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Politik

Russlands negative Geheimdienst-Bilanz

Christopher Nehring
30. April 2021

Spionage, Anschläge, Mord: Moskaus Dienste zeigen, wozu sie tief im Westen fähig sind. Aber Fehlschläge, Nachlässigkeiten und begrenzte Ressourcen prägen ihre Aktionen, meint Geheimdienstexperte Christopher Nehring.

Russland 100-jähriges Jubiläum Militärgeheimdienst Putin
Präsident Wladimir Putin spricht beim 100-jährigen Jubiläum des russischen Militärgeheimdiensts GRU am 2.11.2018Bild: picture-alliance/dpa/A. Druzhinin

2021 ist das Jahr der russischen Geheimdienste. In weniger als fünf Monaten wurden vier spektakuläre Aktionen öffentlich: In Berlin flog Jens F. auf, ein Elektrofachmann mit Stasi-Vergangenheit, als er Bundestags-Baupläne an Geheimdienstler der russischen Botschaft verkaufte. In Bulgarien wurde ein russischer Spionagering rund um den Ex-Militärgeheimdienstler Ivan Iliew enttarnt. In Italien wurde der Fregatten-Kapitän Walter Biot dabei erwischt, wie er militärische Informationen verkaufte.

In Tschechien identifizierte das Innenministerium Offiziere des russischen Militärgeheimdienstes GRU (deutsch: Hauptverwaltung für Aufklärung) als Urheber zweier Explosionen in einem Munitionsdepot in Vrbětice 2014 - dieselben Männer, die 2015 mutmaßlich erst den bulgarischen Waffenhändler Emilijan Gebrew und dann 2018 den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet haben sollen.

In Bulgarien brachte die Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus vier weitere Sabotagefälle in Waffendepots von Gebrews Firma EMKO mit der GRU in Verbindung. Gleichzeitig sind weder der Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny vom August 2020, noch die Cyberspionage gegen die Firma Solar Winds (ebenfalls 2020) oder den Deutschen Bundestag 2015 vergessen.

Welche Lehren lassen sich aus den russischen Aktionen ziehen?

Russlands Dienste sind im Krieg

Syrien, Libyen, Zentralasien, Kaukasus und vor allem Ukraine - die russischen Dienste, allen voran die GRU, befinden sich im Kriegszustand. Aktionen wie in Vrbětice oder der Giftanschlag auf Waffenhändler Gebrew sollen das militärische Engagement Moskaus durch verdeckte Spezialoperationen unterstützen.

Das Hauptquartier des russischen militärischen Nachrichtendiensts GRU in MoskauBild: picture alliance/AP Photo/P. Golovkin

Sie zielen auf Unterstützer der militärischen Gegner. Hemmungen, dabei schwerste Gewalthandlungen auf dem Territorium des westlichen Bündnisses zu verüben, sind seit 2014 gefallen. Das aber ist kein Anzeichen für ein wahlloses Töten, Russland führt keinen Geheimdienstkrieg.

Im Osten nichts Neues

Geheimdienstaktionen dieser Art haben Tradition. Jens F. in Berlin, Ivan Iliew in Sofia, Walter Biot in Rom - sie alle betrieben nichts als klassische Spionage. Neu ist hier nur die Anzahl der innerhalb kürzester Zeit öffentlich gewordenen Fälle. Auch Desinformationskampagnen gehörten schon vor einem halben Jahrhundert zum Moskauer Repertoire. Erinnert sei an die Kampagne von KGB und Stasi in den 1980ern, derzufolge die US-Armee das AIDS-Virus als Biowaffe entwickelt habe.

Die "Lubjanka" in Moskau, einst Hauptquartier des sowjetischen KGB, heute Sitz des russischen Inlandsgeheimdiensts FSBBild: Mladen Antonov/AFP

Mordanschläge auf Geheimdienstüberläufer und Doppelagenten gehören ebenfalls nicht erst seit Skripal zur Tradition. Schon 1925 vergiftete die GRU den Überläufer Wladimir Nesterowitsch in Mainz. Und selbst die neueste Form von Geheimdienstaktionen - Cyberspionage - entpuppt sich bei näherem Hinsehen als alter Wein in neuen Schläuchen: Für Thomas Rid, Cyberexperte der Johns Hopkins University, sind die Aktionen traditionelle Spionage, Sabotage und Propaganda im digitalen Gewand.

Bekannte Methoden

Auch das Vorgehen ist nicht neu: Hotspot sind immer die Botschaften, von denen aus GRU & Co Spionagequellen führen. Dabei spielt Geld die Hauptrolle; in Deutschland und Bulgarien hatten die Agenten zudem eine Vergangenheit in den realsozialistischen Geheimdiensten.

Das Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Berlin am 24.09.1985Bild: picture-alliance/D. Klar

Ging es dagegen um Mord und Sabotage, reisten die Teams der mittlerweile aufgelösten GRU-Spezialeinheit 29155 aus Moskau über Drittländer quer durch Europa zu ihrem Ziel. Indirekte Reiserouten, gefälschte Identitäten, bei denen Vornamen mit den echten übereinstimmen und Geburtsdaten nur minimal verändert werden, sind dabei ebenso Relikte des Sowjetgeheimdienstes wie Privilegien und Auszeichnungen oder Urlaubsprogramme und Fürsorge für aufgeflogene Agenten und deren Verwandten.

