Russlands Netzwerk für hybride Kriegsführung in Europa
7. November 2025
Für seinen hybriden Krieg gegen Europa hat Russland ein Agentennetzwerk geschaffen. Hier werden staatliche Stellen und die kriminelle Unterwelt eng miteinander verknüpft. Auch vorbestrafte russischsprachige Männer werden angeworben, um Sabotageakte in Europa zu verüben.
Zu diesem Schluss kommen Experten der Nichtregierungsorganisation GLOBSEC und des Internationalen Zentrums für Terrorismusbekämpfung (ICCT) in einer gemeinsamen Studie mit dem Titel "Russia's Crime-Terror Nexus: Criminality as a Tool of Hybrid Warfare in Europe". Die Ergebnisse wurden in Brüssel auf einer Sitzung des Sonderausschusses für den Europäischen Schutzschild für die Demokratie (EUDS)des Europäischen Parlaments präsentiert.
Die Studie stellt Moskaus Taktik in einen Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine. Sie zeigt auf, dass "hybride Operationen kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale Säule der russischen Strategie sind". Die Forscher vergleichen diese Taktik mit dem Vorgehen des Islamischen Staates (IS), einer Terrororganisation, die einst in Europa Kriminelle rekrutierte.
"Diesmal handelt es sich jedoch nicht um eine Terrororganisation, sondern um einen staatlichen Akteur, der die Rekrutierung und die Operationen vorantreibt", betont die Studie.
Russischsprachige Männer mit krimineller Vergangenheit
Demnach wurden von Januar 2022 bis Juli 2025 in Europa, vorwiegend in Polen und Frankreich, 110 Sabotage- und Anschlagsversuche mit Verbindungen zu Russland verübt. 89 davon waren erfolgreich, 21 wurden vereitelt. Die Autoren der Studie betonen, dass die Zahl der vereitelten Sabotageakte wahrscheinlich deutlich höher liege, weil Geheimdienste solche Informationen nicht immer preisgeben.
Die Experten identifizierten zudem 131 Personen, die an diesen Vorfällen beteiligt waren. Mindestens 35 von ihnen waren vorbestraft und wurden im Gefängnis oder über kriminelle Organisationen angeworben.
Laut der Studie werden vom Kreml für Sabotageakte in Europa vorwiegend Männer um die 30 Jahre rekrutiert, die meist aus einem postsowjetischen Staat stammen, russischsprachig sind und sich in einer schwierigen Lebenslage befinden. Die Anwerbung erfolge häufig online, meist über Telegram, sowie über Verwandte und Freunde.
Der Hauptanreiz bei der Rekrutierung von Saboteuren ist Geld. Die Summen reichten von wenigen Euro für die Verteilung prorussischer Flugblätter bis hin zu beträchtlichen Summen für versuchte Angriffe auf kritische Infrastrukturen, heißt es in der Studie.
Rache an Europa für die Ukraine-Hilfe
Zur Finanzierung dieser Aktivitäten setze Moskau auch illegale Mittel ein, um westliche Sanktionen zu umgehen. "Diese Kanäle ermöglichen es dem Kreml, Beschränkungen zu umgehen und gleichzeitig kriminelle Netzwerke tiefer in seine Strategie der hybriden Kriegsführung einzubetten", so die Autoren der Studie.
"Illegale Finanzströme, Kriminalität und hybride Operationen stellen keine voneinander getrennten Herausforderungen dar, sondern sind Elemente eines einzigen Handlungsplans" heißt es weiter. Und: "Russlands militärische Kampagne - Bombenanschläge, Brandstiftungen, Attentatsversuche - sollte sowohl als Strafe für Europas Unterstützung der Ukraine als auch als Vorbereitung auf einen möglichen größeren Konflikt betrachtet werden."
Enge Verbindungen zur Unterwelt
Die Beauftragung von Kriminellen durch die russische Regierung sei nichts Neues, erklärt Dominika Hajdu von der Denkfabrik GLOBSEC. Menschen, die "östlich des Eisernen Vorhangs lebten", erinnerten sich noch gut daran, wie chronische Versorgungsengpässe in der Sowjetunion eine Abhängigkeit der Gesellschaft von der Schattenwirtschaft schufen und sie verstärkten.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei, anders als in anderen postkommunistischen Ländern, der Kampf gegen die Korruption in Russland keine Priorität gewesen. Stattdessen seien korrupte Methoden zur Norm und zur Arbeitsmethode der Behörden geworden.
Laut Hajdu waren 1994 in Russland über 500 kriminelle Gruppen aktiv, die rund 40.000 Unternehmen kontrollierten. "Anfang der 2000er-Jahre festigten Vertreter der Sicherheitsbehörden, darunter ehemalige Offiziere des Inlandsgeheimdienstes KGB, ihre Kontrolle über den russischen Staat. Und ihre Verbindungen zur kriminellen Unterwelt wurden Teil des Staatssystems", erläutert die Expertin.
"Wir wollen gegen rekrutierte Personen vorgehen"
Auch der polnische Politiker Bartłomiej Sienkiewicz hält den Einsatz krimineller Methoden und die Verbindungen zur kriminellen Unterwelt durch die russische Regierung für eine langjährige Praxis. Sienkiewicz ist Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an.
Im DW-Gespräch hegt er keinen Zweifel daran, dass der Kreml Verbindungen zur kriminellen Unterwelt unterhält, um Agenten in Europa anzuwerben. Das Problem liege darin, "wie wir darauf reagieren sollen". Sienkiewicz verweist auf die jüngsten Drohnenbewegungen an Flughäfen, die den Luftverkehr lahmlegen.
"Niemand hat sie abgeschossen. Wir wollen gegen die von Russland rekrutierten Personen vorgehen, aber die Aktivitäten bei Telegram sind noch immer nicht gestoppt, obwohl die EU solche Plattformen eigentlich kontrollieren sollte", beklagt der Europaabgeordnete.
Was sollte die EU unternehmen?
Die Autoren der Studie versuchen, eine Reihe von Empfehlungen für mögliche Reaktionen der EU zu formulieren. Dazu gehört eine verbesserte Überwachung von Online-Plattformen, insbesondere von Telegram.
Als weiterer Schritt sollte die Definition von "hybriden Bedrohungen" erweitert werden. Denn die nationalen Doktrinen und Strategien vieler Länder würden die Rolle "nichtstaatlicher Akteure wie krimineller Organisationen, ideologisch motivierter Stellvertreter oder eigennützig handelnder Einzelpersonen" nicht ausreichend berücksichtigen. Genau diese "rechtlichen Schlupflöcher" ermöglichten es Russland, seine Schuld oder Beteiligung an Angriffen und Sabotageakten zu leugnen.
Dominika Hajdu hält eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren bei der Bekämpfung dieser Bedrohung für wichtig. "Sie müssen Partner sein, da private Unternehmen in Europa über ausgefeiltere Mechanismen zur Aufdeckung russischer krimineller Aktivitäten verfügen", so die Expertin. "Daher plädieren wir für die Schaffung einer Plattform zur Koordinierung der Zusammenarbeit, um russische hybride Angriffe auf europäische Länder zu verhindern."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk