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Russland erneut gesperrt - Was hat sich geändert?

Jonathan Crane
9. Dezember 2019

Die WADA, die internationale Anti-Doping-Agentur, hat Russland mit einem vierjährigen Sportverbot getroffen. Kritiker argumentieren allerdings, dass mehr hätte getan werden müssen.

Weltverband IAAF Leichtathletik Doping Skandal Russland
Bild: picture-alliance/dpa/H. Hanschke

Craig Reedie, der scheidende Präsident der WADA, sah erschöpft aus. Fast ein Jahrzehnt nach den ersten Gerüchten über einen staatlich geförderten Dopingskandals in Russland und vier Jahre nachdem die globale Anti-Doping-Überwachung ihre erste Untersuchung eingeleitet hatte, war Reedie wieder auf der Bühne - und verteidigte seine Organisation. Seine Botschaft: Russlands jüngstes Vergehen erfordere eine "robuste Reaktion".
 
"Diese Entscheidung soll die Schuldigen bestrafen und eine Botschaft senden, dass so etwas nicht toleriert wird", sagte Reedie auf einer Pressekonferenz in Lausanne am Montag: "Zu lange hat sich das russische Doping dem sauberen Sport entzogen.“

Die Bestrafung, die das Ergebnis der verstärkten Befugnisse ist, die die WADA 2018 übertragen bekam, ist die härteste, die je einer Sportnation verhängt wurde. Russland ist somit für vier Jahre die Teilnahme an großen internationalen Wettbewerben untersagt. Es kann in diesem Zeitraum auch keine internationalen Wettbewerbe veranstalten oder sich um neue bewerben.

"Der größte Sportskandal der Welt."

WADA-Präsident Craig ReedieBild: picture-alliance/AP Photo/G. Hughes

Dennoch bleiben einige Fragen offen, ob diese Sanktionen weit genug greifen? Die RUSADA, die russische Anti-Doping-Agentur, wurde erstmals bereits im Jahr 2015 für nicht regelkonform erklärt - und sie ist es bis heute nicht. Und die russischen Sportler werden auch weiterhin unter dem Mantel der Neutralität bei Wettkämpfen antreten können, so wie schon bei den letzten beiden Olympischen Spielen. Diese Entscheidung wird den Ablauf der kommenden Olympischen Spiele, dieses Mal in Tokio 2020, aller Voraussicht nach überschatten. 

Kritiker der neuerlichen Entscheidung fragen sich, was sich seit des ersten Fehlverhaltens auf russischer Seite genau geändert hat? - und drängen stattdessen auf ein pauschales Verbot, wonach russische Sportler unter keinen Umständen an den Start gehen dürften.

"Ich wollte ein komplettes Verbot", sagte die sichtlich enttäuschte Linda Helleland, die scheidende Vizepräsidentin der WADA, die oft eine einsame Stimme war, wenn sie sich gegen Russland ausgesprochen hat. "Das ist der größte Sportskandal, den die Welt je erlebt hat."

Es ist auch nicht eindeutig, wie sich das Verbot genau auf Mannschaftssportarten wie Fußball und die Teilnahme der russischen Mannschaft an der Weltmeisterschaft 2022 in Katar auswirken wird. Die WADA hat bereits angekündigt, dass die Europameisterschaft im nächsten Jahr, die europaweit in mehreren Städten, unter anderem in St. Petersburg, ausgetragen wird, von dem Verbot ausgenommen sein wird. Der Grund: Die EM in der Spielstätte St. Petersburg wird als regionaler Wettbewerb angesehen. Aber: Die Weltmeisterschaft ist eindeutig anders.

Wiederaufnahme der RUSADA ein kalkuliertes Risiko

"Es ist das Ereignis, das über den Weltmeister entscheidet, der unter das Verbot fällt", sagte Jonathan Taylor, Leiter des Compliance-Panels der WADA. "Wenn sich Russland für die Weltmeisterschaft qualifiziert, dann kann ein Team, das Russland vertritt, nicht teilnehmen. Aber wenn es einen angemessenen Mechanismus gibt, können sie beantragen, neutral, als Vertreter Russlands, teilzunehmen.“

Taylor bestätigte jedoch, dass das Land immer noch versuchen könne, sich für das Turnier in Katar zu qualifizieren, weil "die Qualifikationsveranstaltungen nicht den Weltmeister bestimmen“.

Die Wiederaufnahme der RUSADA im vergangenen September nach der ersten Verbannung war ein kalkuliertes Risiko. Die WADA begründete ihre Entscheidung damals damit, dass die Inspektoren in das Moskauer Labor gebracht wurden, damit sie auf riesige Mengen an Computerdaten zugreifen konnten. Dies sollte die Grundlage dafür sein, dass gegen die Drogenbetrüger ermittelt werden konnte. Auch etwaige kritische Gegenstimmen an dieser Wiederaufnahme konnten an der Entscheidung nichts mehr ändern.

Aber der Schuss ging nach hinten los. Was die Inspektoren entdeckten, spiegelte lediglich viele der früheren Vergehen wider. Die Computerdaten wurden geändert, um Beweise für positive Tests zu entfernen. Die Schuld für den anfänglichen Skandal wurde auf den ehemaligen Labordirektor Dr. Grigory Rodchenkov geschoben. Sicher auch kein Heiligen in dieser (Doping-) Geschichte,. Er war aber derjenige Hinweisgeber, der der WADA geholfen hat, ihre Untersuchung auf Sportarten jenseits der Leichtathletik auszudehnen. 

Russland bestreitet jegliches Fehlverhalten

Premierminister Dmitri Medwedew beklagt eine Kampagne gegen RusslandBild: Getty Images/AFP/Sputnik/A. Astafyev

Für viele in der Anti-Doping-Gemeinschaft war das Verhalten ein Zeichen dafür, dass Russland nicht reformfähig war. "Russland tritt weiterhin (....) sauberen Athleten in den Hintern, streut der WADA Sand in die Augen und kommt immer wieder damit davon", sagte Travis Tygart, der Leiter der US-Anti-Doping-Agentur USADA, in einer Erklärung im vergangenen Monat.

Es sei zudem darauf hingewiesen, dass Russland erneut jegliches Fehlverhalten bestreitet. Vor der Entscheidung nannte der russische Premierminister Dmitri Medwedew das Prozedere "antirussische Seifenoper" und stellte die Frage in den Raum: "Sind andere Länder rein und unschuldig"? 

Während diese Frage sicher auch ein Stück Wahrheit beinhaltet (Die USADA zum Beispiel muss noch Fragen zur Behandlung desChristian-Coleman-Falles beantworten), hat derweil kein anderes Land versucht, das System auf die gleiche Weise zu betrügen wie Russland es getan hat.

Reedie, der Mann, der letztendlich für den Schutz sauberer Athleten verantwortlich ist, wurde selbst von Anschuldigungen verfolgt, Russland zu vernachlässigen und sich den Wünschen des Internationalen Olympischen Komitees zu beugen, das sich gegen ein allgemeines Verbot ausspricht. Auf die Frage der DW, ob er etwas bereut habe, antwortete Reedie nur: "Mein Bedauern ist, dass wir uns um alles kümmern mussten.“

Neue Untersuchungen, neue Enthüllungen

Andere, die am Entscheid in Lausanne anwesend waren, sind offener. Edwin Moses, ein ehemaliger US-Olympiasieger im Hürdenlauf, nannte die Geschichte "eine Peinlichkeit" und klagte an, dass sich die WADA unter ihrer jetzigen Führung nicht für saubere Athleten eingesetzt habe. "Politiker treffen die Entscheidungen", sagte Moses dem DW. "Es gibt nicht genügend in die Entscheidung involvierte Sportler, die unabhängig und objektiv sind. Die Stimme der Athleten wird meiner Meinung nach nicht gehört."

Helleland glaubt, dass RUSADA nie hätte wieder eingesetzt werden dürfen, nachdem Russland den Doping-Skandal verschleiert hatte und versuchte, die Ermittler auf Schritt und Tritt zu frustrieren. Sie sagte der DW, dass die WADA „nicht genug getan“ habe.

"Der größte Fehler passierte im letzten Jahr", sagte sie. "Wir haben die Russen wiedereingesetzt, ohne Zugang zu den Daten zu haben. Also, was haben sie getan? Sie manipulierten, sie löschten die Daten, nachdem die WADA den Russen vertraut hatte. Wir bezahlen jetzt für das, was wir im letzten Jahr getan haben. Ich schäme mich immer noch sehr und denke, dass saubere Athleten und sauberer Sport leiden.“

Mit jeder Untersuchung kamen neue Enthüllungen, jede einzelne schockierender als die davor. Russland hat seine Betrugsmethoden verfeinert und neu kalibriert, um die Überführung durch die WADA zu verhindern. Wenn die Änderung der Computeraufzeichnungen positiver Proben als zu riskant erachtet wurde, wurden die Proben selbst geändert. Schmutzige Proben durch ein Loch in der Wand im Sotschi-Labor gegen saubere ausgetauscht. Wenn das immer noch nicht dreist genug war, wurden die "sauberen" Proben mit Salz und sogar Instantkaffee vermischt, um sie authentischer erscheinen zu lassen. Eine Goldmischung, wie ein Journalist einst mit ironischem Unterton bemerkte. 

Hat Russland noch einen Trumpf?

Karikatur von Sergey Elkin

Diese Beobachtung nährte sich allerdings aus Tatsachen. Russland lag bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi an der Spitze des Medaillenspiegels. Die Russen verdoppelten damit nahezu die Gesamtzahl an Medaillen im Vergleich zu den vorangegangenen Spielen vier Jahre zuvor. Präsident Vladimir Putin, der sich bereits im Rampenlicht der Ausrichtung der Spiele sonnte, konnte sich zusätzlich der außergewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten der Sportler seines Landes auf internationaler Bühne rühmen. 

Während die jüngste Entscheidung der WADA für Russland peinliche Ausmaße annimmt, ist die (Doping-) Geschichte aber noch nicht abgeschlossen. Die RUSADA hat 21 Tage Zeit, um beim CAS, dem höchsten Sportgericht der Welt, Berufung einzulegen. Taylor sagte, er blicke zuversichtlich auf dieses Verfahren die WADA betreffend. "Erwarte ich, dass sich die Entscheidung des CAS von der Entscheidung des Exekutivkomitees der WADA heute unterscheidet? Nein, tue ich nicht", sagte er.

Russland kann womöglich aber einen weiteren Trumpf ausspielen. Yuri Ganus, der Leiter von RUSADA, hat sein eigenes Land öffentlich kritisiert und mit dem Finger auf die Behörden gezeigt, die für das Moskauer Labor verantwortlich sind. Zyniker sehen dies jedoch eher als einen Trick, um die Schuld von Sportfunktionären und Athleten wegzuhalten und das Argument zu verstärken, dass die Unschuldigen nicht bestraft werden sollten. Womöglich wird nun doch eine staatliche Beteiligung eingeräumt. 

Verfeinern und neu kalibrieren. Das ist die russische Art.
 

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