Russland Eurasische Union
18. Dezember 2011Russland schmiedet gerade ein neues Bündnis mit anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Das Integrationsprojekt heißt "Eurasische Union" und soll nach dem Vorbild der Europäischen Union funktionieren. Als Gründungsmitglieder fungieren Russland, Belarus und Kasachstan, deren Staats- und Regierungschefs sich am Montag (19.12.2011) in Moskau getroffen haben.
Die Eurasische Union gilt als Herzensanliegen des russischen Premierministers und Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin. Es gehe nicht darum, die Sowjetunion zu restaurieren oder nachzuahmen, schrieb er im Oktober 2011 in einem programmatischen Artikel in der Zeitung Iswestija. Putins Vorschlag: "Das Modell einer neuen, starken supranationalen Vereinigung, die zu einem der Pole in der modernen Welt werden könnte und dabei die Rolle einer effektiven 'Verbindung' zwischen Europa und der dynamischen asiatisch-pazifischen Region spielen könnte." Russland wirbt in erster Linie mit wirtschaftlichen Vorteilen wie etwa billigerem Gas.
Alte neue Integration
Neu sind Putins Vorschläge nicht. Nach dem Untergang der UdSSR gab es mehrere Versuche, Verbindungen zwischen den ehemaligen Teilrepubliken aufrechtzuerhalten. Das bekannteste Beispiel ist die im Dezember 1991 gegründete Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Beobachter halten diese Vereinigung inzwischen für gescheitert. Sie diene zwar immer noch als Plattform für Treffen der Staatschefs wie auch jetzt am 20. Dezember in Moskau. Kritiker monieren jedoch, die GUS könne keine nennenswerten Integrationserfolge vorweisen. Eher als eine Ausnahme gilt das Freihandelsabkommen, das im Oktober 2011 acht Länder unterzeichnet haben. Bei der Lösung politischer Konflikte erwies sich die GUS als ineffektiv, so die verbreitete Expertenmeinung. Den russisch-georgischen Krieg 2008 konnte die Organisation nicht verhindern. Georgien trat danach aus der GUS aus.
Auch die Idee eines Gemeinsamen Wirtschaftsraums (GWR) zwischen den drei slawischen Republiken Russland, Belarus, Ukraine und dem zentralasiatischen Kasachstan hat es schon 2003 gegeben, allerdings mehr auf dem Papier als in der Praxis. Nun soll diese Vereinigung wiederbelebt werden, vermutlich ohne die Ukraine, die stattdessen eine Integration in die Europäischen Union anstrebt.
Europa als Vorbild?
Am 1. Januar 2012 tritt eine Neuauflage des Gemeinsamen Wirtschaftsraums zwischen Russland, Belarus und Kasachstan in Kraft. Die drei Länder haben bereits 2007 eine Zollunion vereinbart, die seit wenigen Monaten in Kraft ist. Als Endziel wird eine Eurasische Union angestrebt. Bis 2015 könnte es so weit sein, meint der russische Premier Putin.
Als Vorlage dient die EU. Es fängt schon beim Namen an: hier eine "europäische", dort eine "eurasische" Union. Als supranationales Regulierungsorgan soll die "Eurasische Wirtschaftskommission" agieren, die an die EU-Kommission in Brüssel erinnert und ihre Arbeit im Januar 2012 aufnehmen soll. Dem bisherigen Vorsitzenden des russischen Parlaments, Boris Gryslow, schwebt bereits ein eurasisches Parlament vor. Auch die Einführung einer gemeinsamen Währung wird nicht ausgeschlossen. Doch besonders wichtig soll das Prinzip der Gleichheit in diesem neuen Bündnis sein, betonen russische Politiker. Kann das gelingen?
Russische Umarmungen
Ein kurzer Blick auf die drei Gründungsländer: Im Russland des Wladimir Putin wurde gerade eine Parlamentswahl gefälscht. Zehntausende gingen dagegen auf die Straße. Der Belarusse Alexander Lukaschenko gilt als "der letzte Diktator Europas" und sieht sich mit immer härteren Sanktionen seitens der EU konfrontiert. Und der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, der in der zentralasiatischen Republik seit über 20 Jahren herrscht, genießt offenbar einen immer größeren Personenkult. Anfang Dezember 2011 wurde der 71-Jährige vom Parlament zum "Helden des Volkes" erklärt.
Eine "EU-Ost" werde die Eurasische Union "ganz sicherlich nicht", meint Gerhard Simon von der Universität zu Köln. Von einer Gleichheit wie in Europa könne keine Rede sein, sagt der Osteuropa-Experte. "Es ist für mich unvorstellbar, dass die russische politische Klasse bereit sein könnte, den Kirgisen das Recht zu geben, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu fällen, die für Russland verbindlich sein können", sagt Simon. Er glaubt auch nicht daran, dass es sich bei der Eurasischen Union "nur um Ökonomie" handele. "Dahinter steht das Ziel einer sicherheitspolitischen, einer militärischen und eben einer politischen Integration ganz generell", sagt der Experte. Darüber, wer dabei die erste Geige spielen werde, hat Simon keine Zweifel: Russland.
Das Volk sagt Ja, aber…
Ob die neue Vereinigung im postsowjetischen Raum erfolgreich sein könne, lasse sich noch nicht abschätzen, sagt Simon. Andere Experten halten das für möglich. Alexander Rahr vom Berthold-Beitz-Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) schließt nicht aus, dass im Osten Europas eine neue kulturell-politische und wirtschaftliche Vereinigung entstehen könnte, die aber "keine Sowjetunion" sein werde. Auch Eberhard Schneider vom EU-Russia Centre in Brüssel glaubt, dass ein Versuch, eine EU-ähnliche Union mit Freizügigkeit von Personen, Waren sowie Finanz- und Dienstleistungen zu gründen, eine Chance auf Erfolg habe. Allerdings würden sich daran nur einzelne Staaten der ehemaligen UdSSR beteiligen.
Eine engere Zusammenarbeit mit den ehemaligen Sowjetrepubliken scheint auch bei der russischen Bevölkerung eine relative Mehrheit zu haben. Nach einer Umfrage des Moskauer Meinungsforschungsinstituts WZIOM finden 43 Prozent der Russen, dass ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mehr Nutzen als Schaden bringen würde. Rund ein Drittel der Befragten favorisiert dagegen partnerschaftliche Beziehungen ohne eine Vereinigung. Aber offenbar sind die Russen über die Integrationspläne ihrer Regierung schlecht informiert. Dass Russland, Belarus und Kasachstan ab dem 1. Januar 2012 ihre Volkswirtschaften verschmelzen wollen, wussten nur 53 Prozent derjenigen, die im November vom Moskauer Meinungsforschungsinstitut "Lewada" befragt wurden. 45 Prozent hatten davon keine Ahnung.
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk