Machtteilung würde eine Erosion in Gang setzen, die mit dem völligen Absturz dieser Macht enden würde.

Christoph Reuter ist studierter Islamwissenschaftler und spricht fließend Arabisch. Er ist Journalist und Autor und recherchierte in Syrien und im Irak. Als Korrespondent für den Nahen und Mittleren Osten arbeitete er unter anderem für "Die Zeit", "Stern" und "Spiegel".

Das Gespräch führte Diana Hodali.

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