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Politik

Südafrika: Was ist schief gelaufen?

Martina Schwikowski
29. Oktober 2018

Südafrikas Wahrheitskommission stellte vor 20 Jahren die Arbeit ein. Die soziale Ungleichheit ist seither gewachsen. Beobachter stellen fest: Weiße seien "gut davon gekommen".

Bildergalerie Nelson Mandela
29. Oktober 1998: Erzbischof Desmond Tutu überreicht Nelson Mandela den Bericht der WahrheitskommissionBild: Getty Images/AFP/W. Dhladhla

Südafrika galt einst als Hoffnungsträger des afrikanischen Kontinents. Die Regenbogen-Nation am Kap feierte nach dem Ende der Apartheid 1994 die politische Kehrtwende zur echten Demokratie, die Südafrikaner zuversichtlich in eine friedliche Zukunft blicken ließ. Nelson Mandela steuerte damals das Land auf einen Versöhnungskurs mit dem Ziel, die Wunden der blutigen Auseinandersetzungen zwischen der weißen Minderheit und der schwarzen Bevölkerung zu lindern. Aber das Südafrika von heute zeigt eine rasant wachsende Kluft zwischen Arm und Reich - und auch zwischen Schwarz und Weiß. Der einstige Motor Afrikas ist zu einem wirtschaftlich instabilen und sozial ungleichen Land geworden. 24 Jahre nach dem politischen "Wunder am Kap" stellen sich viele Südafrikaner die Frage: Was ist schief gelaufen?

"Weiße sind gut davongekommen"

"Bei den politischen Verhandlungen mit der Apartheidregierung vor Mandelas Amtsantritt mussten Zugeständnisse gemacht werden. Das waren schwierige Entscheidungen", sagt Tessa Dooms, Soziologin und Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Johannesburg. Doch die Folgen dieser Zugeständnisse seien gravierend, sagt sie in einem DW-Interview: "Die weißen Südafrikaner besitzen noch den größten Vermögensanteil, obwohl sie die kleinste Gruppe in der Bevölkerung ausmachen. Es ist ihnen erlaubt worden, ihren Reichtum zu behalten und weiterhin durch das aktuelle politische System Vorteile zu genießen. Weiße haben damals ein gutes Geschäft gemacht, denn sie dominieren die Wirtschaft Südafrikas - sie sind gut davongekommen."

Die soziale Ungleichheit in Südafrika hat zugenommen Bild: Imago

Dooms wuchs als Farbige im Post-Apartheid-Südafrika auf. Es fällt ihr schwer, die Zeit der Rassentrennung hinter sich zu lassen. Die Auswirkungen der Apartheid, sagt sie, beeinflussten das tägliche Leben in Südafrika noch heute. Einen Grund dafür sieht sie in den Anhörungen vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Zwei Jahre lang - von 1996 bis 1998 - erzählten weinende Opfer unter den Augen der Öffentlichkeit in den Stadthallen südafrikanischer Städte und Gemeinden ihre Schicksale. Doch die Täter wurden Dooms zufolge damals kaum zur Rechenschaft gezogen: "Sie hatten keine Konsequenzen zu tragen." Laut Dooms wäre ein schärferes Auge für Gleichberechtigung und mehr Wille der Regierung und Zivilgesellschaft, das Thema "Rasse" in Südafrika direkter anzugehen, hilfreich gewesen. "Gleichheit im sozialen Sinne - in diesem Punkt stehen wir heute nicht da, wo wir sein sollten."

Südafrika hat Fehler gemacht

Am 29. Oktober jährt sich das Ende der Anhörungen vor der Kommission zum 20. Mal. Die politischen Instrumente, die damals den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben sollten, hätten versagt, sagt Verne Harris. Er ist Archivar der Nelson Mandela Stiftung und war in den 90er Jahren selbst für die Wahrheitskommission tätig: "Wenn wir den Empfehlungen der Kommission Priorität gegeben hätten, sähe Südafrika heute ganz anders aus", sagt Harris im DW-Interview. Zwar sei mittlerweile vieles verwirklicht worden, wie etwa die Pressefreiheit, "aber weiße Südafrikaner konnten sich in den Verleugnungs-Modus zurückziehen", bemängelt der Weggefährte Mandelas

Nicht nur bei der Wahrheitskommission, auch schon bei den politischen Verhandlungen vor 1994 seien Fehler gemacht worden, sagt Harris. Doch habe die Regierung damals getan, was sie konnte: "Südafrika stand am Rande eines Bürgerkrieges." Auch er sei - wie die Regierung - gedanklich verführt worden in der Annahme, jedes Problem schnell lösen zu können. "Wir haben oft Strategien übernommen, die aus dem globalen Norden kamen, anstatt Lektionen aus den südlichen Ländern zu lernen, die in einer ähnlichen Lage waren wie Südafrika. Wir glaubten, wir wären einzigartig."

Südafrikas neuer Präsident Cyril Ramaphosa gilt vielen als HoffnungsträgerBild: Reuters/M. Hutchings

Aufbruchsstimmung im Land

Mandela legte mit seinen Amtskollegen den Grundstein für die unabhängige Justiz und eine moderne Verfassung. Die nachfolgenden Regierungsjahre unter Thabo Mbeki brachten laut Harris aber eine Zentralisierung der Macht: "Der Missbrauch von staatlichen Institutionen, um dort politische Kämpfe auszufechten, bereitete den Boden für die Zuma-Ära, in der staatliche Institutionen korrumpiert wurden." Für die Zukunft reiche es nicht, einfach auf Besserung zu hoffen, findet er.  Stattdessen müssten jetzt die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Immerhin habe sich durch die Machtübernahme von Präsident Cyril Ramaphosaim vergangenen Jahr eine Art Raum geöffnet. "Das zeigt, dass wir dahin gelangen können, wo Mandela uns haben wollte. Vielleicht schaffen wir es in der nächsten Generation, möglicherweise erlebe ich das nicht mehr. Es gibt viel zu tun, aber es ist eine gute Energie im Land."

Aufbruchsstimmung in Südafrika spürt auch Tessa Dooms. Für sie spielen die jungen Menschen eine wichtige Rolle in dem Prozess, der jetzt das Land wieder auf den "richtigen" Weg bringen soll: "Wir sind eine politisch bewusstere Gesellschaft geworden, auch durch die Proteste der Jugend für eine bessere Zukunft. Wir sind zu mündigen Bürgern geworden, die sich selbst hinterfragen, kritische Fragen stellen und nicht nur darauf warten, dass sich ihre Träume von selbst erfüllen."

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