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Politik

Russlands Stellvertreterkrieg in Libyen

28. Mai 2020

Russland hat offenbar sein Engagement in Libyen verstärkt. Allem Anschein nach praktiziert Moskau einen teils durch Söldner geführten Militäreinsatz. Die komplexe Lage in dem Land wird dadurch noch schwieriger.

Libyen | Tripolis | Angriff Khalifa Haftar | Krieg
Spuren des Bürgerkriegs in der libyschen Hauptstadt TripolisBild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Anfang der Woche trat der Chef des US-Militärkommandos für Afrika (Africom), Stephen Townsend, über Twitter an die Öffentlichkeit: Russische Kampfflugzeuge seien von Russland nach Libyen geflogen und hätten einen Zwischenstopp in Syrien eingelegt. Dabei seien die Maschinen überstrichen worden, "um ihre russische Herkunft zu verschleiern", berichtete der US-Militär. Russland versuche eindeutig, in Libyen den Ausschlag zu seinen Gunsten zu geben, so der Kommandeur weiter. Zu lange habe Russland das volle Ausmaß seiner Beteiligung im anhaltenden Libyen-Konflikt bestritten. Jetzt aber gebe es "kein Leugnen mehr". 

Russland wies die Darstellung zurück. "Das sind Falschnachrichten", erklärte der Vize-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Andrej Krassow, der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. "Das ist nur eine weitere dieser amerikanischen Gruselgeschichten."

Stationen einer Beziehung

Wahr ist jedoch, dass die Beziehungen zwischen Russland und Libyen bis spätestens an das Ende des Zweiten Weltkriegs zurückreichen. Damals versuchte Josef Stalin auf der Konferenz von Potsdam vergeblich, ein russisches Mandat über die libysche Provinz Tripolitanien auszuhandeln. Nach dem Putsch von Muammar Gaddafi 1969 unterstützte Moskau den Machthaber mit massiven Militärhilfen.

Im Jahr 2000 erhielten die Beziehungen im Umfeld von Wladimir Putins Wahl zum russischen Präsidenten zwar neuen Schwung. Ohnmächtig sah Putin jedoch zu, wie die Nato den russischen Einfluss 2011 mit ihrem Einsatz beim Aufstand gegen den Alleinherrscher Gaddafi wieder begrenzte.

Als der libysche Offizier Chalifa Haftar 2014 dann das militärische Kommando über die Truppen der libyschen Exilregierung in Tobruk übernahm, sah Moskau in ihm einen geeigneten Partner, seine Interessen in Libyen wahrzunehmen. Im Gegenzug für militärische Unterstützung bot er den Russen Zugang zum libyschen Energiemarkt und die Nutzung der Mittelmeerhäfen in Tobruk und Darnah an.

Treffen unter Verbündeten: Chalifa Haftar mit dem russischen Außenminister Sergej LawrowBild: picture-alliance/dpa/Russian Foreign Minster

Zunächst hielt sich Russland mit aktiver Unterstützung zurück. Doch ab 2017 versorgte es verwundete Kämpfer aus Haftars Armee. Im Jahr 2018, berichtet der Think-Tank "The Washington Institute", entsandte Russland erste Kräfte privater Militärunternehmen nach Libyen.

Ägyptens Interessen

Damit bekam der Krieg eine neue Dimension. Der seinerzeit militärisch erstarkte Haftar gilt als grimmiger Gegner jeglicher Spielart des politischen Islam. Damit wurde er auch zum Partner der Wahl für die ägyptische Regierung von Abdel Fatah al-Sisi. Der hatte 2013 den erfolgreichen Militärputsch gegen Präsident Mohammed Mursi aus den Reihen der Muslimbrüder angeführt und fürchtet, dass die Bewegung neuen Schwung gewinnen könnte - und sei es über das benachbarte Libyen.

Gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ebenfalls den regionalen Einfluss der Muslimbrüder bekämpfen, stellt sich Al-Sisi entschieden gegen die von vielen Ländern anerkannte Regierung von Premier Fajis al-Sarradsch, die nur über einen kleinen Teil des Landes herrscht und im Parlament auf die Stimmen islamistischer Gruppierungen angewiesen ist.

Rivalität mit Ankara

Entsprechend ungehalten ist die ägyptische Regierung seit einiger Zeit darüber, dass die Türkei Al-Sarradschs Truppen militärisch unterstützt, unter anderem mit Söldnern aus Syrien. Im Januar erklärte Kairo, das türkische Engagement in Libyen habe unmittelbare Auswirkungen auf die nationale Sicherheit Ägyptens. Ägyptische Medien attestierten der Regierung Erdogan flankierend dazu "neo-osmanische" Ambitionen .

Der türkische Präsident Erdogan unterstützt die Truppen von Libyens Premier Al-SarradschBild: picture-alliance/dpa/M. Kamaci

Der Türkei wiederum geht es dabei nicht nur um Libyen selbst, sondern auch um einen Anteil an den Gasfeldern im Mittelmeer, die bisher von Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten bewirtschaftet werden. Auch Libyen hat Anspruch auf einen Teil des Gases, zu dem sich Ankara offenbar mit Al-Sarradschs Hilfe Zugang verschaffen will.

Dadurch sind Russland und die Türkei nicht mehr nur in Syrien Gegenspieler, sondern auch in Libyen. Einer direkten Konfrontation weichen beide Mächte bislang aus.

Hybride Strategie

Bisher setzt Russland in Libyen auf eine indirekte militärische Präsenz durch private Militärunternehmen (Private Military Companies, PMC): "Die Tendenz, sich mehr und mehr auf PMCs als außenpolitisches Instrument zu verlassen, ist ein grundlegendes Merkmal von Putins Strategie auf vielen Feldern", heißt es in einer Analyse des "Washington Institute". Auch das Umlackieren russischer Militärflugzeuge in Syrien würde in dieses Bild passen.

Ein komplexes Gemisch aus Subunternehmen, heißt es beim "Washington Institute", mache es schwierig, die Verantwortlichkeiten der eingesetzten Kräfte klar zu identifizieren. Den privaten Kräften gehören Scharfschützen ebenso wie Techniker an, die etwa auf den Einsatz von Drohnen spezialisiert sind. So gelang es in den vergangenen Monaten, eine US-amerikanische und eine italienische Drohne abzuschießen. Das setzt ein technisches Know-how voraus, über das Haftars Militärs nicht verfügen.

Spielball der Politik: Flüchtlinge in LibyenBild: picture-alliance/AP/H. Ahmed

Die hybride Kriegsstrategie hat laut "Washington Institute" für Russland mehrere Vorteile: So könne sich das Land offiziell als Vermittler präsentieren, ohne sein militärisches Engagement aufzugeben. Zugleich könnte es den Konflikt solange auf kleiner Flamme anheizen, bis in Verhandlungen schließlich eine willkommene Einigung zustande kommt.

Andere Mächte hätten aufgrund fehlenden militärischen Engagements weniger Verhandlungsmacht als Russland. Zudem könnte sich Moskau neben Teilen des Energiegeschäfts auch die Kontrolle über den libyschen Flüchtlingskorridor sichern. Dadurch hätte Russland einen sehr starken migrationspolitischen Hebel gegenüber Europa in der Hand.

Russisches Dementi

Den Vorwurf, Russland setze in Libyen private Militärunternehmen ein, erheben nicht nur die USA, sondern auch Großbritannien. Ein UN-Bericht, den Russland umgehend als "fabriziert" zurückwies, kommt ebenfalls zu diesem Schluss. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Ähnliche Vorwürfe richten sich gegen weitere Akteure wie die Vereinigten Arabischen Emiraten und die Türkei. Das Waffenembargo jedenfalls ist mehr als brüchig, und die Komplexität des Konflikts nimmt immer weiter zu.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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