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Politik

Russland zieht seine Truppen ab

Iurii Sheiko
23. April 2021

Russland hat begonnen seine Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen. Mit der gegenwärtigen Aufstellung wäre Russland schnell zu einer Militäroffensive in der Lage, glauben Beobachter. Welche Ziele verfolgt Moskau?

BG Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze
Bild: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry

Russland hat nach eigenen Angaben mit dem Abzug der Truppen von den Grenzen zur Ukraine und der annektierten Halbinsel Krim begonnen. Bei einem Besuch auf der Krim am 22. April sagte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Ziele der Militärmanöver erreicht seien. Allerdings bleibt vorerst unklar, ob alle neu verlegten Soldaten und Waffen die Gebiete nahe der Ukraine verlassen und die neuen Militärlager abgebaut werden. Einige Waffensysteme sollen bis zum Manöver "West 2021" mit Belarus im Herbst auf dem Stützpunkt nahe Woronesch bleiben, so Schoigu.

Aufgrund des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine und auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim hatten zahlreiche Beobachter vermutet, dass Russland eine Offensive vorbereitet.

Noch zu wenig Truppen für einen Angriff

Experten der International Crisis Group (ICG), einer in Brüssel ansässigen Denkfabrik, schrieben allerdings in einem am 20. April veröffentlichten Bericht: "Trotz der russischen Panzer, die an die Grenze gebracht werden, scheint die Wahrscheinlichkeit gering zu sein, dass sich die blutigen Kämpfe, die den Donbass in den Jahren 2014 und 2015 erschütterten, bald wiederholen." Die Anzahl und Positionierung der Truppen biete zwar Anlass zur Sorge, passe aber nicht zu einer Vorlage für eine Offensive.

Die ICG erinnerte daran, dass Beobachter lange Zeit geglaubt hatten, Moskau sei mit dem Status quo in der Ukraine zufrieden. Denn die Minsker Abkommen, die Anfang 2015 die blutigen Kämpfe beendeten und die ausgehandelt wurden, als Kiew einem starken Druck des russischen Militärs ausgesetzt war, seien für die "Stellvertreter" Russlands im Donbass von Vorteil. "Doch die jüngsten Truppenbewegungen und die Rhetorik Russlands deuten darauf hin, dass es möglicherweise zunehmend frustriert ist und möglicherweise versucht, die Ukraine zu Zugeständnissen zu zwingen", so die ICG.

Wie viele russische Soldaten stehen bereit?

Zunächst hieß es aus Kiew, an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim stünden mehr als 80.000 Soldaten, und am 14. April erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Andrij Taran, es könnten bald 110.000 sein.

Am selben Tag sagte die US-Vertreterin bei der OSZE, Russland habe zusätzlich zu den bereits vorhandenen Streitkräften 15.000 bis 25.000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine und auf die Krim verlegt. Diese Woche berichtete das Wall Street Journal (WSJ), die US-Regierung gehe von 80.000 russische Soldaten aus. Das seien inzwischen "etwa doppelt so viele wie noch vor vier Wochen". Die Europäische Union geht von 100.000 russischen Soldaten aus.

Die ukrainischen Streitkräfte verfügten nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew im Februar dieses Jahres über 195.000 Soldaten, von denen 40.000 am Einsatz im Donbass beteiligt waren. Am 21. April unterzeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Gesetz, das eine raschere Einberufung von Reservisten zum Militärdienst erlaubt. Kiew verfügt über eine beträchtliche Reserve, denn rund 400.000 Ukrainer haben bereits Kampfeinsätze im Donbass absolviert.

Neue russische Militärstützpunkte

In der modernen Kriegführung sagt jedoch die Anzahl von Soldaten allein wenig aus. Wichtig ist auch die Anzahl und die Art der Waffen, die Organisation der Truppen und ihre Logistik sowie Reserven von Treibstoff und Munition. Auch hier legte Russland zu. Beispielsweise teilte die EU mit, Russland baue Feldlazarette auf. Und das WSJ berichtete über die Stationierung von Su-30-Kampfflugzeugen auf der Krim. Satellitenbilder zeigen auch, dass auf die Halbinsel Luftlandetruppen, Kampfhubschrauber, Aufklärungsdrohnen und Ausrüstung zur elektronischen Kampfführung verlegt wurden.

Ferner hat eine Gruppe unabhängiger russischer Blogger vom Conflict Intelligence Team (CIT) ein neues Feldlager russischer Truppen südlich von Woronesch entdeckt. Obwohl das Lager etwa 250 Kilometer von der ukrainischen Ostgrenze entfernt ist, stammt ein Großteil des dort stationierten militärischen Geräts aus dem zentralen Militärbezirk Russlands, also "Hunderte und Tausende von Kilometern" von Woronesch entfernt. Das Lager, so die Recherchen, sei möglichst nah an der ukrainischen Region Charkiw und an den von Kiew kontrollierten Teil der Region Luhansk aufgeschlagen worden. Das CIT vermutet daher, dass dies eher auf einen offensiven Charakter hindeutet und nicht auf einen defensiven. Darüber hinaus hat das CIT festgestellt, dass Fallschirmjäger aus Pskow mit ihrer Ausrüstung, insbesondere gepanzerten Mannschaftstransportwagen, in den Norden der Krim versetzt wurden. Hinzu kommen Berichte, dass Russland Schiffe der Kaspischen Flottille ins Asowsche Meer verlegt.

Das Magazin "Der Spiegel" berichtete über zwei neue Stützpunkte des russischen Militärs in der Nähe von Marfiwka auf der Krim. Dort, wo das Gelände Mitte März noch leer war, zeigen Satellitenbilder im April immer mehr Fahrzeuge und Aufbauten. Neben Unterkünften stehen in umzäunten Bereichen in Reihen mehr als tausend Militärfahrzeuge.

Russland in wenigen Wochen zu Offensive fähig

Der ehemalige US-General Ben Hodges hat im Gespräch mit der DW eine Eskalation der Gewalt zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften in der Donbass-Region nicht ausgeschlossen. Hodges, inzwischen Experte des Center for European Policy Analysis, sagte der DW: "Ich glaube nicht mehr, dass dies nur Muskelspiele sind. Wenn ich mir den Umfang der Aufstellung, die Art der Ausrüstung und des Zubehörs, die Logistik und die Verlegung von Marineschiffen vom Kaspischen zum Schwarzen Meer anschaue, dann ist dies mehr als nur eine Übung."

Satellitenbild des russischen Luftstützpunktes Saki auf der KrimBild: Satellite image 2021 Maxar Technologies via REUTERS

Auch der Präsident der "Potomac Foundation", Phillip Karber, findet, dass es sich nicht mehr nur um eine Machtdemonstration seitens Russlands handelt. Gegenüber dem WSJ sagte er: "Das ist die Vorbereitung auf eine große Offensive." Der Leiter des US-Think Tanks betonte, er prophezeie keinen Angriff, aber in zwei Wochen werde dies eine der Optionen sein, die den Russen zur Verfügung stehe.

Dies stimmt mit den Einschätzungen der Führung in Kiew überein. "Wir wissen nicht genau, ob Moskau mit einer neuen Phase der Aggression gegen die Ukraine beginnen wird, aber es wird in einigen Wochen dazu in der Lage sein", so der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.

Militärbeobachter weisen darauf hin, dass die Wetterbedingungen im Frühjahr für eine Offensive ungünstig sind. Doch schon im Mai könnte sich die Situation ändern, wenn der Boden trocken ist und sich schweres militärisches Gerät besser bewegen lässt.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Angst vor Krieg in der Ostukraine

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