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Politik

Infiziert das Coronavirus die Wirtschaft?

15. Februar 2020

Die Welt blickt gebannt auf die Virusepidemie in China. Für viele Länder Lateinamerikas ist das Land in Fernost inzwischen wichtiger als Europa und die USA. Träfe eine Corona-Rezession Lateinamerika besonders hart?

Sojabohnen aus Brasilien werden im chinesischen Hafen Nantong entladen
Sojabohnen aus Brasilien werden im chinesischen Hafen Nantong entladenBild: Getty Images/AFP

Besonders rosig seien die Aussichten für die Weltwirtschaft im anbrechenden Jahr 2020 ohnehin nicht, schreibt die UN-Diplomatin Alicia Bárcena im Newsblog "Latin America Advisor" des Washingtoner Think-Tanks "The Dialogue". Gründe dafür seien unter anderem die aufkeimenden Spannungen im Nahen Osten und der anhaltende Handelskonflikt zwischen China und den USA. Und die Corona-Epidemie trübe die Aussichten weiter: "Chinas Wachstum, von dem erwartet wird, dass es unter sechs Prozent liegen wird - das niedrigste Wachstum in 30 Jahren -, dürfte durch den Ausbruch des Coronavirus noch weiter gebremst werden."

Allein die verlängerten Neujahrsferien könnten China im ersten Quartal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gekostet haben, schätzt Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank, laut "Handelsblatt". Wie schwer die Corona-Krise Chinas Wirtschaft insgesamt belasten wird, ist bisher nicht abzusehen, denn die Krankheit breitet sich weiter aus.

Südamerika besonders stark betroffen

Wenn in China die Fließbänder längere Zeit stillstehen, werden weniger Waren produziert und weniger Rohstoffe nachgefragt. Das betrifft die ganze Welt, betont Amrita Narlikar, Präsidentin des Hamburger GIGA-Instituts für Globale und Regionale Studien: "Wir haben schon jetzt gesehen, wie die chinesische Wirtschaft, der Flugverkehr und die weltweit integrierten Lieferketten gestört wurden. Das hat natürlich Folgen für die Weltwirtschaft und ganz bestimmt für Lateinamerika."

Polizisten auf dem internationalem Flughafen von Boliviens Hauptstadt La PazBild: Getty Images/AFP/A. Raldes

Klar sei aber auch, dass manche Länder stärker betroffen wären als andere, sagt der Soziologe Stefan Schmalz von der Universität Jena: "Wenn China weniger produziert, merkt man das in Südamerika sicher stärker als in anderen Weltregionen."

Das wird am Nord-Süd-Gefälle des lateinamerikanischen Subkontinents deutlich: Mexikos Wirtschaft ist vollkommen auf die USA ausgerichtet. Chile dagegen liefert ein Drittel seiner Exporte nach China, aber nur jeweils rund 14 Prozent in die EU und die USA. Für die zehn größten Länder Südamerikas ist China Warenlieferant Nummer eins oder zwei. Auch als Absatzmarkt ist das Reich der Mitte für fast alle Länder der Region essenziell - Brasilien und Peru etwa verschiffen mehr als ein Viertel aller Exporte nach China.

China ist integraler Bestandteil der Wirtschaft

Ein Nachfragerückgang aus China könnte auch nicht einfach durch andere Handelspartner in Nordamerika oder Europa geschlossen werden, betont Schmalz: "Da sind in den letzten zehn, zwanzig Jahren Strukturen gewachsen, die man nicht mal eben aufbricht."

Denn es geht in den transpazifischen Beziehungen nicht nur um Handel. China hat seit 2005 Kredite von mehr als 140 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika vergeben, etwa so viel wie in Afrika. Außerdem hat das Land massiv investiert, chinesische Unternehmen haben sich beispielsweise an privaten und öffentlichen Projekten beteiligt.

Amrita Narlikar, Präsidentin des Hamburger GIGA-ForschungsinstitutsBild: Picture alliance/dpa/C. Sab

"Die USA und Europa tun viel zu wenig, um diesen Ländern attraktive Alternativen zu China zu bieten", sagt GIGA-Präsidentin Narlikar. Dies gelte sowohl für Lateinamerika, den ehemaligen "Hinterhof" der USA, als auch für Afrika und sogar die europäischen Schwellenländer: "Und es geht nicht nur um Geld und Freihandel, viel wichtiger noch wäre es, ein Narrativ zu etablieren, das erklärt, warum das westliche Wirtschaftsmodell diesen Ländern mehr zu bieten hat als das chinesische."

Rücken Mercosur und EU näher zusammen?

Die Entfremdung Lateinamerikas vom Westen wird deutlich in den seit 20 Jahren andauernden Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen EU und Mercosur. Das bisher letzte Mal scheiterte die Einigung im September 2019 am Widerstand Österreichs und Frankreichs, die den Raubbau der Mercosur-Staaten an der Natur anprangerten. Dort hält man das allerdings für einen Vorwand: In Wahrheit wolle man - wieder einmal - die eigene Landwirtschaft vor Konkurrenz bewahren.

Daraus spricht nicht nur der schwindende Wille von Entwicklungsländern, sich dem Diktat der Industriestaaten zu unterwerfen. Es ist auch ein Resultat interner Querelen der vielen Beteiligten - sowohl in der EU, als auch im Mercosur. Da hat es China leichter, das unter der Führung seiner Einheitspartei viel pragmatischer zu Werke gehen kann und dies auch tut.

Vorteil Schwache Vernetzung

Aber nicht nur deshalb erscheint eine Neuorientierung Südamerikas aufgrund einer temporären Nachfrageschwäche in China unwahrscheinlich. Insgesamt weisen die Länder des Subkontinents nämlich eine eher schwache Vernetzung mit der Welt auf. Selbst in Chile, das eine traditionell offene Wirtschaft betreibt, liegt die Exportquote leicht unter dem weltweiten Durchschnitt von 30 Prozent. In Brasilien und Argentinien beträgt sie weniger als 15, in der EU dagegen 45 Prozent.

Insbesondere für die Mercosur-Länder und assoziierte Staaten habe sich die nationale und regionale Nachfrage als Stabilitätsanker erwiesen, sagt Jéssica Gomes, Mercosur-Expertin des GIGA-Instituts: "Der Handel innerhalb des Blocks war in den letzten Jahren durchaus substanziell." Unter der Wirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite 2008 litten viele Volkswirtschaften der Region weniger als etwa die EU. Daher sieht Gomes mit Blick auf eine mögliche Corona-Rezession zumindest für den Mercosur zunächst einmal kein größeres Problem: "Dafür müsste China regelrecht kollabieren." Aber dann hat nicht nur Südamerika ein Problem.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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