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Russlands Raumfahrt kämpft um ihren Ruf

13. November 2011

Russische Raketen und Raumschiffe vom Typ "Sojus" gelten als robust und zuverlässig. Doch nach einer Pannenserie gibt es Zweifel. Jetzt soll erneut ein bemanntes Raumschiff zur ISS starten.

Die Sojus-Rakete startet zur internationalen Raumstation ISS (Foto: AP)
Eine Sojus-Rakete startet zur internationalen Raumstation ISSBild: AP

Millimeterarbeit in Baikonur. Wenige Tage vor jedem Start wird am Weltraumbahnhof eine besonders wichtige Operation durchgeführt. Techniker der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos bringen einen rund drei Meter langen Stab mit Triebwerkdüsen an der Spitze des Raumschiffs "Sojus" an. Alles wird schriftlich in einem Journal fixiert: wer wann welche Schraube angezogen hat. "Diese Justierung ist ein sehr verantwortungsvoller Moment", sagt Sergej Trunitschew, der die Montagearbeit in einer großen Halle beobachtet. Es geht um das Herzstück eines jeden Sojus-Raumschiffs: das Notfallrettungssystem (russische Abkürzung – SAS). "Sollte etwas passieren beim Start, Gott behüte, ist das die letzte Rettung für die Kosmonauten", sagt Trunitschew, der seit über 30 Jahren in Baikonur arbeitet.

Baikonur: Montage eines Notfallrettungssystems an einer Sojus-RaketeBild: DW

Wenn am Morgen des 14. November 2011 (5.14 Uhr MEZ) vom Weltraumbahnhof in der kasachischen Steppe erneut eine Rakete in den Himmel steigt, wird die Spannung besonders groß sein. Zwei Russen und ein US-Amerikaner fliegen zur internationalen Raumstation ISS, mehr als drei Wochen später als geplant. Der Grund: eine Panne beim Start eines Transportraumschiffs zur ISS Ende August. Eine fehlerhafte Sojus-Rakete brachte den Frachter "Progress" in die falsche Laufbahn. Er stürzte ab. Eine baugleiche Trägerrakete wird auch für bemannte Sojus-Raumschiffe verwendet.

Fünf Pannen in einem Jahr

Es war nicht die erste und auch nicht die letzte Panne. Erst vor wenigen Tagen, am 9. November 2011, scheiterte der Versuch, eine russische Sonde zum Marsmond Phobos zu schicken. Die Triebwerke sprangen nach dem Start nicht an. Der Transporter schwebt zurzeit in der Erdlaufbahn und wird wohl abzustürzen. Das ist bereits der fünfte misslungene Start einer russischen Rakete in weniger als einem Jahr. Meistens gingen dabei teure Satelliten verloren.

Doch es geht um mehr als nur um einen finanziellen Schaden. Die Zukunft der russischen Raumfahrt steht auf dem Spiel und mit ihr auch die Zukunft der internationalen Raumstation. Nachdem die USA ihr Shuttle-Programm im Sommer eingestellt haben, hat Russland die Versorgung der ISS übernommen. Eine weitere Panne könnte das Aus für das 100 Milliarden Euro teure Projekt bedeuten, das von vielen Nationen getragen wird, darunter Deutschland.

Sicherheit wird groß geschrieben

Eigentlich wollten die Russen 50 Jahre nach dem Flug Jurij Gagarins, des ersten Menschens im All, ihre Erfolge in der Raumfahrt feiern. Und die gibt es tatsächlich. Ende Oktober 2011 startete zum ersten Mal eine russische Sojus-Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana und brachte zwei europäische Navigationssatelliten ohne Probleme ins All.

Eine russische Sojuskapsel vor dem Andocken an die Internationale Raumstation ISSBild: AP

Doch die andauernde Pannenserie droht, solche Erfolge in den Schatten zu stellen. Was ist los mit russischen Raketen, die als besonders robust und zuverlässig gelten? Sicherheit werde in der russischen Raumfahrtbranche groß geschrieben, sagt Jurij Muchin, Buchautor und Redakteur bei der Moskauer Fachzeitschrift "Nowosti kosmonawtiki" (Neues aus der Raumfahrt). Muchin sagt, dass die seit Mitte der 1960er Jahre fliegenden Sojus-Raketen und Raumschiffe zu Recht ihren Ruf genießen, das zuverlässigste Weltraumvehikel zu sein. Mehr als 1000 Starts habe es gegeben, und die Pannenquote liege bei weniger als einem Prozent.

Keine Todesopfer seit 1971

Die Rettung von Menschen habe dabei höchste Priorität, sagt Raumfahrtexperte Muchin. Ein halbes Jahrhundert fliegen die Russen bereits ins All, und es gab lediglich zwei Katastrophen, bei denen Menschen ums Leben kamen. 1967 starb der Kosmonaut Wladimir Komarow, als ein Fallschirm versagte und sein Raumschiff "Sojus-1" mit aller Wucht auf die Erde schlug. Vier Jahre später, im Sommer 1971, ereignete sich die größte Katastrophe in der Geschichte der russischen Raumfahrt: Drei Kosmonauten erstickten auf dem Weg zur Erde wegen Kompressionsabfalls in ihrer Sojus-Kapsel.

Nur mit der Sojus-Rakete kann die ISS derzeit versorgt werdenBild: AP

Seit 40 Jahren hat die russische Raumfahrt keine Todesopfer zu beklagen. Die letzte große Katastrophe liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Am 26. September 1983 explodierte eine Sojus-Rakete auf der Startrampe in Baikonur. Raumfahrttechniker Sergej Trunitschew stand damals nur 100 Meter von dem Flammeninferno entfernt. "Kurz vor dem Start gab es einen Riss in einer Leitung mit einem hochexplosiven Gemisch", erinnert sich der Raumfahrtingenieur. Das Notfallrettungssystem SAS habe damals zwei sowjetischen Kosmonauten das Leben gerettet. "Wenige Sekunden vor der Explosion wurde SAS per Funk aktiviert. Das Raumschiff wurde von der Rakete abgetrennt und in die Luft geschossen", erinnert sich Trunitschew. Das Raumschiff landete weich einige Kilometer von der brennenden Startrampe entfernt. Es gab keine Opfer.

"Hochkomplexe Technik darf versagen"

Die letzte Pannenserie kostete dem Chef der Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatolij Perminow, den Posten. In seiner Abschiedsrede im Frühling räumte er ein, dass Russland den Wettlauf im All mit den USA verloren habe. Washington gebe für die Raumfahrt 80 Prozent mehr Geld als Moskau aus. Auch Perminows Nachfolger Wladimir Popowkin steht unter Druck. Kritiker sagen, er habe den Start einer Marsmondsonde forciert, ohne dass die Technik ausgereift wäre. Doch trotz Fehlstarts bleiben russische Raketen zuverlässig, glaubt der Experte Muchin: "Das ist hochkomplexe Technik, sie darf auch mal versagen."

Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann

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