"Rwandan Records" in Berlin gestartet
22. März 2019Still ist Ruanda nicht: Grillen zirpen, ein Motorrad knattert, aus einer Ecke tönen die Schläge eines Handwerkers. Dazu kommen die Geschichten, mal traurig, mal nachdenklich, manchmal auch lustig. "Rwandan Records" hat alles nach Berlin gebracht. Der Gang durch das "begehbare Musiktheater" (Eigendarstellung) ist eine akustische Reise durch die Dörfer und Straßen des ostafrikanischen Landes.
Während die Geräusche aus den Lautsprechern tröpfeln, lassen sich die Geschichten in kleinen Kabinen per Smartphone abrufen. Jede Kabine im "Haus der Kulturen der Welt" ist ein kleiner Mikrokosmos. Es geht um eine Geschichte, manchmal um ein Schicksal. Wie das des Jungen, der im Exil aufwächst. Mitschüler und Lehrer machen ihm klar, dass er "Flüchtling" ist und nicht dazugehört. Er beginnt, auf allen verfügbaren Landkarten nach dem Land "Flüchtling" zu suchen - in der Hoffnung auf eine Heimat, wo er nicht mehr länger Außenseiter ist.
Interviews mit den Menschen im Land
"Keine Opferperspektiven, sondern selbstbewusste Menschen" sollen zu hören sein, sagt Jens Dietrich, der "Rwandan Records" gemeinsam mit seiner Kollegin Milena Kipfmüller erfunden und auf die Bühne gebracht hat. In Ruanda haben beide zahlreiche Geschichten gesammelt. Fünf Stunden Audiomaterial haben sie dabei aufgenommen, bei "Rwandan Records" ist nur ein Bruchteil zu hören.
Auch Dietrich kam durch den Völkermord dazu, sich mit Ruanda zu beschäftigen. 2011 inszenierte er ein Stück über den Radiosender RTLM. Während des Genozids hatten die Moderatoren des Senders ihre Hörer angestachelt, möglichst viele Menschen zu töten. Das Stück führte der Theatermacher auch im ehemaligen Studio des Senders in Ruanda auf. Aber dabei wollte er es nicht belassen.
"Die meisten Projekte, die sich mit Ruanda beschäftigen, beschäftigen sich mit dem Genozid. Das ist wie ein Label, das auf dem Land klebt. Natürlich hat sich das Land aber viel weiter bewegt. Es ist ein Land, das sich im Umbruch befindet, aber auch Teil der globalisierten Kultur ist", sagt Dietrich der DW.
Suche nach Identität
Eric1key steht nicht nur für diesen Umbruch, er bringt ihn live auf die Bühne. Sechs Mal pro Abend bricht der ruandische Hip-Hop-Künstler den Klangteppich mit Live-Auftritten auf. In goldener Jacke singt, springt und schwitzt er vor den Zuschauern, ein wenig Showmaster, ein wenig auch engagierter Reisebegleiter auf dem Weg in die Geschichte.
Die ist auch ein Stück weit seine eigene. Sein Vater Kongolese, die Mutter Ruanderin - die Suche nach der eigenen Identität zieht sich durch sein Leben. "Ich habe mich immer gefragt 'Wer bin ich? Was bin ich?", sagt Eric1key im Gespräch mit der DW. Antworten zu finden, war nicht leicht. Er zog los, um Geschichten zu sammeln - erst die seiner eigenen Familie, dann die anderer Menschen. Und stieß auf die Geschichte seines Landes.
"Der Genozid war eine Explosion von etwas, das weitaus früher begonnen hatte", sagt Eric1key. "Wir können nur verstehen, was damals geschehen ist, wenn wir mit Menschen sprechen und fragen: 'Wie bezeichnest Du Dich? Glaubst Du immer noch, dass Hutu und Tutsi existieren? Was ist denn für Dich ein Hutu und ein Tutsi? Die Antwort auf diese Fragen fällt oft unterschiedlich aus."
HipHop und traditionelle Musik
Geschichten, Geräusche, Gefühle - Komponist Klaus Janek will all das in seiner Musik vereinen. Mit dem Kontrabass steht er auf der Bühne, fast wie eine Art ruhender Fels in der Brandung neben Eric1key. "Rwandan Records" vereinigt viele Musikrichtungen - traditionelle ruandische Musik, HipHop und andere moderne Stile. Auch musikalisch soll fühlbar werden, das Ruanda keine Insel ist, sondern längst Teil der Moderne.
"Musik wird in der Tradition Ruandas sehr stark so empfunden, dass es eine Stimme und ein Instrument gibt", erzählt Janek im DW-Gespräch. "Auch wenn jemand ein Instrumente spielt, dann begleitet das Instrument den Gesang, auch wenn es eigentlich auch als eigenständiges Element benutzt werden könnte."
Der Ort für die Uraufführung ist bewusst gewählt: Berlin, Schauplatz der berüchtigten Berliner Konferenz von 1884/85, auf der die europäischen Kolonialmächte den Kontinent unter sich aufteilten. Berlin, Hauptstadt des früheren Deutschen Reichs, das Ruanda 1890 kolonisierte. Ruandas Geschichte ist eben auch ein Stück deutsche Geschichte, die Nachfahren der Kolonialherren und der Kolonialisierten sitzen nun auf Stühlen, Sofas und einem Bett und hören zu.
"Ich habe mehrere Jahre in Ruanda gelebt und finde viel Vertrautes. Aber zugleich ist es auch ein anderer Blickwinkel. Das finde ich sehr interessant", sagt eine Besucherin der DW, nachdem sie eine der Kabinen verlassen hat.
"Es ist ein spannender Einblick in eine Kultur und in eine Geschichte, von der wir hier in Deutschland selten hören. Ruanda ist ein blinder Fleck auf der Landkarte", sagt eine andere, die schon am Ausgang steht.
"Man sieht, wie Ruanda sich wieder selbst entdeckt, seine eigene Geschichte, gesprochen von den eigenen Bürgern: der Jugend, der neuen Generation. Es ist eine Reflexion über unsere Vergangenheit und über die Gegenwart", lobt auch Ruandas Botschafter in Deutschland, Igor César, der zur Uraufführung gekommen ist.
Die Macher hoffen, "Rwandan Records" bald auch in Ruanda zu zeigen. "In unseren Schulen und Museen geht es meist um unsere kollektive Geschichte. Es ist aber selten die Geschichten einzelner Personen zu finden, die uns erzählen können, wie es früher war", sagt Eric1key. Zumindest über das Internet sollen die Geschichten bald weltweit zu hören sein.