Der Mensch steht im Mittelpunkt

Russland ist eine Großmacht der weltweiten Cyberspionage - doch die jüngsten Geheimdienstaktionen zeigen, wie wichtig der Faktor Mensch immer noch ist. Selbst Cyberspionage wie beim "Bundestagshack" 2015 glückt nur dank menschlicher Fehler, in diesem Fall dem Öffnen von E-Mail-Anhängen.

Im Mittelpunkt der Spionagefälle standen Menschen, die gekauft worden waren. Menschliche Fehler russischer Geheimdienstler spielten eine große Rolle für Fehlschläge und das Bekanntwerden von Operationen: Offiziere der GRU-Spezialeinheit 29155 reisten immer wieder mit denselben Tarnidentitäten und gefälschten Pässen nach Tschechien, Bulgarien und England.

Eine Absperrung der britischen Polizei am Tatort des Nowitschok-Anschlags auf Sergej Skripal am 5.07.2018Bild: Getty Images/J. Taylor

Nach dem Nowitschok-Anschlag auf Skripal 2018 warfen dieselben Offiziere einen Giftcontainer achtlos in einen Mülleimer und waren so für den späteren Tod von Dawn Sturgess verantwortlich. Der FSB-Offizier Konstantin Kudrjawzew, der als Teil eines Teams Spuren der Nowitschok-Vergiftung Nawalnys beseitigte, ließ sich von seinem Opfer durch einen Trickanruf täuschen - und verriet unglaubliche Details der Mordoperation am Telefon. Und auch andere FSB-Offiziere verstießen gegen Vorsichtsmaßnahmen, als sie private Telefone während der Operation einschalteten.

Staatsgeheimnisse in der Krise

Datenschutz und Privatsphäre sind im Zeitalter sozialer Medien, Videoüberwachung und allgegenwärtiger Online-Kommunikation bedroht. Dasselbe gilt für die Staatsgeheimnisse mordender Geheimdienste. Das zeigen die Recherchen der britischen investigativen Online-Plattform Bellingcat.

Bellingcat-Gründer Eliot Higgins im Gespräch mit der DW am 31.01.2016Bild: DW

Social-Media-Kanäle, gepostete Bilder und Videoaufnahmen sowie im Internet gehandelte Kommunikations- und Reisedaten ermöglichten es Journalisten, Tarnidentitäten, Lebensläufe, Reiserouten und Handygespräche russischer Geheimdienstoffiziere zu rekonstruieren. Eine der geheimsten Spezialeinheiten gelangte so ins Internet. Eines ihrer "Opfer", der FSB-Offizier Kudrjawzew, musste zugeben: Der Digitaljournalismus war für die russischen Dienste absolutes Neuland.

Neue Gegner

Der Journalist und Bellingcat-Gründer Eliot Higgins gab seiner Organisation den Beinamen "An Intelligence Agency for the People" (Ein Geheimdienst des Volkes). In vielerlei Hinsicht haben er und seine Kollegen durch ihre Enthüllungen bereits demonstriert, wie sehr sich investigativer Digitaljournalismus und Geheimdienstarbeit ähneln: Beide durchforsten das Internet nach offenen oder halboffenen Informationen, beide stellen über Kommunikationsdaten Verbindungen und Bewegungsprofile her und beide bezahlen Informanten, um an diese Daten zu kommen.

Im digitalen Zeitalter verschwimmen die Grenzen zwischen offenen und geheimen Informationen - und auch Geheimdienstmitarbeiter sind im Internet nicht besser geschützt als Normalbürger. In ihren Methoden sind sich Geheimdienstler und Journalisten dabei immer ähnlicher.

Machtdemonstration oder Zeichen von Schwäche?

Russlands Dienste haben unter Beweis gestellt, dass sie willens und in der Lage sind, überall in Europa zu operieren. John Sawers, ehemaliger Direktor des britischen MI6, schätzt, dass gerade einmal zehn Prozent ihrer Aktionen erkannt werden. Trotzdem dürfen wir uns von dieser Machtdemonstration nicht blenden lassen: Denn gleichzeitig sind sie auch ein deutliches Zeichen der Schwäche.

Das liegt nicht nur an den vielen Fehlschlägen und Nachlässigkeiten. Dass etwa immer wieder dieselben Offiziere eingesetzt werden, zeugt auch von begrenzten Ressourcen. Die Versuche, über Drittstaaten mit hohem finanziellem und personellem Aufwand und Risiko, Informationen über die Pläne der USA und der NATO zu gewinnen, zeugen von Schwäche. Darüber hinaus geben der enorme politische Ansehensverlust und Sanktionen keinen Anlass zu einer positiven Bilanz.

Bild: Susanne Schleyer/autorenarchiv.de

Dr. Christopher Nehring unterrichtet Geheimdienstgeschichte an der Uni Potsdam. Er war lange Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Spionagemuseums Berlin. 2019 erschien sein Buch "Die 77 größten Spionage-Mythen".

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