RWE will roden - Kohleausstieg hin oder her
23. August 2018RWE zeigt sich beim Kohleausstieg unbeirrt: In einem Brief an die Vorsitzenden der Kommission der Bundesregierung für den Kohleausstieg schreibt Rolf Martin Schmitz, Chef des Energieversorgers RWE, dass die Rodung des Altwaldes beim Tagebau Hambach in der kommenden Monaten "zwingend erforderlich" sei. Der Deutschen Welle liegt das Schreiben vor.
Mit der Rodung des heftig umstrittenen Altwaldes signalisiert RWE, dass der Stromkonzern wie bisher unbeirrt an Braunkohleverstromung festhält. Die Ergebnisse der laufenden Debatte zum Fahrplan des Deutschen Kohleausstiegs, der bis zum Jahresende vorliegen soll, möchte die Firma offenbar nicht abwarten.
"Zur Vermeidung erheblicher ökonomischer Risiken für unsere Unternehmen ist es [...] nicht möglich, in der kommenden Rodungsperiode auf die Vorfeldfreimachung zu verzichten", schreibt RWE-Chef Schmitz und betont, dass bezüglich der zu erwartenden Proteste von Anwohnern und Klimaschützern ein entsprechender Polizeieinsatz schon zeitlich mit "dem nordrhein-westfälischen Innenministerium abgestimmt" ist.
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Appell gegen Eskalation
In einem dringenden Appell an die Kohlekommission und die Ministerpräsidenten der Kohle fördernden Bundesländer fordern vom Tagebau betroffene Bürger, Kirchengemeinden und Umweltschützer eine Deeskalation des Konflikts im Rheinland.
In einem "Braunkohle-Moratorium" fordern sie die Aussetzung aller rodungsvorbereitenden Maßnahmen im Hambacher Wald, den Stopp von Zwangsenteignungen von Hausbesitzern und Landwirten und den Stopp von Kirchen- und Denkmalabriss in sieben betroffen Dörfern.
"Während die Kommission tagt, werden tagtäglich in den Braunkohle-Revieren Fakten geschaffen: Menschen werden umgesiedelt, unersetzliche Natur unwiederbringlich zerstört, Kulturgüter vernichtet. Damit aber wird der soziale Frieden gestört und die Arbeit der Kommission unterminiert", sagte Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
"Ganz aktuell erhöht RWE massiv den Druck in den Verhandlungen mit den von Umsiedlungen betroffenen Menschen und drängt auf kurzfristige Entscheidungen. Mein Dorf soll anscheinend rasend schnell vereinnahmt und für die Bewohner unattraktiv gemacht werden", beklagt Norbert Winzen, Umsiedlungsbetroffener aus dem Dorf Keyenberg. "Dabei ist klar, dass die Braunkohle nicht wie im geplanten Umfang weiter gefördert werden wird. Für die Menschen ist das längst nicht mehr nachvollziehbar."
RWE lege es darauf an, "den Hambacher Wald nahezu vollständig zu vernichten und damit meiner Heimat ein lebendiges Symbol für Zukunftsperspektiven zu nehmen", sagt auch Andreas Büttgen aus dem Dorf Buir am Hambacher Wald. "Dabei ist der Wald längst zu einem Zeichen der Hoffnung auf eine gelungene gesellschaftliche Wende hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit unserer Erde geworden."
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Kohleausstieg gegen Geld?
Dem Appell der Anwohner will RWE nicht nachgeben und betont gegenüber der DW das Recht auf Rodung. Auf die Frage der DW ob der Konzern gegen Bezahlung bereit wäre auf weitere Braunkohleverstromung zu verzichten, antwortete der Sprecher ausweichend. Er stellt aber klar, dass dem Unternehmen Schadensersatz zustünde, falls die Politik sich entschließen sollte, die bereits beschlossene Erweiterung des Tagebaus zu stoppen. Eine solche Wende käme einer Enteignung von Unternehmen gleich. Über die mögliche Höhe und Berechnungsgrundlagen machte RWE trotz Nachfragen indes keine Angaben.
Den Druck von RWE zur schnellen Rodung und beschleunigten Enteignungen von Betroffenen Bürgern hält Kohleexperte Jansen vom BUND für vollkommen überzogen. Wenn der umstrittene Wald in diesem Winter nicht gerodet würde, gäbe es auch bei gleichbleibender Stromerzeugung "noch lange genügend Nachschub mit Braunkohle aus dem bestehenden Tagebau Hambach", sagt Jansen der DW.
Der verfügbare Puffer mit Braunkohle aus dem Tagebau für die Stromversorgung läge laut seiner Berechnung bei "über drei Jahren" und mit einer optimierten aber gängigen Abbautechnik am Grubenrand sogar bei sieben Jahren. Die Angaben von RWE-Chef Martin Schmitz seien deshalb "offensichtlich nicht korrekt", so Jansen. In einem Schreiben an die Vorsitzenden der Kommission belegt Jansen mit Satellitenbildern seine Berechnung. Der DW liegt das Dokument vor.
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Fragwürdiger Faktencheck der NRW-Regierung
Unterstützung bekommt RWE von der NRW-Landesregierung. Den Appell für ein Moratorium und einen damit verbunden Rodungsstopp "lehne ich rundweg ab", sagt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) der DW, "denn die Braunkohle wird für die Stromversorgung Deutschlands insgesamt dringend benötigt".
Das NRW-Wirtschaftsministerium hat vor allem die geringen Erzeugungskosten für Strom mit Braunkohle im Blick. Dass bei dieser Erzeugung zugleich aber hohe volkswirtschaftliche Schäden entstehen, verschweigt die Landesregierung in ihrem sogenannten Faktencheck an die Kommission. Auch dieses nicht-öffentliche Dokument liegt der DW vor.
Laut Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) lagen die Gesundheits- und Materialschäden durch den deutschen Braunkohlestrom im vergangenen Jahr bei mehr als 28 Milliarden Euro. "Ein geordneter Kohleausstieg vermeidet deshalb Umweltkosten in Milliardenhöhe", lautet ein Fazit des UBA zur Kohleverstromung und Klimaschutz.
Das NRW-Wirtschaftsministerium begründet seinen Einsatz für den Braunkohlestrom von RWE auch mit dem Erhalt der Versorgungssicherheit. Die vom Ministerium geäußerte Sorge steht allerdings im Widerspruch von aktuellen Studien.
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommen in jüngsten Studien zu dem Schluss, dass eine versorgungssichere Lösung bei der Abschaltung und Drosselung der ältesten Braunkohleblöcke möglich ist und so Deutschland seine Klimaziele erreichen könne.
Energieökonomin Claudia Kemfert vom DIW nahm für die DW die Angaben des NRW-Wirtschaftsministeriums genauer unter die Lupe und konstatierte bei deren Berechnungen Fehler und vernachlässigte Fakten.
"Hier sollen offenbar gezielt Mythen verbreitet und Panikmache betrieben werden, um die Energiewende schlecht zu reden und auszubremsen, Druck auf die Kohlekommission auszuüben, zudem Bürger zu verunsichern, RWE möglichst lange Gewinne zu ermöglichen", so Kemfert. Sie bezeichnet dies als einen Versuch hohe Entschädigungen für die Konzerne zu erpressen. "Dies würde die Energiewende nur unnötig teuer und noch ineffizienter machen und den Umstieg zu erneuerbaren Energien weiter behindern."