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Russlands kritische Journalisten verstummen

Carla Bleiker | Irina Filatova
5. Februar 2022

In Russland gehören Druck von staatlicher Seite und Selbstzensur aus Angst vor Repressalien für viele Journalisten zum Alltag. Immer weniger Medien gehen das Risiko ein, regierungskritisch zu berichten.

Dmitri Muratow, Redakteur der russischen Zeitung „Nowaya Gazeta“ und russische Journalisten
Dmitri Muratow, Redakteur der Nowaja Gaseta, erhielt 2021 den Friedensnobelpreis. Die Zeitung gilt als eine der wenigen unabhängigen Medien in RusslandBild: Sergey Satanowsky/DW

Eine einzige Zahl sagt manchmal so viel wie tausend Worte. 150 - das ist die Platzierung von Russland auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF). Platz 150 von 180 im Ranking von 2021 - damit ist die Pressefreiheit in dem Land, das sich in seiner Verfassung als "demokratischer föderativer Rechtsstaat" bezeichnet, laut RSF in einer "schwierigen Lage."

Eine Facette dieser "schwierigen Lage": Mehr als 100 ausländische und einheimische Medienorganisationen und Persönlichkeiten stehen auf der Liste der "ausländischen Agenten", verfasst vom russischen Justizministerium.

Das Gesetz für sogenannte ausländische Agenten stammt ursprünglich aus dem Jahr 2012 und galt damals für Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Mittel aus dem Ausland erhielten. 2019 wurde es erweitert und gilt seitdem für Privatpersonen oder Organisationen, die ausländische Mittel in beliebiger Höhe erhalten und die "gedruckte, akustische, audiovisuelle oder andere Berichte und Materialien" veröffentlichen.

Akkreditiert, aber wie lange?

Wer auf der Liste steht, muss alle Veröffentlichungen mit einem Haftungsausschluss versehen, der auf den Status als "ausländischer Agent" hinweist. Außerdem müssen die Betroffenen alle sechs Monate Finanzübersichten und Berichte über ihre Aktivitäten bei der Regierung einreichen und sich jährlichen Prüfungen unterziehen.

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Unabhängig davon dürfen ausländische Journalisten in Russland nur mit einer Akkreditierung der Regierung arbeiten. Diese kann, wie gerade erst mit den Korrespondenten der Deutschen Welle in Moskau geschehen, ohne große Vorwarnung wieder eingezogen werden. All das gestaltet die Arbeit ausländischer Journalisten, die für ein Publikum in ihrem Heimatland über Russland berichten wollen, schwierig.

Fernsehen genießt Vertrauen

Das Fernsehen ist in Russland noch immer die wichtigste Nachrichtenquelle - die Hälfte aller Russen vertraute 2018 laut einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum den Informationen, die sie aus TV-Nachrichten bekommen. Dabei ist das russische Fernsehen nach Angaben von Reporter ohne Grenzen "fest in staatlicher Hand."

Auch Dekoder, ein mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnetes Nachrichtenportal, das Berichte aus unabhängigen russischen Medien ins Deutsche übersetzt, schreibt in einer "Q&A" zu Medien in Russland, das Fernsehen sei in Russland größtenteils "unter staatlicher Kontrolle." Soll heißen: TV-Nachrichtensendungen funktionieren größtenteils als Sprachrohr des Kremls, eine regierungskritische Berichterstattung kann kaum stattfinden.

Fernsehen und auch Radio seien "fest in der Hand des Staates und werden auch inhaltlich von staatlichen Stellen gelenkt", so Dekoder.

Seit 2014 gibt es ein Gesetz, das außerdem bei online Medien für eingeschränkte Freiheit sorgt: Unter dem "Lugowoj-Gesetz", das nach einem seiner Autoren, dem Staatsduma-Abgeordneten Andrej Lugowoj benannt wurde, kann der Zugang zu Nachrichtenseiten ohne richterliche Verfügung blockiert werden, wenn die Staatsanwaltschaft dies verlangt.

Die Gefahr, den Zugang zum Publikum komplett zu verlieren, führt bei vielen Medien zur Selbstzensur, schreibt Dekoder: Die Journalisten "verzichten bereits vorsorglich auf die Publikation von Materialien, die sie möglicherweise in Schwierigkeiten bringen könnten."

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Aber auch Unsicherheit darüber, was für staatliche Stellen als akzeptabel durchgeht und was nicht, erschwert es russischen Journalisten, ihre Arbeit zu tun.

"Die einen Journalisten bekommen Probleme, für das, was die anderen problemlos schreiben. Dies wird von vielen Experten als Teil einer Strategie gesehen", schreibt Heiko Pleines, Politikwissenschaftler und stellvertretender Direktor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, in einer E-Mail an die DW. "Wenn die Grenzen nicht genau klar sind, werden alle vorsichtiger. Als Folge ist Selbstzensur weit verbreitet."

Unabhängig - wie lange noch?

Vor allem über Zeitungen und Online-Medien hat die russische Bevölkerung Zugang zu einer Berichterstattung, die sich auch kritisch mit dem Kreml auseinandersetzt. Zu den etabliertesten regierungskritischen Medien in Russland gehören die Zeitung Nowaja Gaseta, die für ihre Investigationen bekannt ist, der Online TV-Sender Doschd (TV-Rain), der im August 2021 auf die Liste der "ausländischen Agenten" gesetzt wurde, und das Nachrichtenportal Meduza mit Sitz in Riga, das im April 2021 als "ausländischer Agent" eingestuft wurde.

Die regierungskritische Arbeit hat ihren Preis. Laut Politikwissenschaftler Pleines ist auch die Arbeit dieser unabhängigen Journalisten zuletzt immer weiter eingeschränkt worden, und zwar durch Übernahmen von Kreml-nahen Unternehmern, zunehmendem Druck von staatlichen Behörden - und Gewalt gegen Medienschaffende.

Am 3. Februar gab Nowaja Gaseta bekannt, dass ihre Journalistin Elena Milaschina, die über Verletzungen von Menschenrechten in der autonomen russischen Teilrepublik Tschetschenien berichtete, "angesichts der zahlreichen persönlichen Drohungen, die in den letzten Tagen von prominenten Vertretern der Tschetschenischen Republik gegen sie ausgesprochen worden waren", das Land verlassen musste.

Seit der Gründung von Nowaja Gaseta sind fünf ihrer Journalisten ermordet worden - darunter die renommierte Journalistin und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja, die im Oktober 2006 vor ihrer Wohnung erschossen wurde.

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"Der Druck auf Journalisten nimmt in Russland schon seit 20 Jahren zu", so Pleines. Und auch bei Dekoder heißt es, dass "der Trend über die letzten Jahre mehr und mehr zu staatlicher Kontrolle geht und unabhängige Stimmen massiv an den Rand gedrängt werden."

Die Schließung des DW-Studios in Moskau ist ein weiterer Schritt in dieser Entwicklung.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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