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Politik

Südafrikas Jugend ohne Stimme

Martina Schwikowski
7. Mai 2019

Viele Jugendliche wollen an den Parlamentswahlen gar nicht erst teilnehmen. Von der Politik fühlen sie sich schon lange nicht mehr repräsentiert. Die radikale Partei EFF wirbt um sie. Aus Südafrika Martina Schwikowski.

Südafrika Protest von Studenten und Ausschreitungen in Johannesburg
Bild: Reuters/S. Sibeko

Entlang der holprigen Straßen von Boipatong häuft sich der Müll in ausgetrockneten Pfützen und Sandkuhlen. Ziegen stöbern in den  Ansammlungen von Plastikflaschen, Fast-Food-Resten und Papierfetzen. Die Ränder der geteerten Straßen fransen aus, der Wind fegt gelben Staub durch die Luft.

Für die 25-jährige Mpho Totsetsi ist das ein altbekannter Anblick. Nichts hat sich geändert in dem Township in der südafrikanischen Industrieregion Gauteng, eine Autostunde südlich von Johannesburg. Politiker scheinen Armenviertel wie Boipatong vergessen zu haben. Die Studentin macht sich keine Illusionen. Sie wird die am Mittwoch anstehende Wahl einfach ignorieren. "Ich habe mich gar nicht erst für die Wahl registrieren lassen. Es würde keinen Unterschied machen, ob ich wähle oder nicht."

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Abgestimmt wird über die Abgeordneten des Parlaments. Doch weil die anschließend den Präsidenten wählen, ist es die wichtigste Wahl für Südafrikaner. Und dennoch bleibt es für Mpho nur eine Veranstaltung, die "kommt und geht". "Wir leben wie vor vielen Jahren. Oft fehlen Strom und Wasser und die Wellblechhütten sind immer noch da, die Schlaglöcher in unseren Straßen auch", sagt sie der DW. Ihr Freund Lucky Mofokeng nickt: "Ich habe nur einmal in meinem Leben gewählt und war stolz darauf, dass ich etwas für mein Land getan habe." Aber nichts habe sich geändert, stellt er fest. Die offizielle Statistik gibt die Arbeitslosigkeit in Südafrika mit 27 Prozent an. Mehr als die Hälfte der Menschen lebt in Armut. Das - und wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft - sind für viele Jugendliche in Südafrika Gründe, die Politik zu meiden.

Julius Malema: Abitur besser als Geld

Wie seine Freundin wird Lucky am Mittwoch keiner politischen Partei seine Stimme  geben. Auch nicht der radikalen Partei der "Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit" (EFF), die ihren Wahlkampf stark auf die armen Massen, aber auch auf die Jugend des Landes ausgerichtet hat. 59 Prozent der EFF-Wähler sind laut Studien arbeitslos. Die meisten der registrierten Wähler, die nicht wählen, sind zwischen 18 und 27 Jahre alt.

Julius Malema umgeben von seinen Anhängern beim WahlkampfabschlussBild: picture-alliance/M. Safodien

Die linkspopulistische EFF hat in nur wenigen Jahren einen rasanten Aufstieg zur drittgrößten Partei Südafrikas hingelegt. 2013 als Protestbewegung aus der Regierungspartei "Afrikanischer Nationalkongress" (ANC) hervorgegangen, zog sie im Folgejahr mit sechs Prozent der Stimmen ins Parlament ein. Parteichef Julius Malema verspricht Häuser und Jobs - und Landbesitz für schwarze Südafrikaner. Weiße will er ohne Entschädigung enteignen, eine bessere Bildung und eine effiziente Polizei ermöglichen. Häufig gehen seine Wahlkampf-Slogans mit rassistischen Eskapaden gegen Weiße einher.

"Warum grenzt ihr Weißen uns aus", ruft Juju, wie Malema von seinen Anhängern genannt wird - und kommt damit bei seinen Fans gut an. Das Orlando-Stadium in Soweto ist bei seiner letzten Wahlveranstaltung am Wochenende komplett in Rot getaucht, Tausende tragen T-Shirts in der Parteifarbe und das Markenzeichen der Freiheitskämpfer: Ein rotes Barett. "Unser Land und Arbeitsplätze - jetzt! Wirtschaftliche Freiheit - jetzt!", skandieren sie. "Wir sind nicht gegen Weiße, nur gegen weiße Privilegien und weiße Arroganz", schreit Malema ins Publikum. Und lädt junge Weiße in seine Partei ein: "Wir kämpfen, um mit Weißen gleichgestellt zu sein." An die Jugend Südafrikas appelliert er: "Euer Abitur ist besser als Geld, lasst es euch einen Sitz an der Uni sichern. Wir wollen eine gebildete Nation. Nicht Millionen Menschen, die Sozialhilfe erhalten."

Jugend ohne Hoffnung

"Sie wollen junge Leute wie uns überzeugen", sagt Lucky. Aber sie wollten ihre Ziele schlicht mit Macht durchsetzen - eine Anspielung auf die von der EFF propagierte Enteignung weißer Farmer. Die Landreform hat sich auch die Regierungspartei ANC auf die Fahnen geschrieben, um bei enttäuschten Wählern zu punkten. "Für die alten Leute sind die Wahlen eine sehr wichtige Sache, aber wir wollen nur Frieden und Bildung", sagt Lucky. Für Mpho geben sich die Freiheitskämpfer als Möchtegern-ANC. "Sie sagen uns nur, was der ANC nicht liefert, aber nicht, was sie für uns wirklich tun können."

Gerade erst feierte Südafrika 25 Jahre Demokratie. Doch die wirtschaftliche Lage bleibt schwierigBild: picture alliance/AP Photo/D. Farrell

Die Frustration der Jugend ist laut Verne Harris, Mitarbeiter der Nelson-Mandela-Stiftung, eine große Herausforderung. "Die Jugend sieht nicht, dass Wählen eine Chance ist, Dinge zu verändern. Sie sind vom politischen Prozess  entfremdet", sagt Harris. "Sie sehen das Ausmaß, wie stark Politik und Institutionen korrumpiert worden sind." Kein Wunder, dass so viele Jugendliche Südafrika aufgegeben hätten. Sie glaubten nicht an eine  Zukunft, an der sie selbst teilhaben könnten, frei von den sozialen Problemen, die Südafrikas Gesellschaft bis heute bestimmen.

EFF verspricht einen Wunschtraum

"Die Politik der EFF greift die Bedürfnisse der Menschen in den Kommunen auf, das ist ein mächtiges politisches Instrument", erklärt Harris den Zustrom in die radikale Partei. Allerdings ziele auch die Demokratische Allianz (DA), die mit bisher rund 20 Prozent der Stimmen zweitgrößte Partei, auf diese Wählerschichten ab. Alle drei Parteien werben für sich als "die Zukunft Südafrikas".

"Die Wellblechhütten sind noch da"Bild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Umfragen sagen der EFF bei der Wahl starke Zugewinne voraus. Nach Zahlen des südafrikanischen Instituts für Rassenbeziehungen (IRR) könnten die Linkspopulisten bei den Wahlen am Mittwoch auf rund 14 Prozent der Stimmen kommen, mehr als doppelt so viel wie 2014. Warum? "Die EFF verspricht einen Wunschtraum, ein Universum, in dem alles für jeden zugänglich ist", sagt IRR-Mitarbeiter Gareth van Onselen. In Wirklichkeit habe die Partei aber ein unzureichendes Verständnis von den Mechanismen der freien Wirtschaft und könne Südafrika eher schaden. Wie stark die Partei wächst, hängt laut van Onselen unmittelbar mit dem Ergebnis des ANC zusammen: So habe die EFF zuletzt rund fünf bis acht Prozent der schwarzen Wähler vom ANC abgeworben. Doch diese Gruppe habe in den letzten Monaten stark zwischen beiden Parteien geschwankt. Der ANC, der einst mit einer komfortablen Zwei-Drittel-Mehrheit regierte, hatte schon bei den letzten Wahlen 2009 und 2014 Stimmen verloren. Umfragen sagen ihr diesmal weitere Verluste voraus. 

Die EFF habe im Vergleich zur DA und zum ANC die jüngste Wählerschaft, so van Onselen. Rückschlüsse, dass sie die ‚Partei der Jugend‘ sei, hält er aber für falsch. Denn die EFF sei kleiner als die beiden anderen Parteien und auch ihre jugendliche Anhängerschar damit nicht so groß. "Die Jugend hängt keiner Partei wirklich an, sie interessiert sich vor allem für die Bildungspolitik. Viele junge Menschen wählen erst, wenn sie Steuern zahlen", sagt van Onselen. "Wenn die EFF sich auf diese Gruppe verlässt, bedeutet das für sie ein Risiko."

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